So gehen Göttinger Musiker mit der Corona-Krise um

„Alle Vorstellungen sind abgesagt – also kein Theater, keine Konzerte, Bigband-Proben, der Unterricht für vierzig Schüler ist abgesagt“. So beschreibt Detlef Landeck, Posaunist und Leiter der Göttinger Uni-Bigband XYJazZ, seine aktuelle Situation. So wie ihm geht es derzeit allen Profi-Musikern in der Region. Wie wollen sie in Zeiten der Corona-Krise die nächsten Wochen und Monate überleben? Das Tageblatt nahm per Mail Kontakt zu Musikern ganz unterschiedlicher Genres auf: Es gibt Ratlosigkeit aber auch erste Ideen, sich online neu aufzustellen. Angesichts des großen Einkommensausfalls empfindet es Posaunist Detelf Landeck als tolle Geste von seiner Bigband XYJazZ, dass sie ihm für einige Proben von sich aus ein Ausfallhonorar gezahlt haben. Für die nächsten Wochen hat er Hoffnung auf das Internet: Er informiert sich über die Möglichkeit, Online-Lessons zu geben – also seine Schüler via Internet zu unterrichten. Hoher Verlust durch Konzertabsagen: Der Lautenist und Gitarrist Andreas Düker ist ebenfalls zu hundert Prozent selbstständig und durch die Corona-Krise schwer getroffen. „Bisher habe ich acht Konzertabsagen und einen Verlust von über 2500 Euro, der auch nicht ersetzt wird“, so Düker. „Die Osterzeit ist für Lautenisten im Bereich der Alten Musik immer eine wichtige Zeit wegen der vielen Passionen. Auch meine eigene Reihe „Saitenwechsel“ im Parthenonsaal ist wahrscheinlich von Konzertausfällen betroffen.“ Dükers Einkommen setzen sich zur Hälfte aus Konzerteinnahmen und zur Hälfte aus Unterricht zusammen. „Ich habe noch solange unterrichtet, wie es möglich war, biete jetzt Skype-Lektionen an und schicke Stücke an meine Schüler.“ Düker überlegt, ob er sein Videoangebot ausdehnen soll und online eine Patreon-Seite einrichten soll: „Hier spenden Unterstützer regelmäßig direkt an den Künstler für seinen speziellen Content – funktioniert aber meistens nur bei genügend Abonnenten.“ Ein kleine Unterstützung ist ihm schon sicher: „Die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten hat kurzfristig 250 Euro für ihre Mitglieder bereitgestellt – eine nette Geste, aber auch nicht mehr.“ Zukunft des Unterrichts ungewiss: Die in Herberhausen lebende klassische Musikerin Julia Bartha zur aktuellen Situation: „Ich arbeite als Pianistin und Dozentin für Klavier und Korrepetition an der Hochschule für Musik und Theater ‚Felix Mendelssohn Bartholdy' in Leipzig. Am 16. März hätte das Sommersemester beginnen sollen. Durch die Schließung der Hochschule sind normaler Unterricht, Seminare und Proben nun bis zum 4. Mai nicht möglich – was danach wird, ist völlig ungewiss.“ Da Bartha unbefristet mit einer vollen Stelle an der Musikhochschule angestellt ist, bekommt sie dadurch momentan noch ein normales Gehalt. Um ihren Studierenden aber eine regelmäßige Lernkontrolle bieten zu können und ihnen ein Stückchen Normalität wiederzugeben, bietet sie jetzt Unterricht via Skype, Zoom und WhatsApp an. „Das tut ihnen und mir gleichermaßen gut, da ich meine Arbeit liebe und meine Klavier-Klasse, die Kollegen und Kolleginnen, den Arbeitsplatz Hochschule und die Stadt Leipzig schon sehr vermisse. Corona schwebt wie eine düstere Wolke über allem, aber wenn ich übe oder unterrichte und im Austausch mit meinen Studierenden bin, löst sie sich diese für diesen Zeitraum auf.“ Barthas Konzerttermine wurden noch nicht abgesagt, da diese vorwiegend in der zweiten Jahreshälfte liegen. Freie Zeit für den Online-Unterricht nutzen: Schlagzeuger Sven von Samson ist von Konzertabsagen genauso betroffen. „Ich habe neben den Auftritten aber noch Unterricht und schreibe Testberichte und Workshops für das Musikerportal bonedo. Daher bricht mir zum Glück nicht alles komplett weg – trotzdem hinterlässt jede fehlende Einnahme auch ein spürbares Loch.“ Die jetzt freie Zeit nutzt der Drummer und hat in seinem Arbeitszimmer eine Ecke für Online-Unterricht eingerichtet. „Ansonsten werde ich die Zeit für Dinge wie die Steuererklärung nutzen, Noten sortieren, mich in eine neue Notationssoftware einarbeiten und hoffentlich viele Testberichte schreiben.“ Hans Kaul arbeitet vorwiegend als musikalischer Leiter, Komponist, Arrangeur und Pianist für Theater, Festspiele und leitet Ensembles. Bei ihm sind besonders langfristige große Projekte betroffen: „Ich habe seit Oktober letzten Jahres in Kooperation mit der Händelgesellschaft die Händeloper ‚Nero’ bearbeitet und bis auf die Generalprobe auch fertig geprobt. Im Landestheater Neustrelitz hätte ich jetzt mit den Proben zu ‚Little Shop of Horrors’ beginnen sollen – die sind erst mal ausgesetzt. Die Arbeiten beim ‚boat people projekt' und für das Interkulturelle Orchester ruhen ebenfalls.“ Ausfallhonorar für geleistete Arbeit: Doch Kaul hat auch positive Botschaften erhalten: „Das Deutsche Theater will ein Ausfallhonorar für die abgesagte Vorstellungen zahlen – das empfinde ich als sehr nobel und entgegenkommend. Auch Arbeit, die ich für die nun abgesagten Händel-Festspiele schon geleistet habe, wird bezahlt. Mit der Theaterleitung von Neustrelitz bin ich im Gespräch, Online-Proben per Videokonferenz durchzuführen. Die Umstellung auf Online-Proben bedeutetet natürlich auch finanzielle Investitionen, die angesichts der drohenden Gagenausfälle wohlüberlegt sein wollen.“ Jazzpianist und Leiter der Blues’n’Boogie-Küche Gregor Kilian verlor durch die Corona-Krise Auftritte in Göttingen, Berlin, Hamburg und Frankreich. „Auch wenn ich natürlich gerne gespielt hätte, bin ich inzwischen doch eher erleichtert, keinem Risiko mehr ausgesetzt zu sein und auch andere nicht zu gefährden. Das bedeutet aber auch, dass ich gewisse Rücklagen anzapfen muss. Ich werde mich in den kommenden Wochen ein wenig ‚digitalisieren’ und plane, auch Dinge online anzubieten." Das Organisieren neuer Konzerte sei für ihn momentan schwierig, weil jeder mit sich selbst beschäftigt sei, Büros teilweise leer stehen und niemand abschätzen können, wie lange ‚Corona’ alle noch im Griff hat. Online-Konzerte und Zeit für neues Album: Wolfgang Beisert von der überregionalen aktiven Acoustic-String-Band Front Porch Picking: „Uns sind Auftritte in Baden-Württemberg abgesagt worden, doch wir planen jetzt Online-Konzerte. Zudem nutzen wir die Zeit, um ein neues Album vorzubereiten. Unser Drummer Tom Dyba mischt bereits erste Spuren ab.“ Alle Göttinger Musiker müssen sich mit der aktuellen Situation arrangieren. „Gerade kommt es mir so vor, als hätte jemand das Metronom von 150 auf 80 runtergedreht und ich genieße die langsame Taktung.“, so Drummer Sven von Samson. „Auch wenn die Ungewissheit immer wieder dumpf im Kopf herumwabert.“ Gregor Kilians Sicht auf die nächsten Wochen: „Am besten, man hält sich musikalisch fit, schreibt ein paar Arrangements für die Bands und erledigt auch sonst alle Dinge, zu denen man normalerweise nie gekommen wäre.“ Angesichts der Einkommensverluste und der ungewissen Zukunft hoffen die meisten Musiker auf eine schnelle Unterstützung durch den Staat. Andreas Düker verfolgt intensiv die Petitionen zu diesem Thema: „Ich hoffe, dass das Nothilfepaket der Bundesregierung für Kleinunternehmer und Selbstständige auch uns Künstler erreichen wird.“ Lesen Sie auch: Corona in Göttingen: Das ist die aktuelle Zahl der Infizierten Corona-Liveticker: Die aktuellen Entwicklungen in Göttingen und der Region Von Udo Hinz

Konzertabsagen und Home-Office - So gehen Göttinger Musiker mit der Corona-Krise um