Ärzte in Niedersachsen wehren sich vehement gegen „Zwangsrekrutierung“

Ein von den Regierungsfraktionen von SPD und CDU geplantes Gesetz zur Corona-Bekämpfung sorgt in Niedersachsens Ärzteschaft und auch bei der Pflegekammer für Empörung und Widerspruch. Das Gesetz sieht vor, dass bei einer „epidemischen Lage von landesweiter Tragweite“ das Sozialministerium medizinisches sowie pflegerisches Personal zwangsverpflichten kann. „Damit stößt man allen, die sich bei der Bewältigung der Krise freiwillig und engagiert beteiligt haben, geradezu vor den Kopf“, sagt Ärztekammerpräsidentin Martina Wenker der HAZ: „Ich kann nur warnen.“ Landtag stellt Katastrophenfall fest: Nach dem Gesetzentwurf, der noch beraten wird, stellt der Landtag den Katastrophenfall – die epidemische Lage – zunächst für die Dauer von zwei Monaten fest. Dadurch soll es möglich werden, eine Reihe von Grundrechten wie etwa die Berufsfreiheit außer Kraft zu setzen. Voraussetzung ist, „dass die medizinische Versorgung der Bevölkerung in Niedersachsen aufgrund der Ausbreitung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit gefährdet ist“, heißt es im dritten Paragrafen des Gesetzentwurfes, der der HAZ vorliegt. Dann übernimmt gleichsam das Gesundheitsministerium die Kontrolle und kann Personal abordnen. Ärztekammerpräsidentin Wenker, die in Niedersachsen 42.000 Mediziner vertritt, spricht von „Zwangsrekrutierungen“. Pflegekammer-Präsidentin Nadya Klarmann sagt, dies bedeute einen massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Klarmann fragt: „Wem nutzt es, wenn Pflegefachpersonen gegen ihren Willen verpflichtet werden und deshalb unmotiviert im Einsatz sind?“ „Ist das der Dank?“: Ärztekammerpräsidentin Wenker empfindet die Gesetzesvorlage als falsche Reaktion auf den bisher in Niedersachsen sehr erfolgreichen Weg der Krisenbekämpfung. „Wir haben uns alle zusammen sehr ins Zeug gelegt und nun kommt so etwas als Dank?“ Es habe zu Beginn der Krise eine „Riesenreaktion“ von Ärztinnen und Ärzten gegeben, die sich freiwillig gemeldet und ihre Hilfe angeboten hätten, darunter viele Pensionäre – bis hin zu einem 84-jährigen Gynäkologen, der anbot, Proben vorzunehmen. Auch Medizinstudenten hätten haufenweise auf einer eigens gegründeten Plattform ihre Hilfe angeboten. „Dieses hohe freiwillige Engagement brauchen wir auch bei einer zweiten und dritten Infektionswelle, die gewiss kommen wird“, sagt Wenker. „Unklug und unprofessionell“ sei hingegen der Versuch, Mediziner und Pflegekräfte zu Rekruten machen zu wollen. Auch Pflegekammer-Präsidentin Klarmann erinnert an den tatkräftigen Einsatz der Pflegekräfte in den vergangenen Monaten. „Viele Pflegende setzen sich während der Corona-Pandemie in außerordentlichem Maße für das Gemeinwohl und die Gesundheit ihrer Mitmenschen ein. Dabei setzen Pflegende oftmals sogar ihre eigene Gesundheit aufs Spiel.“ Da sei die Aussicht auf eine Zwangsverpflichtung „mehr als abschreckend“. Ärztekammerpräsidentin Wenker weist darauf hin, dass ein ähnlicher Vorschlag zur Zwangsrekrutierung in Nordrhein-Westfalen bereits aus dem Gesetzgebungsverfahren genommen worden sei, auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) habe von entsprechenden Planungen Abstand genommen. Denkbar wäre stattdessen die Aufstellung eines Freiwilligenregisters. „Da arbeiten wir gerne mit, wenn der Staat nicht die Keule zückt.“ Sollte es tatsächlich bei der geplanten Zwangsrekrutierung bleiben, werde es, so Wenker, „einen gewaltigen Aufschrei in der Ärzteschaft geben“. Fraktionschefs reagieren abwartend: Die Vorsitzenden der beiden Regierungsfraktionen SPD und CDU reagierten am Mittwoch abwartend auf die angekündigten Proteste von Ärzten und Pflegenden. „Ich glaube, die Verpflichtung haben unsere Sozialpolitiker nicht ohne Grund ins Gesetz geschrieben“, sagte die SPD-Fraktionsvorsitzende Johanne Modder. Doch werde man in der Anhörung auch über diese Gesetzespassage reden: „Kein Gesetz kommt aus der Anhörung so raus wie es reingegangen ist.“ CDU-Fraktionschef Dirk Toepffer vermied eine Vorfestlegung: „Das ist Sache der Fachpolitiker.“ Lesen Sie auch: Kirchen und Ärzte fordern Ethik-Beirat Niedersachsen beginnt mit Covid 19-Test Die Bürger haben verstanden, was los ist Das tägliche GT/ET Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Göttingen täglich gegen 17 Uhr im E-Mail-Postfach Von Michael B. Berger

Niedersachsen - Ärzte wehren sich vehement gegen „Zwangsrekrutierung“