Ex-Kanzler Gerhard Schröder zu Dreharbeiten in Göttingen

„Ist er das wirklich – was will der denn hier?“. Verwunderte Blicke hat am Montagnachmittag Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) in der Göttinger Innenstadt auf sich gezogen. Nicht nur wegen seines knallblauen Anzugs mit farblich passenden Mokassins ohne Socken war der 76-Jährige nicht zu übersehen, nachdem er am Wilhelmsplatz einer schwarzen Audi-Limousine entstiegen war. War er doch in Begleitung eines Kamerateams und mit Personenschützern unterwegs. Es war nicht die Politik, sondern der Fernsehsender Arte und die Kultur, die Schröder in die Stadt seiner Studentenjahre verschlagen haben. Allerdings Kultur, die auch politisch Brücken schlug – nämlich Barbaras Göttingen-Chanson. „Wer, wenn nicht Schröder, kann über die Bedeutung dieses Liedes sprechen“, sagt Arte-Journalist Heinz Cadera und wundert sich, dass er so schnell bereits war, mit dem Zug von Hannover zu Dreharbeiten nach Göttingen zu kommen, wo er am Bahnhof von BKA-Beamten abgeholt wurde. Kein waschechter 68er: Gedreht wurde für das Sendeformat „Stadt – Land – Kunst“. Täglich werden dafür Orte ins Rampenlicht gesetzt, die sich durch ihr künstlerisches, kulturelles oder landschaftliches Erbe auszeichnen. Göttingen wird voraussichtlich im Oktober zum Zuge kommen. Cadera hatte dabei die französische Sängerin Barbara im Sinn, die 1964 während ihres Konzertbesuches in der Unistadt das Göttingen-Lied komponierte. Aus dem zitierte Schröder auch 2003 bei der 40-Jahr-Feier des Éliysée-Vertrages zur Besiegelung der deutsch-französischen Freundschaft. Gedreht wird am Dienstag auch im Jungen Theater Göttingen. Dort stand die Produktion „Barbara“ auf dem Spielplan. Katharina Brehl präsentierte einen musikalischen Streifzug durch das Leben der Sängerin. Leider habe er Barbara nicht live erlebt, sagt Schröder, der von 1962 bis 1964 in Göttingen als Einzelhandelskaufmann arbeitete und an einer Abendschule die Mittlere Reife erlangte. Zwei Jahre später kehrte er zurück und studierte bis 1971 Jura. Vor der Kamera schwelgte der Ex-Kanzler und -Ministerpräsident in Erinnerungen an seine Studienzeit und die „schönen Kellerlokale“: „Göttingen war für mich eine Art Paradies“. Damals sei es noch eine zutiefst konservative Stadt gewesen, unter den Talaren habe tatsächlich noch der Muff von 1000 Jahren geweht, die Studentenbewegung sich aber bereits abgezeichnet. Das erste Mal auf der Straße gewesen sei er allerdings vor den 68ern – nach der Ermordung Kennedys. „Das war noch ein anderes Deutschland, aber hier in Göttingen war richtig was los“, erzählt Schröder, während er geduldig den einen oder anderen Gang für Kameramann Sven Giebel wiederholt. Mit der Studentenbewegung habe er sympathisiert, sei aber nicht so emotional dabei gewesen wie die Studenten aus besserem Hause. Aus einfachen Verhältnissen stammend, sei er als junger Jura-Student „stolz wie Bolle“ gewesen und „eher ungeeignet für Kritik am Staat, der mir das ermöglicht hat“. „Die Professoren zogen vorneweg in die Aula ein, ich hinterher“, schildert er in selbiger seine erste Begegnung mit der Alma Mater und blickt aus dem Fenster auf den Wilhelmsplatz: „Der hat sich kaum verändert. Da habe ich gesessen und gefuttert.“ Abstecher zu Cron & Lanz: Ernst wird Schröder vor der Gedenktafel für die in der NS-Zeit vertriebenen jüdischen Professoren: „Deutschland hat Leiden verursacht und selbst dadurch gelitten, weil die besten Köpfe vertrieben wurden. In doppelter Hinsicht eine nationale Schande.“ Viel Überredungskunst brauchte der damalige JT-Direktor Hans-Gunter Klein, um die Halbjüdin Barbara 1964 zum Gastspiel in Göttingen zu bewegen. Umso bewegender war das Ergebnis, als das Eis gebrochen war. Bevor er wieder abreist, kann sich Schröder einen Abstecher zu Cron & Lanz nicht verkneifen. 60 Pfennig habe in seiner Studienzeit ein Kaffee gekostet, an dem er zwei Stunden lang genippt habe. Kuchen sei damals noch nicht ’drin gewesen. Heute eigentlich auch nicht mehr – aber aus anderen Gründen. Auch JT-Intendant Nico Dietrich ist zum Arte-Dreh mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder hinzugestoßen. Die unterschiedlichen Spielstätten sollen ebenfalls Drehorte sein. Im Garten des heutigen Lumiére, wo die französische Sängerin Barbara 1964 aufgetreten ist, hat sie ihr heute durch die Warteschleife der Stadtverwaltung hallendes Göttingen-Lied verfasst. Da sie für ihr Gastspiel auf einem Flügel bestand, auf der Bühne aber nur ein Pianino stand, mussten Techniker und Studenten einen Flügel aus Privatbesitz demontieren und dorthin tragen. Das Lied sei in Deutschland weniger bekannt als in Frankreich, merkt Schröder an. Auch Musikerin und Ex-Modell Carla Bruni, die Lebensgefährtin des ehemaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, habe das Göttingen-Lied gesungen. Gehört hat Schröder diese Version allerdings noch nicht: „Sarkozy muss mir das irgendwann mal schicken.“ Von Kuno Mahnkopf