In Göttingen geborener Star-Hornist Felix Klieser veröffentlicht ein Album mit Barock-Arien

Barock-Arien hat der in Göttingen geborene Hornist Felix Klieser auf seinem neuen Album eingespielt. Im Tageblatt-Interview erzählt er, wie er aus Zufall auf die Idee für das Album kam, warum es sein persönlichstes Werk ist, weshalb er gerne nach Göttingen kommt und wofür er nachts um zwei Uhr in die Küche geht. Herr Klieser, ein Album mit Barock-Arien hätte man von Ihnen nach den Mozart-, Brahms- und Haydn-Aufnahmen nicht erwartet. Waren Sie schon immer heimlicher Barock-Fan? Das neue Album basiert auf einer Verkettung von Zufällen: Ich hatte im Internet „Cum Dederit“ von Vivaldi gehört und dachte, dass sich das gut auf dem Horn spielen lässt. Dann habe ich mir die Noten davon besorgt, etwas gespielt und dies hat total viel Spaß gemacht. Weil: Wenn man Mozart oder Brahms spielt, kennt man das alles und hat es in der KIndheit gelernt und geübt. Jetzt habe ich mich wieder wie ein Kind gefühlt, das sich Noten besorgt und wieder neue Stücke kennenlernt. Das war total toll und nett. Wie entwickelte sich dann die weitere Auswahl der Arien für das Album? Ich habe nach weiterem Repertoire gesucht, das gut für das Horn zu setzen ist. Von Johann Sebastian Bach hatte ich „Vergnügte Ruh“ gefunden. Dann habe ich gedacht, daraus ließe sich doch ein Programm entwickeln. Der Unterschied zwischen Gesang und Horn ist eigentlich sehr klein: Dinge wie Luftführung, Atmung oder Stützung sind bei Gesang und Horn identisch – nur dass beim Sänger die Stimmbänder vibrieren und beim Horn die Lippen. So entstand die Idee, daraus ein ganzes Album zu machen. Waren Sie mit Barockmusik vertraut? Ja. Ich habe schon in meiner Jugend- und Studienzeit viel Barockmusik gespielt. Es gibt für Horn ja auch barocke Hornkonzerte, z.B. von Telemann oder Vivaldi. In Kirchen habe ich viel Barockmusik wie zum Beispiel Bachkantaten aufgeführt und mir damit die Hälfte meines Studiums finanziert. Aber mit diesem neuen Album präsentiere ich mich zum ersten Mal solistisch mit Barockmusik. Gibt es eine übergeordnete Idee hinter dem Album? Der Grund ist ja immer: Warum macht man so etwas – warum spiele ich Händels Arie „Lascia Ch’io Pianga“ auf dem Horn? Den Sänger zu kopieren, würde nicht viel Sinn machen. Da würde man sich den Sänger anhören, er könnte dies besser. Meine Idee war: Man nimmt bestimmte Stücke, die die Leute auch schon kennen, lässt den Text weg und hat dann nur noch die Musik. Dann kann man schauen, was in der Musik noch an Emotionen und Ausdrucksmöglichkeiten steckt, die der Text so nicht hat. Und der zweite Punkt: Was passiert mit den Arien, wenn man sie mit den Klangfarben und der Dynamik des Horns spielt? Wird das eine andere, eine neue Musik? Nimmt man sie ganz neu wahr oder bleibt sie identisch? Lesen Sie auch: Hornist Felix Klieser spielt in Göttingen mit dem Fuß Die Arien wirken bei Ihnen ganz anders! Das schöne an den ausgewählten Barockstücken ist, dass sie alle mit Klangfarben spielen. Es sind ja keine virtuosen, sondern eher ruhige Werke und dadurch steckt sehr viel Emotionalität drin. Jeder hat bei dieser Musik seine eigenen Bilder im Kopf. Es geht für mich nicht darum aus welchem Kontext die Arie stammt, welche Texte dort gesungen werden oder aus welcher Oper sie stammt. Es geht darum, die Musik auf sich wirken zu lassen. Und zu schauen: Was passiert da mit mir. Empfinde ich etwas, habe ich Assoziationen, habe ich Bilder? Deshalb auch der Album-Titel „Beyond Words“? Genau! Meine Erfahrung ist, dass über den Text hinaus wesentlich mehr in der Musik drin steckt. Deshalb war „Beyond Words“ die übergeordnete Idee, das Album zu machen. Wolfgang Renz hat alle Kompositionen neu arrangiert und etwas ganz Neues geschaffen. Händels „Halleluja“ beispielsweise ist im Original kraftstrotzend mit euphorischem Chor und Pauken. Bei ihnen wirkt das Stück zart und bekommt eine neue Leichtigkeit. Wollten Sie eine neue Klangwelt erschaffen? Wie es der Sänger singt, so spiele ich es auch auf dem Horn – da ist nichts weggestrichen oder hinzugefügt. Beim Chor spiele ich einfach die Oberstimme. Wolfgang Renz hat das Orchester arrangiert. Beim „Halleluja“ hat man ja ein riesiges Orchester und Chor, und bei Bachs „Vergnügte Ruh“ hat man einen kleinen Orchesterapparat. Die Besetzung des Orchesters „Chaarts Chamber Artists“ in Zürich war mit zwölf Personen relativ klein, sehr kammermusikalisch. Wie sind Sie mit der Hornstimme umgegangen? Ich habe an den Tonarten rumprobiert aus der Perspektive eines Hornisten. Das war für mich eine ganz neue Erfahrung. Denn auf ein Stück, das ich spiele, habe ich normalerweise ja keinen Einfluss. Bei diesem Album hatte ich bestimmte Ideen im Kopf: Ich versuchte die Tonart zu finden, in der sich das Horn am besten entwickeln kann. Es ist aber nicht so entscheidend was ich rüberbringen wollte, es viel wichtiger was die Leute dabei empfinden! Wie setzten sie barocke Tonverzierungen und Koloraturen um? Es gibt für das Horn auch Verzierungsregeln. Wenn ich eine Verzierung spiele, muss sie allerdings dem Stück dienen – sie darf die Komposition nicht in den Schatten stellen. Ich habe mir bei sehr vielen Sängern die Verzierungen angehört und geschaut, was lässt sich horntypisch umsetzen – zum Beispiel wie bei Vivaldi-Hornkonzerten. Mein Spiel ist deshalb eine Mischung aus dem, was ein Sänger singt und was für das Horn passt. Man kann diese Musik als Barockmusik hören, aber auch als zeitlose Musik – ja sogar jenseits des Genres Klassik. Das Spannende ist die Frage, warum man Musik, die Jahrhunderte alt ist, spielt? Das Faszinierende ist, dass genau die selben Themen, Probleme, Sorgen, Nöte beschrieben und behandelt werden, die heute aktueller denn je sind. Zwischenmenschlichkeit, Liebe, Hass sind Grundpfeiler, die uns Menschen ausmachen. Ich finde es wichtig, diese Musik zu spielen und zu zeigen, dass wir Menschen schon immer gleich waren, das wir schon immer an den selben Problemen genagt haben, dass wir schon immer die selber dummen Fehler gemacht haben und nichts draus gelernt haben. Das macht diese Musik so besonders und zeitlos. Durch die Arrangements und ihrem verinnerlichten Hornspiel wirkt die CD sehr kontemplativ – fast schon meditativ. War das beabsichtigt? Die Stärke des Horns liegt in einzelnen Klangfarben, die Emotionen kommunizieren – im Gegensatz zu virtuosen Instrumenten wie Geige, Klavier oder Trompete bei denen es auch um abgefahrene Technik geht. Entstanden ist ein Album, bei dem es wirklich um Klangfarben und Klangästhetik geht. Das habe ich nicht bewusst so ausgesucht, sondern es hat sich so entwickelt. Bisher waren Sie Diener und Interpret von Komponisten. Ist dies Barock-Album ihr persönlichstes Album? Das ist so! Es ist auch das Album, das mir am meisten Spaß gemacht hat. Diesmal konnte ich noch mehr machen als würde ich ein Mozart-Album aufnehmen – denn da weiß ich, was am Ende bei rauskommen soll. Bei diesem Album wusste ich bis einen Tag vor der Aufnahme nicht, ob es eine gute Idee war oder ob der Schuss nach hinten losgeht. Wir hatten die Arrangements, aber ich hatte sie zuvor nie gespielt. Deshalb war ich ein bisschen nervös als ich im August zu den Aufnahmen nach Zürich reiste. Ich war erleichtert als ich merkte, dass das was ich mir vorgestellt hatte, sich auch umsetzen ließ. Das war ein besonderes Kribbeln, das man bei Stammliteratur nicht hat. Sie sind in Göttingen geboren und aufgewachsen. Wie hat die Stadt Sie musikalisch geprägt? Sehr stark. Ich habe hier sehr viel mit dem Pianisten Michael Schäfer gespielt. Auch bei „Jugend Musiziert“ war ich in Göttingen zugange. Ich freue mich immer wieder in Göttingen aufzutreten. Da zu spielen wo einen die Leute kennen, ist immer etwas anderes: Da will ich besonders schön spielen und mich nicht blamieren. Wie haben Sie den Lockdown genutzt? Ich habe im letzten Jahr so wenig geübt, wie noch nie in meinem Leben! Zwei, drei Monate habe ich gar nicht gespielt. Nur wenn ein Streaming-Konzert anstand, habe ich geübt. Danach hatte ich das Horn wieder in die Ecke gestellt. Wenn nichts ansteht, beschäftige ich mich gerne mit anderen Dingen. Mit Hobbys? Beispielsweise habe ich mich früher gar nicht so mit Kochen beschäftigt. Aber jetzt hatte ich Zeit, mir viele Youtube-Videos anzuschauen, wie man Gemüse besonders aromatisch zubereitet. Wenn ich so etwas sehe, dann fange ich nachts um zwei Uhr an, Paprika zu schneiden und das gleich auszuprobieren. Von Udo Hinz