Göttingen, Kassel und die komische Kunst

Oben auf dem Bücherschrank im Büro von Martin Sonntag steht ein Pokal, eindeutig eine Auszeichnung für gute Leistungen auf dem Fußballfeld. Der Chef der Caricatura-Galerie für komische Kunst in Kassel ein Kicker? Sonntag schmunzelt und winkt ab. Der Pokal stamme noch aus Zeiten, als sie in der zur Galerie gehörenden Gaststätte noch „Fußballgucken mit Freunden“ zelebriert hätten. „Damals gab es noch kein Public Viewing.“ Und Berlin wird immer noch mit Freunden geschaut, weiß der Redakteur. „Betreutes Fußballgucken“ hat er gerade an einer Kneipe dort gelesen. „Was Ernstes und was Albernes“: Was aber nun ist ein Cartoon? „Eine komische Einbildzeichnung“, erklärt Experte Sonntag wie aus der Pistole geschossen. Im Vergleich dazu die Karikatur? Es gebe Lehrmeinungen, die unterschieden in „was Ernstes und was Albernes“. Sonntag hält das für „totalen Quatsch“. Richtig sei allerdings, das eine Karikatur immer personalisiert sei. Das oder der Abgebildete sei erkennbar, das Geschehen überzeichnet. Ein Cartoon hingegen sei eben nicht personalisiert. Nur beim politischen Cartoon. Die Grenze fließen oder verschwimmen. Jedenfalls wird der Blick auf komische Zeichnungen ein wenig unscharf. „Aber das interessiert keinen“, sagt der Komik-Galerist, „Hauptsache ist, das Gelacht wird.“ Aber was ist denn witzig? „Eigentlich entscheidet darüber die ,Titanic’“, sagt Sonntag und macht aus seiner Wertschätzung für die endgültige Satirezeitschrift keinen Hehl. „Eigentlich entscheidet darüber auch die Caricatura“, scheibt er nach, „und der ,Göttinger Elch’“. WP Fahrenberg, der Erfinder dieses hochangesehenen Satirepreises, wohnt nach wie vor in Göttingen. Intelligenz und Sympathie: „One-Pager“ nennt Fahrenberg einen Cartoon ist damit ganz dicht dran an Sonntags Einbildzeichnung. Und der Comic? „Der läuft weiter“, erklärt Fahrenberg. Beides werde oft durcheinander geworfen, aber man wisse ja, was gemeint sei. Und: „Humor muss aus Intelligenz und Sympathie kommen.“ Sonntag gibt zeigt hinaus formale Kriterien für die Qualität eines Cartoons auf: Bildaufbau und Textreduktion zum Beispiel. Beides sei zu trainieren. Auch ein Ideenarchiv helfe bei der Cartoonproduktion. Was man hingegen nicht lernen kann: „Humor“, sagt Sonntag sehr ernsthaft. Wer den nicht besitze, sei eben Illustrator, und „das ist ja nicht schlimm“. „Zuchtanstalt“ Sommerakademie: In der „Sommerakademie für komische Kunst“ kann sich der künstlerische Nachwuchs von den Großen aus- und fortbilden lassen. Seit dem Jahr 2007 veranstaltet die Caricatura Galerie in Kassel zusammen mit dem Caricatura Museum Frankfurt und dem Satiremagazin Titanic jedes Jahr diese „Zuchtanstalt“, wie Fahrenberg die Akademie scherzhaft und hochachtungsvoll nennt. Ernst Kahl hat sie schon geleitet, Rudi Hurzlmeier gemeinsam mit Günter Mayer gleich zweimal. Gerhard Haderer, Franziska Becker, Til Mette, Ari Plikat, Gerhard Seyfried: die Liste der Komischen Ausbilder ist lang und illuster. Viele der Teilnehmer, die manchmal auch von Kunsthochschulen kommen, bringen künstlerische Qualitäten, Humor nicht immer, meint Sonntag. Talent hilft sicher, Routine aber auch. Erfahrung mache es einfacher, sagt Sonntag. „Profis haben einen Blick für die Situation. Den kann man schulen.“ Solche Berufsspaßmacher müssten bis zu drei Zeichnungen täglich liefern. „Jeder macht mal einen guten Witz“, erklärt Sonntag, „vielleicht auch nur einmal im Leben“. Profis hingegen müssten regelmäßig liefern. „Komik ist harte Arbeit“, zitiert der Galerist den Großmeister der komischen Kunst, Loriot. Zweite oder dritte Pointe: Und wen hält Sonntag für den Besten der Zunft?Kurz kommt er ins Grübeln. „F. K. Waechter“, sagt er dann. „Seine Freiheit, die Sicherheit des Strichs, seine Souveränität, auch noch eine zweite oder dritte Pointe in eine Zeichnung einzubauen.“ 350 bis 400 Zeichner veröffentlichten ihre Arbeiten, rechnet Sonntag dann vor. 80 bis 100 von ihnen spiele in der Zeichner-Bundesliga, „davon die Hälfte so richtig gut“. Obendrein habe jeder ja noch seinen Liebling. „Das schöne ist, dass es eine so wunderbar breite Welt ist.“ Zu den Großen zählt Sonntag auch die Träger des Satirepreises „Göttinger Elch“. Er weiß, wovon er spricht. Sonntag zählt zu Jury, die die Auszeichnung vergibt. „Die Elche unterscheiden sich deutlich untereinander, alle sind auf ihrem Gebiet die Besten. Brutstätte des Komischen: Ist Göttingen womöglich eine Brutstätte des Komischen? Fast könnte man das meinen. Georg-Christoph Lichtenberg hat hier mit seinen Aphorismen eine lustvoll-lustige Tradition begründet. Der „Göttinger Elch“ versammelt die Meister einmal im Jahr in der Stadt, um einen Jungelche ins Rudel aufzunehmen. Teil der zu einer kleinen Herde angewachsenen Preisträgergruppe sind F. W. Bernstein und Robert Gernhardt, beide mit bedeutender Göttingen-Vergangenheit. Als feste Größe in der komischen Kunst sieht Sonntag Leonard Riegel, Bildredakteur bei der Satirezeitschrift „Titanic“. Sein Geburtsort? Göttingen! Und als Riesen in der Spaßmacherriege hat Sonntag den Satiriker Martin Sonneborn ausgemacht, der für die Partei „Die Partei“ im Europa-Parlament sitzt. Und wo ist Sonneborn geboren? Genau! Elch im Rudel: Als die Gaststätte Apex noch Galerie war mit anhängender Kneipe, deren Umsätze das Kulturprogramm weitgehend finanzierte, führte WP Fahrenberg die Geschäfte der Galerie. Später dann stieg er bei der Zeitschrift „Fotografie“ ein und brachte den Untertitel „Zeitschrift für Kultur jetzt“ mit. In der Langen Geismarstraße gab es noch das Roxy, eine Bar, in der Fahrenberg mit vielen Großen der internationalen Kulturszene zusammenhockte, häufig blieben seine Gäste unerkannt. Erster Elch an Chlodwig Poth: In den 80er- und 90er-Jahren – er entwickelte inzwischen Ausstellungen – habe er viel mit der Neuen Frankfurter Schule zusammengearbeitet, sagt der Kulturmanager. Besonders von F. K. Waechter und Robert Gernhardt habe er in dieser Zeit viel gelernt. 1984 sollte in Frankfurt dann eine Ausstellung mit Werken der Neuen Frankfurter Schule stattfinden: „25 Jahre Scherz, Satire und Schiefere Bedeutung“. Die Stadt lehnte ab, erinnert sich Fahrenberg. „Frankfurt kannte die Künstler nicht.“ Im Marburger Universitätsmuseum wurde die Schau schließlich präsentiert. 32000 Besucher registrierte man dort. Sie entwickelte sich mit 42 Stationen europaweit außerordentlich erfolgreich. 1996 dann erfand Fahrenberg den „Göttinger Elch“. Auf dem Altstadtfest habe er eine Elchbrosche gesehen. „Die sollte jemand tragen, der gerade einen Preis bekommen hat“, sei ihm durch den Kopf geschossen. Den ersten Elch verlieh die Jury bei einer Ausstellung im Alten Rathaus an Chlodwig Poth, einen der Urväter der neuen Frankfurter Schule. „Das hat kaum jemand mitbekommen“, berichtet Fahrenberg. Die Elchbrosche gab es gleich, das Preisgeld und die 99 Dosen Elchrahmsuppe bekam er nachträglich. Hobby-Kabarettist aus dem Eichsfeld: Inzwischen hat sich das Elch-Rudel zu einem Who’s who der satirischer Kunst entwickelt. 23 Preisträger sind inzwischen zusammengekommen, die Crème des Genres. „Die Liste derer, die meint, sie müssten den Preis kriegen, würde für 100 Jahre Verleihungen reichen“, meint Fahrenberg. Ein ehemaliger Oberbürgermeister Göttingens habe einmal einen Hobby-Kabarettisten aus dem Eichsfeld als Preisträger vorgeschlagen, ein Missverständnis.Es habe in der Geschichte des Preises auch Künstler gegeben, die den Preis abgelehnt hätten. Loriot beispielsweise, der ihn darin bestärkt hätte, den „Göttinger Elch“ zu initiieren, wollte ihn aber auf keinen Fall haben, berichtet Fahrenberg. Auch Elke Heidenreich („immer eine gute Freundin“) habe abgewunken. Die anderen seien so viel besser, habe sie ihre Ablehnung begründet. Die Preisträger allerdings seien alle „schweinenett“, sagt Fahrenberg. „Wenn sie in der Nähe sind, kommen sie vorbei – auf einen Kaffee oder drei Bier.“ Einige allerdings, darunter F. W. Bernstein, Robert Gernhardt und Harry Rowohlt, sind inzwischen gestorben. Beste Bilder: Einen gezeichneten Jahresrückblick präsentiert präsentiert die Caricatura-Galerie für komische Kunst in Kassel derzeit in ihren Räumen im Kulturbahnhof. „Jahresrückblicke gibt es viele, aber wir haben den einzig wahren, den unnachahmlichen, den gezeichneten“, teilt die Galerie mit. Wer die Schau mit Werken von 77 Zeichnern gesehen hat, ist geneigt, der Ankündigung zu glauben. Zeichnungen von Künstlern wie die beiden Trägern des Satirepreises „Göttinger Elch“, Gerhard Glück, Rudi Hurzlmeier sowie Greser & Lenz, Hauck & Bauer, Marunde, Til Mette, Oliver Ottisch, Ari Plikat, Rattelschneck, Ralph Rute und Miriam Wurst sind dabei. Der Rundgang durch die Galerieräume lässt das ganze Jahr 2019 mit seinen größten Absurditäten – natürlich auch den kleinen – wieder aufleben auf grandios-komische Art. Die Ausstellung in der Caricatura-GalerieRainer-Dierichs-Platz 1 in Kassel, läuft noch bis zum 25. Februar. Sie ist dienstags bis sonnabends von 12 bis 19 Uhr, an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 19 Uhr geöffnet. Tickets kosten 5 Euro, ermäßigt 4 Euro. Die Epizentren und Giganten komischer Kunst: Gerhard Haderer im Deutschen Theater geehrt Kabarettist Rating erklärt den Karikaturisten Haderer Wiglaf Droste und Pit Knorr ausgezeichnet Der Göttinger Elch Caricatura-Galerie für komische Kunst Von Peter Krüger-Lenz

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