Stadtführungen in Göttingen für Menschen mit Migrationshintergrund von KAZ und Migrationszentrum weiter verschoben

Sie kommen aus fünf verschiedenen Ländern, alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Doch was sie gemeinsam haben, ist, dass sie in Göttingen ein neues Zuhause gefunden haben. Damit sich auch andere Menschen mit Migrationshintergrund schnell und gut in Göttingen einleben und die Stadt bald ihr Zuhause nennen können, möchten sie den Neuankömmlingen Göttingen und seine Geschichte näher bringen – in ihrer Muttersprache oder in einfachem Deutsch. Murteza Husseini Salem kommt aus dem Iran, er ist 17 Jahre alt. Anfang der neunten Klasse kam er nach Deutschland, zuerst nach Herzberg. Ein Jahr später ging es für ihn nach Göttingen. Er spricht perfektes Deutsch, ist aufgeschlossen und redet gern. „Hier gefällt es mir wirklich gut, weil die Menschen so jung und offen sind“, erzählt Salem. „Während des Projekts habe ich meine Ortskenntnisse wirklich verbessern können, und freue mich, das Wissen bald an andere weitergeben zu können – und ihnen vielleicht die Integration zu erleichtern“, so der Schüler. Lockdown verhindert Führungen: Im März 2020 starteten die Vorbereitungen. Eigentlich sollte Ende Mai alles beendet werden, doch durch die coronabedingten Maßnahmen konnten immer noch keine Stadtführungen abgehalten werden. „Es ist beachtenswert, dass es der Gruppe gelang, durch zwei Lockdowns ihre Motivation aufrecht zu erhalten, und trotz aller Hindernisse das Projekt vor Jahresende erfolgreich zum Abschluss bringen“, findet Anne Moldenhauer, die Leiterin des KAZ, welches gemeinsam mit dem Migrationszentrum die Stadtführungen organisiert. „Die erste Stadtführung können wir leider erst nach der Lockerung der Kontaktbeschränkungen anbieten“, erklärt der Ideengeber und Teilnehmer des Projekts, Ahmad Al Hamdani aus dem Jemen. Lesen Sie auch Landkreis Göttingen veröffentlicht Comic-Buch über Göttinger Migranten Sogenannte Flüchtlingskrise: Göttinger Migrationsforscher präsentieren Ergebnisse von "Respond" „Schönste Erfolgsgeschichte“: Göttinger Migrationsprojekt als Preisträger nominiert Doch mittlerweile ist alles bereit, um nach diesem Lockdown sofort loszulegen. Die Texte sind fertig geschrieben, es wurde sich intensiv mit der Stadtgeschichte beschäftigt und an Stadtführungen der Göttinger Gästeführer teilgenommen. Mithilfe dieser Informationen wurde dann eine eigene Route entwickelt. Als Ergebnis liegt nun eine Arbeitshilfe für die ehrenamtlichen Stadtführer in einfachem Deutsch und vier weiteren Sprachen vor: Arabisch, Bengali, Persisch und Russisch. Es sollen im Laufe der Zeit noch mehr werden. Das Besondere an diesem Projekt ist nämlich, dass jeder der an den Führungen teilnimmt, auch selbst ehrenamtlicher Stadtführer werden kann. Jeder kann mitmachen: Eine große Auswahl an Sprachen für die Stadtführungen sei wichtig, erklärt Moldenhauer. Denn: In Göttingen hat mehr als jeder vierte Bürger einen Migrationshintergrund. Göttingen ist außerdem durch die Aktion der Seenotrettungsorganisation ‚Seebrücke‘ als ‚Stadt sicheren Hafens‘ eingestuft. Das bedeutet, dass die Stadt sich dazu bereiterklärt hat, mehr Geflüchtete aufzunehmen, als der Verteilungsplan vorsieht. Besonders in der Bevölkerung unter 40 Jahren gibt es einen hohen Anteil von Menschen, die nicht in Deutschland geboren wurden. Deshalb stehe es jedem offen, im Rahmen des KAZ-Projekts eine Stadtführung in seiner Sprache anzubieten – egal ob auf Rumänisch, Swahili oder Japanisch. Enden wird die Stadtführung, wo damals alles angefangen hat: im Migrationszentrum für Stadt und Landkreis Göttingen, eine Abteilung des Diakonieverbandes des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Göttingen. Hier wird die freiwillige Initiative der Stadtführungen im Rahmen des Arbeitsprojekts „Ich kann helfen – Teilhabe durch Ehrenamt“ nach Abschluss des Freiraumprojekts des KAZ weiter geführt. „ Bei diesem Projekt geht es darum, Migranten ins Ehrenamt einzuführen, vorwiegend in Bereiche, in denen Nicht-Migranten vertreten sind, beispielsweise Sportvereine oder eben wie in diesem Fall der Kultur“, so Moldenhauer. Göttingen ist nicht zuletzt wegen der international geprägten Uni eine Stadt, in der viele Kulturen zusammen kommen. Immerhin: insgesamt 27,3 Prozent der Göttinger Bevölkerung hatten 2018 einen Migrationshintergrund, der Wert liegt leicht über dem Bundesdurchschnitt, der 2020 bei genau 26 Prozent lag. Mehr als 170 verschiedenen Nationalitäten und Kulturen sind in Göttingen vertreten, die Tendenz stieg 2018, wie im Rest der Bundesrepublik, an. Unter den Kindern und Jugendlichen kann jeder dritte Göttinger einen Migrationshintergrund vorweisen. Diese Zahlen scheinen deshalb so hoch, weil 2018 der „erweiterte Migrationshintergrund“ eingeführt wurde. Damit zählen nun auch Menschen, deren Familienmitglieder migriert sind, in der Statistik. Vorher zählte nur, wer hier selbstständig einen neuen Wohnort wählte. Diese Änderung der Definition sorgte für einen Anstieg des Bevölkerungsanteils mit Migrationshintergrund von rund 13 Prozent. Von Max von Schwartz