Komponist und Musiktheoretiker: 400. Todestag von Michael Praetorius

2021 ist das Jahr von Michael Praetorius – einem der bedeutendsten Komponisten des 17. Jahrhunderts. Am Montag, 15. Februar, jährt sich sein 400. Todestag. Von ihm stammt das berühmte Arrangement des Liedes „Es ist ein Ros‘ entsprungen“, er verbreitete unter anderem die venezianische Mehrchörigkeit in Deutschland, und seine Lehrschrift „Syntagma Musicum“ ist die bedeutendste Musikenzyklopädie seiner Zeit. Das Werk von Praetorius verbindet die Musik der Renaissance mit dem Frühbarock. Anlässlich des Jubiläumsjahres spricht Prof. Andreas Waczkat vom Lehrstuhl für Historische Musikwissenschaft am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Göttingen im Tageblatt-Interview über Praetorius’ Schaffen. Waszkats Arbeitsschwerpunkt ist die Musik des 16. bis 18. Jahrhunderts, er hält den Eröffnungsvortrag zur Landesausstellung über Praetorius in Wolfenbüttel. Welche musikalischen Wurzeln hatte Michael Praetorius? Praetorius‘ Vater war als Lehrer an der Lateinschule in Torgau ein Kollege von Johann Walter, dem lutherischen Urkantor. Die protestantische Lateinschule mit ihrem humanistischen Bildungsideal bestimmt auch Praetorius‘ musikalische Wurzeln. Wie veränderte er die Stilistik von der Renaissance zum Barock? Praetorius hat sich durch intensives Studium von vornehmlich italienischer Musik zeit seines Lebens als Komponist weiterentwickelt. Irgendwo in seinem Schaffen eine Epochengrenze anzunehmen, wäre reine Willkür. Lesen Sie auch Junges Theater Göttingen: Interaktiver Liederabend und Sekt mit Mayer Göttingen: Soll das Kaz in der ehemaligen Voigtschule bleiben? Händel Jubiläum in Göttingen erneut verschoben Was zeichnet ihn aus im Vergleich zu Zeitgenossen wie Hans Leo Haßler oder Heinrich Schütz? Haßler und Schütz haben die aktuelle italienische Musik jeweils vor Ort, genauer: in Venedig kennengelernt. Praetorius hat sich in Wolfenbüttel alles diesbezügliche Wissen aus Büchern angeeignet. Hören kann man das in seiner Musik aber nicht. Komponisten der Frühen Neuzeit sind abhängig Beschäftigte und komponieren zuallererst, wozu sie verpflichtet sind. Praetorius‘ Pflichten als Hofkapellmeister in Wolfenbüttel unterscheiden sich grundsätzlich von denen Haßlers als Organist und Musiklehrer der Familie Fugger in Augsburg. Welche Bedeutung hat Praetorius für die Verbreitung der damaligen musikalischen Innovationen aus Italien in Deutschland? Mit Ausnahme der Oper, die auch Praetorius unbekannt geblieben ist, sind die scheinbaren Innovationen wie der Generalbass oder das groß- wie das geringstimmig besetzte Concerto unabhängig von ihm nördlich der Alpen bekannt geworden. Er ist auch nicht der erste, der diese Innovationen theoretisch reflektiert. Aber unter seinen Zeitgenossen ist er derjenige, der sie in enzyklopädischer Breite und systematischer Gründlichkeit referiert. Sein Syntagma Musicum ist das maßgebliche musikalische Konversationslexikon des frühen 17. Jahrhunderts. Der Komponist Praetorius gilt als Autodidakt. Wirkte sich dies auf sein Werk aus? Der Begriff „Autodidakt“ führt hier in die Irre. Sicherlich hat Praetorius keinen regelrechten Kompositionsunterricht gehabt. Das trifft aber auf viele seiner komponierenden Zeitgenossen ebenfalls zu. Komponisten, die wie etwa Heinrich Schütz bei einem Meister in die Lehre gegangen sind, sind eher die Ausnahme in der Frühen Neuzeit. Man darf nicht übersehen, dass die humanistische Bildung in dieser Zeit ganz substanziell auch die musikalische Bildung umfasst hat. Die Schüler der Gymnasien haben, je nach Talent, Musik bereits auf einem Niveau betreiben können, das wir heute professionell nennen würden. Ihre Lehrer, die Kantoren, sind ja Komponisten gewesen. Michael Praetorius (eigentlich Michael Schultheis) wurde um 1571/72 in Creuzburg bei Eisenach geboren und starb am 15. Februar 1621 in Wolfenbüttel. Er studierte Philosophie und Theologie in Frankfurt/Oder. Dort startete er 1587 die Laufbahn als Organist. Als musikalischer Berater wirkte er an den Höfen in Dresden, Magdeburg, Sondershausen und Kopenhagen. Seine Hauptwirkungsstätte hatte Praetorius als Hofkapellmeister in Wolfenbüttel, am Hof des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel. Er komponierte vorwiegend geistliche Musik, schrieb aber auch mehrstimmige Sätze auf bekannte Tanzmelodien. Seine dreibändige Lehrschrift „Syntagma musicum“ beschreibt musikalische Begriffe und Gattungen, Instrumente und die damalige Aufführungspraxis. Unter dem Titel „Musik im Umbruch“ feiert Wolfenbüttel 2021 das Praetorius-Jubiläum mit Konzerten, einer Ausstellung, Tanzdarbietungen und Vorträgen – soweit es Corona zulässt. Mehr Infos gibt es unter michael-praetorius-2021.de. Neben Frühformen heutiger Instrumente wie Trompete, Posaune, Harfe, Laute oder Oboe gibt es in seiner Musik Instrumente wie Dulzian, Zink, Gambe. Was zeichnete diese Instrumente aus – welche Klangästhetik hatte der Frühbarock? Wir wären gerne dabei gewesen, und gäbe es die sprichwörtliche Zeitmaschine, die uns das ermöglichte, wären wir vermutlich verblüfft. Denn das Hören hat sich in den vergangenen 400 Jahren noch viel stärker verändert als der Klang der Musik. Wir sind heute in der Lage, den Klang beispielsweise einer modernen Posaune mit dem eines historischen Instruments zu vergleichen. Dabei nehmen wir aber nur an, dass ein gegenwärtiger Posaunist ein historisches Instrument so spielt, wie es zu Praetorius‘ Zeit geklungen hat. Wir haben eine große historische Distanz zu dem, was für Praetorius‘ Zuhörerschaft unmittelbare akustische Gegenwart gewesen ist, und das betrifft nicht nur die Musik, sondern alle Bereiche der hörenden Wahrnehmung. Berühmt ist Praetorius‘ Lehrschrift „Syntagma Musicum“. Welche Bedeutung hat sie für die historische Musik- beziehungsweise Instrumentenforschung? Man reduziert das dreibändige Syntagma gerne auf den zweiten Band mit seiner umfangreichen Darstellung der musikalischen Instrumente von Praetorius‘ Gegenwart. Praetorius plante als vierten Band zudem eine Kompositionslehre – die konnte er aber nicht mehr schreiben. Oft wird übersehen, dass das Werk seinem griechischen Titel entsprechen sollte: Syntagma heißt so viel wie „sinnvoll geordnete Zusammenstellung“. Und während dabei am Ende die Frage „Wie macht man Musik?“ steht, findet man am Anfang des ersten Bandes die Frage „Warum macht man eigentlich überhaupt Musik?“. Das ist keine Fragestellung allein der Historischen Musikwissenschaft. Da ist Praetorius ganz gegenwärtig. Er stellt sogar außereuropäische Instrumente vor. War Praetorius der erste Musikethnologe? Wenn man unter Musikethnologe eine Person versteht, die mit wissenschaftlichem Interesse auf eine Kultur schaut, zu der diese Person in Distanz steht, könnte man auf diese Idee kommen. Praetorius zeigt uns aber nur Abbildungen verschiedener Instrumente, ohne irgendwelche Fragen damit zu verknüpfen. Teilweise ist er auch falschen Informationen gefolgt und nennt Instrumente „americanisch“, die tatsächlich in Westafrika zu verorten sind. Wie hat sich das Bild von Praetorius in der Forschung in den vergangenen Jahren gewandelt? Am weitesten hat wohl die Erforschung des konfessionsgeschichtlichen Umfelds geführt. Die Zeit von der lutherischen Reformation bis zum Dreißigjährigen Krieg wird inzwischen gerne als konfessionelles Zeitalter gesehen, und hier ist Praetorius ganz klar ein Akteur. Sein Vater gehört zur ersten Generation der orthodoxen Lutheraner, und auch der Wolfenbütteler Hof ist entschieden orthodox. Wenn Praetorius 1603 als Diplomat in Wolfenbütteler Diensten am Regensburger Reichstag teilgenommen und dort seine geistlichen Kompositionen aufgeführt hat, ist das eine Art Machtdemonstration. Von Udo Hinz