Filmdreh vor 60 Jahren: Ein Göttinger Zeitzeuge erinnert sich

Exakt 60 Jahre ist die Premiere Films „Fabrik der Offiziere“, der auf dem gleichnamigen Roman von Hans Hellmut Kirst beruht, am Dienstag, 29. Dezember 2020, her. Regisseur Frank Wisbar drehte den Antikriegsfilm, der sich mit den Gräueln des Zweiten Weltkriegs befasst, nahezu komplett in der damaligen Filmstadt Göttingen. Aufnahmen am Waageplatz und nahe Dransfeld sind in der Verfilmung zu sehen, der Großteil entstand aber im Studio des Filmateliers Göttingen auf dem heutigen Industriegebiet in Grone. Das Gebäude steht übrigens noch immer – auf dem Sartorius-Campus wird es als Lagerhalle genutzt. „ Ein großer Teil des Films bildet den militärischen Gerichtsprozess ab. Das wurde alles im Filmatelier gedreht“, weiß Sven Schreivogel vom Filmbüro Göttingen. Derzeit erarbeiten er und sein Team eine Dokumentation zur Göttinger Filmgeschichte. Dabei setzen sie auf Gespräche mit Zeitzeugen, etwa 50 Menschen hätten sich in den vergangenen zwei Jahren gefunden, die über ihre Erlebnisse bei Filmdrehs in Göttingen berichten. Einer von ihnen ist Wolfgang Zuse: Er fungierte bei den Dreharbeiten zu „Fabrik der Offiziere“ als Komparse und militärischer Berater. Lesen Sie auch In Göttingen gedrehter Fernsehfilm wiederentdeckt Göttinger Film Die Witwen: Zahlreiche Leser melden sich nach Bericht Göttingen-Tatort: So läuft der Dreh unter Corona-Bedingungen Göttinger Film „Fabrik der Offiziere“ feiert 1960 Premiere „Ich kam gerade von der Bundeswehr“, erinnert sich Zuse, „als für den Dreh militärische Berater gesucht wurden“. Er sprach vor und bekam die Rolle als Leutnant Schmidt – und die Funktion als militärischer Berater der Filmcrew. „Es waren viele junge Schauspieler dabei, die konnten nicht marschieren“, sagt Zuse und lacht. Nach dem Rhythmus von „Wildgänse rauschen durch die Nacht“ musste der damals 23-jährige Zuse den Darstellern das richtige Marschieren beibringen. Auch die unterschiedlichen Verhaltensweisen der Offiziere zeigte der damalige Englisch- und Sportstudent den Schauspielern: „Ein hochrangiger Offizier brüllt nicht herum, sondern gibt klare Befehle“, erläutert er ein Beispiel von vielen. Lange Drehtage und kurze Nächte: Während des sechswöchigen Drehs waren die Tage lang: „Ich wurde um 7.45 Uhr abgeholt, dann ging es in die Maske. Ungeschminkt durfte niemand vor die Kamera treten“, berichtet Zuse. Schweißtropfen auf der Stirn wären unangebracht gewesen. Und der Tag endete erst, wenn alle geplanten Szenen im Kasten waren – „das war ungeheuer anstrengend“. Eine Szene, in der es eine Rauferei gab, musste 32 mal wiederholt werden, bis der Regisseur damit zufrieden war. „Nichts ging glatt vonstatten“, sagt Zuse. „Wenn ich jetzt einen Film sehe, verstehe ich, welcher ungeheure Aufwand betrieben wird, um Filmszenen in die Endfassung zu bringen. Da hat der normale Zuschauer keine Vorstellung von.“ Die Situation am Set spitzte sich aufgrund der langen Arbeitstage immer mehr zu, es kam schließlich zum Streik. Ausschlaggebend war eine weitere lange Nacht auf dem Schloss Weilburg in Hessen, das für die Außenaufnahmen der Offiziersschule genutzt wurde. Der Dreh ging bis Mitternacht, alle mussten auf den harten, kalten Bänken in der Kirche ausharren. Als es in Göttingen weitergehen sollte, legten die vielen Studenten, die für verschiedenste Aufgaben verpflichtet worden waren, die Arbeit nieder. „Es gab einfach keinen Feierabend“, schildert Zuse den Grund. Die ganze Produktion stand still, Regisseur Frank Wisbar nahm es gelassen, während der Produzent tobte. „Der war außer sich vor Wut und hat geschrien, er werde alle verklagen“, erinnert sich Zuse. „Fassen Sie doch mal einem Studenten in die Tasche“, sei als Antwort erklungen. Nach kurzen Verhandlungen und einer Erhöhung der Gage um 50 D-Mark pro Person ging es aber doch weiter. „Ich war zwar nicht am Streik beteiligt, habe aber auch davon profitiert“, sagt Zuse. „Das muss viel schlimmer sein“: Kostüme und Uniformen waren sehr akkurat, sagt er. 1945 war seine Familie aus Hinterpommern vor den Russen geflohen. „Ich habe das Panzerfeuer gesehen und das Ende des Zweiten Weltkriegs im Niemandsland erlebt.“ Emotional in Bedrängnis hätte ihn und seine Schauspielkollegen die Authentizität aber nicht gebracht, meint er. Allerdings hätten an dem Film auch Personen jüdischen Glaubens mitgewirkt, unter anderem der Regieassistent. „Da habe ich immer gedacht, der sieht diese Offiziere und die Waffen, was muss das für den bedeuten? Das muss viel schlimmer sein“, so Zuse. Bekanntschaften und Freundschaften hätten sich aus dem Film ergeben, mit zwei seiner Schauspielkollegen steht Zuse noch heute eng in Kontakt. Und auch die Begegnungen während des Drehs werde er nicht vergessen: „Carl Lange kam auf uns zu, stellte sich vor und begrüßte uns“, das sei großartig gewesen, meint der heute 83-jährige Zuse. Schließlich sei Lange damals eine Berühmtheit gewesen. „Wir sind mit den professionellen Schauspielern sehr gut zurechtgekommen“, sagt er, mit Hauptdarsteller Helmut Griem habe er sich in Drehpausen mit Kartenspielen die Zeit vertrieben. Wertvolle Lebenserfahrung gesammelt: Er habe zahllose Geschichten am Set gehört, eine ist ihm bis heute besonders in Erinnerung geblieben, sagt Zuse. So sei Eckart von Stein, der als Organisator für Drehorte und Komparsen bei „Fabrik der Offiziere“ verantwortlich war, gleichzeitig als persönlicher Aufpasser für den wankelmütigen Montgomery Clift verpflichtet worden, während der weltbekannte Schauspieler „Faust“ drehte. Eines Tages war Clift jedoch vom Set verschwunden, von Stein musste aus Göttingen abreisen, um ihn zu suchen. Gefunden habe von Stein den Weltstar schließlich bei einem Freund in England, berichtet Zuse. Regisseur Frank Wisbar habe er als sehr freundlichen, sachlichen Menschen kennengelernt, sagt Zuse. „Er konnte mit anderen umgehen, es gab nie Zankereien.“ Die Zeit sei für ihn persönlich unheimlich wichtig gewesen, meint Zuse, er habe wertvolle Lebenserfahrung gesammelt. „Wir gehen alle ins Kino und gucken Filme. Doch wie viel Arbeit dahintersteckt, bis eine einzelne Szene fertig ist, das kann sich kaum jemand vorstellen.“ Das müsse man erlebt haben. Von Tobias Christ