Göttinger Symphonieorchester begeistert zum Jahresausklang

Musik der Familie Strauss stand auf dem Programm des Silvesterkonzerts des Göttinger Symphonieorchesters. Zum ersten Mal seit dem Beginn dieser Konzerttradition im Jahre 1997 begaben sich die Zuhörer nicht in den Konzertsaal. Stattdessen kam das Orchester auf die Bildschirme zu ihnen nach Hause. Die Leitung hatte GSO-Chefdirigent Nicholas Milton. Das Mitte Dezember in der Lokhalle vorproduzierte Programm wurde am Silvesterabend um 19 Uhr freigeschaltet. Kurzweilig war das gut dreiviertelstündige Konzert, prall gefüllt mit langsamen und schnellen Polkas, Walzern und anderen Kompositionen von Johann Strauss Vater, Johann Strauss Sohn sowie Eduard und Josef Strauss. Es war nicht einfach die Übertragung der gewohnten musikalischen Ereignisse von der Bühne ins Wohnzimmer: Für das Medium Internet hatten die Organisatoren, zu denen vor allem der neue GSO-Geschäftsführer Alexander Busche gehörte, neue Ideen entwickelt. Begleitet wurde nämlich das Konzert von einem Live-Chat der Zuhörer, der nach etwas zögerlichem Anlauf einen digitalen Szenenapplaus nach dem anderen bescherte. Und zusätzlich gab es nicht nur jahreszeitlich passende Lyrik von Ringelnatz und Annette von Droste-Hülshoff, sehr charmant rezitiert von Alexander Busche, sondern auch professionell erstellte Filmeinblendungen. Der in touristischer Hinsicht ansprechende Innenstadt-Drohnen-Rundflug am Ende war recht hübsch, die Knüller aber waren zwei vorherige Beiträge: Zur zündend musizierten Schnellpolka „Bahn frei!“ von Eduard Strauss tuckerte die Gartetalbahn (in einem historischen Film von 1941) über den Bildschirm. Und die stimmungsvollen Bilder der beschaulich dahinfließenden Leine passten perfekt zu den Klängen des Strauss-Walzers „An der schönen blauen Donau“. Prompt gab es im Live-Chat den Eintrag „An der schönen blauen Leine“. Ursprünglich war als Dirigent für das Silvesterkonzert Christian Simonis engagiert, der seit Herbst 2020 im Ruhestand ist und nun in Magdeburg lebt. Wie eine telefonische Rückfrage bei ihm ergab, ist seine Verpflichtung nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Er soll das Silvesterkonzert 2021 und das Neujahrskonzert 2022 leiten. Simonis, als Vor-Vorgänger von Nicholas Milton von 1990 bis 2005 Chefdirigent des GSO, hatte Silvester 1997 die Tradition der GSO-Silvesterkonzerte begründet. Er wird im Jahr 2021 überdies mehrfach in Göttingen zu Gast sein: in der Veranstaltungsreihe der Torhaus-Galerie, die 2021 ihr zehnjähriges Bestehen feiert. Dass seit zwei Monaten der Konzertbetrieb auf Null heruntergefahren ist, wirkte sich sehr deutlich auf die Emotionen aus, die dieser Abend weckte, sowohl bei den Musikerinnen und Musikern auf dem Lokhallen-Podium als auch beim Publikum: Immer wieder fingen die Kameras ein Lächeln der konzentrierten und hochengagierten Instrumentalisten ein, und immer wieder war in den Chat-Kommentaren die Rede vom Glück, das diese Veranstaltung ihrem Publikum bereitete. „Danke, wunderbar, dass Sie dieses Konzert geben! nochmals Danke!!“, hieß es sieben Minuten nach Konzertbeginn, fünf Minuten später war zu lesen „Schön, dass Sie wieder bei uns im Wohnzimmer spielen“. Lesen Sie auch Göttingen; Lauritz Kawe und Klaus Hoffmann neu im Vorstand des GSO-Fördervereins 250. Geburtstag: GSO-Chefdirigent Nicholas Milton über Ludwig van Beethoven Göttinger Symphonie Orchester (GSO) spielt in voller Besetzung Video ein Das Wohnzimmer wird zum Tanzsaal: Die beschwingten Rhythmen, von Milton spannungsgeladen und mitreißend serviert, verführten zum Chat-Beitrag „Da wird das Wohnzimmer zum Tanzsaal!“ samt einem Smiley mit Herzen statt Augen. Dirigent Milton riss nicht nur sein Publikum, sondern auch sein Orchester mit, das er nachhaltig und temperamentvoll befeuerte. Den effektvollen Schlussakkord der Schnellpolka „Auf der Jagd“ von Johann Strauss Sohn markierte er mit einem energisch waagerecht in den Raum gestreckten Taktstock, so als wolle er damit einen Luftballon zerknallen lassen. Als der finale Radetzkymarsch zu Ende war, juckte es sicherlich manchem der mittlerweile 419 Zuschauer in den Händen, aber irgendwie funktioniert das Applaudieren im Wohnzimmer nicht so recht, weil der Akt des Klatschens nun mal eine Kommunikation zwischen Publikum und Podium darstellt. So gab es auch keine Zugabe, es war dann einfach Schluss. Bewegend der Kommentar eines Senioren: „Herzlichen Dank für die wunderbare Konzertdarbietung. Dank an das Orchester und seine Musiker! Dieser Sylvester-Abend, den ich hier als 86-Jähriger allein und einsam verbringe, war doch noch, dank der schönen Musik, ein High-Light zum Jahresschluss! Ich freue mich schon darauf, in der kommenden coronafreien Zeit das GSO LIVE zu erleben.“ Am Neujahrstag um 12 Uhr hatte das Video übrigens bereits 2394 Aufrufe und 105 Likes. Von Michael Schäfer