Neues Sündenklang-Album Jahresringe: Interview mit Sänger Mart Soer

„Jahresringe“ lautet der Titel des zweiten Albums der Band Sündenklang. Die Band ist das Soloprojekt von Stahlmann-Sänger Mart Soer. Der im Eichsfeld lebende Musiker stand im Interview in der Tageblatt-Redaktion in Duderstadt Rede und Antwort. Wie geht es Dir zurzeit? Es ist eine schwierige Zeit für uns Musiker, aber das hörst Du wahrscheinlich nicht zum ersten Mal. Ich habe die letzte Tournee im Dezember gefahren. Wenn jetzt die Touren stattfinden, im Herbst vielleicht, bin ich tatsächlich ein Dreivierteljahr ohne Shows. Dadurch bricht ja auch alles weg. Es sind ja nicht nur die Bands, sondern auch die Veranstaltungstechniker, die Locations – und gerade so kleine Läden wie das Exil. Dort gibt es ja einen neuen Termin für das Sündenklang-Konzert am 29. August. Wir hoffen noch, aber man steckt ja nicht drin. Hast ja gesehen, wie schnell das geht. Ich habe vor einigen Tagen noch mit Karl telefoniert. Er sagt, er kriegt 250 Leute in seinen Laden rein. Wenn er anderthalb Meter Platz lässt, sind es noch 50. Das kann sich ja gar nicht rechnen. Deine Bands Stahlmann und Sündenklang – wo wird da die Grenze gezogen? Die Grenze ist schwimmend ... Zum einen sind es natürlich unterschiedliche Leute, mit denen ich zusammenarbeite und zum anderen ist auch rein musikalisch ein Unterschied. Sündenklang ist elektronischer und poppiger. Stahlmann ist mehr eine Band und Sündenklang der elektronische Partner davon. Ein paar Lieder, wie „Antiheld“ oder „Wenn alles brennt“ könnten aber auch durchaus auf einem Stahlmann-Album laufen ... Ein Unterschied ist, dass es bei Sündenklang keine Gitarren gibt. Stahlmann ist da deutlich gitarrenlastiger. Ein wichtiger Aspekt ist, Sündenklang ist viel mehr textbasierend. Dadurch, dass Du eine Mischung hast zwischen Reps (Wiederholungen) und Dubsteps, kann man viel mehr Worte benutzen und kann man auch andere Themen behandeln. Das neue Sündenklang-Album wirkt sehr persönlich. Es ist das persönlichste Album, dass ich je in meinem Leben gemacht habe. Bei manchem Song habe ich auch überlegt, ob ich ihn überhaupt mit draufpacke. Aber letzten Endes ist Sündenklang ja mein Soloprojekt und so hat dann doch der ein oder andere Song den Weg gefunden. Das sagt Mart zu den neuen Songs: Wenn wir die Songs mal durchgehen: „Schnitt um Schnitt“ mit der Textzeile „für den großen Erfolg einfach zu viel Gewissen“ … Ich bin jetzt im zwölften Jahr in dem Geschäft und man erlebt viele, viele Dinge, wo man sich entscheiden muss, was man tut. Manchmal tut man das Richtige, manchmal tut man das Falsche. Gibt es prägnante Entscheidungen, wo Du sagst, das war komplett blöd? Es gibt immer Entscheidungen, bei denen man nachher denkt, man hätte das auch so und so machen können. Da hat ja jeder seine Entscheidungen im Leben. Wenn man einfach viele gewissenlose Entscheidungen erlebt und diese hinterfragt, muss man gucken, das man auf seinem Weg bleibt. Das Lied ist also auf Dich bezogen. Und „Staub“? Im Großen und Ganzen sind alle Songs persönlich. Es gibt Songs, die einfach ein bisschen mehr ausgeschmückt sind als andere. Ich kann es vielleicht so erklären: Nur weil ein Song davon handelt, dass jemand getötet wird, heißt das nicht, dass ich nachts losziehe und jemanden töten will. Es geht im Endeffekt darum, Bilder zu malen. Die Bilder sind auf dem Album schon persönlicher als es je bei irgend einem Album war. Es ist aber nicht jedes Wort wörtlich zu sehen ist, sondern es sind oft Metaphern. So klingt „Staub“ von Sündenklang: In dem Zusammenhang ist „Wenn alles brennt“ schon der Song, bei dem man am ehesten nachfragt, was dahinter steckt. Dadurch, dass ich viel unterwegs bin, quatsche ich auch viel mit den Fans. Gerade in der Gothic-Szene bekommt man wirklich viele Eindrücke. Deswegen ist es gut, zwischendrin auch mal darauf hinzuweisen. Wenn man sieht, was für Probleme es bei vielen Leuten gibt, muss man einfach auch mal sagen: Leute, guckt mal hin. Da greift man dann auch solche Themen auf (Anmerkung der Redaktion: Der Song behandelt das Thema Missbrauch). Ich glaube, dass man als Künstler eine gewisse Verantwortung hat, die Leute an Dinge zu erinnern, die auch wichtig sind. Das heißt nicht, dass ich damit sage, Du musst das oder das tun. Es geht darum, jemanden zum Nachdenken anzuregen. Das ist einfach superwichtig. Du sprachst die Gothic-Szene an. Darum dreht sich „Schwarze Götter“? Die Szene zerfällt langsam immer mehr, was die Menge der Leute betrifft. Die Leute machen – gerade auch jetzt in die diesen Zeiten – alles nur noch allein. Man soll dabei nicht vergessen, das ist eine richtig tolle Szene, weil die Leute einfach so gut miteinander umgehen. Das will ich damit einfach ein bisschen mehr rauskehren. Ich mache schon so lange Musik, es gibt keine friedlicheren Festivals. Und es gibt auch kaum Szenen, die sich untereinander gegenseitig zuhören. Diese Menschlichkeit, die da stattfindet, die ist schon etwas besonderes. Das persönlichste Lied ist wohl das Lied „Von Träne zu Regen“. Das Lied ist für meinen Papa. Meine Eltern sind innerhalb weniger Monate gestorben. Da habe ich dann auch erstmal einen kleinen Cut gemacht für mich. Eigentlich wollten wir mit dem Album ja auch schon viel früher rauskommen. Das war während der Stahlmann-Tour. Da habe ich dann gesagt: Tut mir leid, ich muss nach Hause und mich um meine Familie kümmern. Das habe ich dann auch gemacht. Dadurch hat sich alles verschoben. Und da habe ich dann ein bisschen verarbeitet. „Du bist mein Licht“ … Ursprünglicherweise ist der Song für meine Mama. Das ist der älteste Song auf der Platte. In der Version nicht, aber geschrieben habe ich ihn schon vor etwa sieben Jahren. Für die Aufnahme habe ich dann meine Freundin Leandra Ophelia Dax angerufen, weil ich wollte, dass eine weibliche Stimme dabei ist. Der Cellist von Letzte Instanz, Benni Gerlach, hat das Cello eingespielt dafür. Und Patrick Nevian ist ja sowieso für die Musik mitverantwortlich auf dem ganzen Album. Der hat das Piano gespielt. So hat jeder seinen Song bekommen. Tanzbar: Sündenklangs „Antiheld“: Wie würdest Du „Antiheld“ in kurzen Worten beschreiben? Das Lied ist auf jeden Fall etwas zum Tanzen. Wie Du vorhin schon gesagt hast, hätte es auch bei Stahlmann gut reingepasst, wenn man es mit Gitarren gespielt hätte. Wir haben aber bei Sündenklang gerne auch Songs, bei denen man sich bewegen kann. Da hat sich „Antiheld“ angeboten. Zusammen mit „Staub“ sind das die Clubnummern, damit man auch ein bisschen Platz hat zum Feiern. „1000 Stimmen“ ist auch eine sehr schöne Metapher, finde ich. Im Endeffekt sitzt ein Gott in einer Zelle, ist irgendwo eingesperrt und hört die ganze Zeit die Stimmen, wird aber ruhiggestellt, kann nichts dagegen tun und steht dem Ganzen hilflos gegenüber. Stell Dir vor, er ist wirklich auf Erden und dann wird er eingesperrt. Was willst Du mit „Auf den Weg“ ausdrücken? In dem Song geht es darum, dass man sich, egal wie schwer es ist, wieder aufmacht. Auch wenn Du in den Untergang läufst, irgendwann kommst Du dann doch wieder an. Zum Schluss noch „Vergeben und vergessen“ … Das ist auch die Single. Da gibt es auch ein Video dazu. Es ist eine Liebesstory. Wenn man sich oft streitet, ist es oft erst vergeben und vergessen, aber dann fängt es doch wieder von vorn an und man dreht sich im Kreis. Du merkst irgendwann, Du hängst an der anderen Person, aber irgendwie funktioniert es auch nicht mehr. Die Single: „Vergeben und vergessen“: Das sind die Pläne für die Zukunft: Die Tour hängt ja in der Luft. Wie beschäftigst Du Dich? Man kann ja nicht unendlich Lieder produzieren. Im Moment bin ich in der Promophase für das Sündenklang-Album. Und dann schreibe ich auch schon das neue Stahlmann-Album. Es ist so geplant, dass Ende August die Sündenklang-Tour losgehen soll. Da sie sich verschoben hat, geht sie direkt an die Stahlmann-Tour dran. Ich bin dann bis zum Ende des Jahres mit Stahlmann unterwegs. Im Frühjahr kommt schon das neue Stahlmann-Album. Und danach ist die Tour auch schon durchgeplant. Ich bin mit der Tourplanung schon nächstes Jahr im Oktober irgendwo. Zurzeit lässt es sich aber nur schwer planen. Das Problem ist, wenn alles umgelegt werden muss. Stell Dir vor, Du hast einen Pool von 200 Clubs und 200 Bands, die normalerweise über das Jahr verteilt spielen. Jetzt darf keiner spielen, aber jede Band muss ja irgendwann auch wieder Geld verdienen. Das heißt, es wird alles in dem Zeitraum stattfinden. So viel Platz und so viele Tage, wo gespielt werden kann, gibt es gar nicht. Dementsprechend muss ich das Album im Oktober durchhaben, damit nachher Zeit ist, um die Touren zu spielen. Wie entstehen die Songs? 90 Prozent der Songs schreiben wir im Studio. Der Vorteil ist, Du hast gleich deine Demos fertig, du hast einen vernünftigen Überblick. Du weißt gleich, in welche Richtung ein Song geht. Wenn Du einen Song im Studio schreibst, hörst Du gleich das Ergebnis. Und jeder hat eine klare Vorlage und die muss dann umgesetzt werden. Natürlich hat auch einer der Musiker eine Idee, aber das Grundgerüst passiert mit zwei Leuten. Das ist auch bei anderen Bands so, bei Eisbrecher gibt es zum Beispiel Alex und Pix. „Musik, auf die ich selber stehe“: Wie stehst Du zu den Stahlmann-Vergleichen mit Rammstein? Gerade am Anfang der Karriere hieß es immer, es klingt wie Rammstein. Sei doch mal lieber ein bisschen innovativ. Ich habe immer geantwortet: Das ist die Musik, auf die ich selber stehe. Nur, um etwas Innovatives zu machen, muss ich mir jetzt nichts Neues ausdenken und dann finde ich es nachher Scheiße. Ich mache lieber die Musik, die ich mag, als unglaublich innovativ zu sein. Das ist das Wichtigste, was Du als Künstler machen kannst, dass Du sagst: Ich find‘s gut. Man schreibt ja auch keinen Song, weil man denkt, damit möchte man jetzt groß rauskommen. Man schreibt den Song ja erstmal immer für sich. Welchen Erfolg erhoffst Du Dir für das Sündenklang-Album. Wenn das Album überhaupt in die Top100 geht - aber da schielt auch keiner drauf. Eigentlich war früher nie gedacht, dass überhaupt mal eine CD erscheint. Das ist jetzt die zweite CD, die erste war vor acht Jahren. Der kommerzielle Aspekt fällt da eigentlich komplett raus. Das jüngste Stahlmann-Album war dagegen ja gut gestartet. Die letzten fünf Stahlmann-Alben waren alle in den Top40. „Kinder der Sehnsucht“ hat Platz 36 erreicht. Wir haben auch in den deutschen Alternative-Charts fünf Singles auf Platz eins gehabt. Gut gestartet: Stahlmanns „Kinder der Sehnsucht“: Kann man von Stahlmann leben? Das, womit Du Geld verdienst, ist als Band live spielen und Merchandise. Wie Du siehst, findet im Moment nichts statt. Wie überlebt man dann ein Dreivierteljahr ohne Auftritte? Wenn ich vorher nicht so gewirtschaftet hätte, wüsste ich nicht, was ich machen soll. Es ist auch auch ein Rückhalt, dass ich keine Miete bezahlen muss, weil ich ein Haus habe. Manche Kollegen sind echt am Ende. Das ist richtig bitter. Wenn Du acht Platten gemacht hast, dann kommt auch ein bisschen Geld von der Gema. Aber bis da was kommt, das dauert. Wenn Du als neuer Musiker Deine erste Platte hast, kann die noch so gut sein. Die Leute dürfen nicht auf die Bühne, die können nicht spielen. Da gibt es keine Gema-Einkünfte. Hat sich denn bei den Gema-Einkünften überhaupt etwas getan in den vergangenen Jahren? Also ich kann jetzt nicht sagen, dass es auf einmal Bang gemacht hat auf meinem Konto. Man darf das aber auch nicht allein sehen, auch nicht die Plattenverkäufe. Ein Künstler hat von einer CD vielleicht einen Euro. Was sich aber ändert, ist, dass das Streaming den Plattenfirmen gut tut. Umgerechnet kauft jeder im Monat eine CD. Seit den 80ern, als der MP3-Wahnsinn losging, wurden so viele Raubkopien runtergeladen, dass der Plattenmarkt steil nach unten abstürzte. Die, die jetzt einen Streaming-Account haben, die laden sich keine MP3s mehr runter. Dementsprechend gibt das der Industrie einen Aufwind, weil wieder Geld in die Industrie fließt. Was dann ja auch wieder gut ist für die Bands. Die haben zwar finanziell nichts davon, aber wenn die Plattenfirmen verdienen, haben sie ja auch wieder Geld, um die Bands aufzubauen. Was läuft aktuell bei Dir im CD-Player? Stahlmann … (lacht) … ich bin ja gerade in der Stahlmann-Produktion, deshalb kann ich es Dir gar nicht so genau sagen. Ich höre da sehr viel Klassik und branchenfremde Sachen. Wenn Du Dir den ganzen Tag Gitarren um die Ohren ballerst, ist vielleicht auch mal ganz schön nach Hause zu kommen und „Für Elise“ in den CD-Player zu schmeißen. Es kommt immer auf die Produktion drauf an. Wenn ich Sündenklang mache und mich dann den ganzen Tag mit solchen Sachen umgebe, dann kommt dann auch gerne mal eine „Deaf Dumb Blind“ in den CD-Player oder auch gern mal eine alte Maiden oder Queensryches „Empire“. Vielen Dank für das Interview. Gefällt Mart: Queensryches „Empire“: Martin Soer, den alle nur Mart nennen, gehört zu den Gründungsmitglieder der Göttinger Band Stahlmann, die dem Genre der „Neuen Deutschen Härte“ zugeordnet wird. 2008 in Göttingen ins Leben gerufen, veröffentlichte die Band bereits ein Jahr später ihre Debüt-EP „Herzschlag“. Das erste Album mit dem Titel „Stahlmann“ folgte 2010. Das sechste und aktuelle Album „Kinder der Sehnsucht“ erschien 2019. Das nächste ist für das Frühjahr 2021 geplant. 2013 hatte Soer mit Sündenklang ein Nebenprojekt im Elektro-Pop gestartet. Die erste CD „Tränenreich“ erschien 2014. Am 19. Juni folgte mit „Jahresringe“ der Nachfolger. Das soll auch live vorgestellt werden. Am Sonnabend, 29. August, ist ein Konzert im Exil in Göttingen geplant. Karten können dafür schon auf der Webseite unter exil-web.de bestellt werden. Bei einer Verschiebung behalten die Tickets ihre Gültigkeit für den Ersatztermin, bestätigt Exil-Geschäftsführerin Bea Roth. Den Autor erreichen Sie per E-Mail an r.franke@eichsfelder-tageblatt.de beziehungsweise unter Telefon 05527/9499751. Von Rüdiger Franke