Nur getrennt durch eine mehrspurige Straße und Hundertschaften der Bereitschaftspolizei stehen sich am Montagabend in Chemnitz die Demonstranten von zwei rivalisierenden Lagern gegenüber. Nach dem gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen am Vortag sowie Attacken von Rechtsextremen auf Ausländer aus einer Spontandemo heraus gleicht die Innenstadt einer belagerten Zone. Es seien Feuerwerkskörper und Gegenstände geworfen worden, hieß es bei der Polizei. Nach Ende der beiden Demonstrationen räumte ein Polizeisprecher Personalmangel in den eigenen Reihen ein. „In der Nacht ist alles ruhig geblieben“, sagte ein Sprecher am Dienstagmorgen.
Im Stadthallenpark protestieren mehr als tausend Menschen unter dem Motto „Nein zu Rassismus und Gewalt“ für Demokratie. Ihnen gegenüber direkt am Karl-Marx-Monument mobilisiert die rechte Szene ihre Anhänger. Sie bilden zunächst eine Art Mauer, von der eine unterschwellige Bedrohung und Provokation ausgeht. Insgesamt spricht die Polizei von mehreren Tausend Teilnehmern.
Die aggressive Stimmung macht sich bemerkbar: Feuerwerkskörper werden angezündet, Gegenstände geworfen. Mindestens zwei Menschen werden verletzt. Parolen werden skandiert, hasserfüllte Rufe durchdringen die Straßen. Nur ein Polizeikordon hält die Gruppen in aufgeheizter Atmosphäre davor zurück, aufeinander loszugehen. Immer wieder müssen einzelne Grüppchen eingefangen werden. Wasserwerfer fahren zwischen den rivalisierenden Seiten auf. Bis zum Ende der Veranstaltungen bleiben größere Zwischenfälle aus.
Kritik an wachsender Gewalt gegenüber Zuwanderern
Unterdessen wächst die Kritik an zunehmender Aggression und Gewaltbereitschaft gegen Zuwanderer. „Der Rassismus bricht sich unverhohlen Bahn“, sagte der Experte für Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung, Robert Lüdecke, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Die Gesellschaft ist stark polarisiert, Menschen äußern immer unverhohlener, welche Menschen sie in Deutschland haben möchten und welche nicht.“ In den sozialen Netzwerken werde ungehemmt gehetzt.
Gerade die rechtsextreme Szene ist aus Sicht von Stiftungs-Experte Lüdecke sehr gut vernetzt. „Sie haben inzwischen leider auch jahrelange Erfahrungen, wie sie schnell mobilisieren können.“ Soziale Netzwerke spielten dabei eine entscheidende Rolle, „um auch über den eigenen Dunstkreis hinaus Mitstreiter für Demonstrationen und andere Aktionen zu finden“. In Chemnitz gebe es eine organisierte rechtsextreme Szene und „das klassische Pegida-Mitläufertum“, unterstützt durch die Hooligan-Szene.
Denn nach Bekanntwerden des Todes des 35-Jährigen beherrschten am Sonntagnachmittag Anhänger rechtsextremer Gruppierungen die Innenstadt von Chemnitz. Knapp vier Monate nach dem Aufmarsch von Neonazis am 1. Mai steht die Stadt erneut wegen rechter Hetze gegen Migranten im Blickpunkt. Die laut sächsischem Verfassungsschutz rechtsextremistische Hooligangruppierung Kaotic aus dem Umfeld des Fußball-Regionalligisten Chemnitzer FC hatte noch am Sonntag zu einer Spontandemo aufgerufen. Rund 1000 Menschen, darunter erkennbar zahlreiche Rechte, zogen durch die Innenstadt.
Unterdessen wurden Haftbefehle gegen zwei Tatverdächtige erlassen. Die Staatsanwaltschaft wirft einem 23-jährigen Syrer und einem 22 Jahre alter Iraker gemeinschaftlichen Totschlag vor. Sie sollen mehrfach ohne rechtfertigenden Grund wie zum Beispiel Notwehr auf den Deutschen eingestochen haben. Es seien verbale Auseinandersetzungen vorangegangen, hieß es. Die Ermittler kennen das Motiv für die Bluttat noch nicht.
Rechte und Linke gegeneinander
Am Montagabend dann marschieren die Rechten wieder auf. Die rechtspopulistische Bürgerbewegung „Pro Chemnitz“ ruft zur Versammlung vor dem Karl-Marx-Monument auf. Dort wird ein Transparent mit dem Spruch „Deitsch un’ frei woll’n mer sei“ des Dichters Anton Günther (1876-1937) angebracht. Als Gegenpol fordert Die Linke in Sicht- und Hörweite ein „Nein zu Rassismus und Gewalt“. Die dazwischen liegende Brückenstraße ist noch vom Stadtfest gesperrt.
Stunden zuvor wirkt das Zentrum von Chemnitz auf den ersten Blick wie sonst auch. Letzte Buden und Bühnen des Stadtfestes, das am Sonntag wegen Sicherheitsbedenken vorzeitig beendet wurde, werden abgeräumt. Die Geschäfte haben geöffnet, Passanten bummeln vor Schaufenstern. Aber es fällt auf: Es fehlen die Gruppen junger ausländischer Männer, die sich gewöhnlich rund um den Stadthallenpark treffen. Auch die Mütter, die dort meist mit ihren Kindern spielen, sind an diesem Tag nicht zu sehen.
Von RND/dpa