Corona-Effekt bei Stromsperren? Im Landkreis Göttingen wurde 2020 seltener der Strom abgestellt

Positive Überraschung in der Corona-Krise: Die Zahl der Stromsperren im Landkreis Göttingen ist im Jahr 2020 gegenüber den Vorjahren deutlich zurückgegangen. Das geht aus Zahlen hervor, die die Energieagentur Göttingen bei Stromanbietern und Netzbetreibern angefragt hat. Damit geht der Trend in eine andere Richtung, als man bei der Energieagentur befürchtet hatte. Wie es dazu kommt, erklärt Energieagentur-Geschäftsführerin Doreen Fragel. 494 Stromsperren wurden im Netzgebiet des Landkreises Göttingen im vergangenen Jahr verhängt. Das bedeutet: 494 Haushalte waren mindestens zeitweise unfreiwillig ohne Strom, weil sie ihre Stromrechnungen nicht bezahlt haben. Der Unterschied zu den Vorjahren ist groß: 2018 und 2019 wurden zusammengerechnet fast 2000 Stromsperren im Landkreis verhängt, also rund doppelt so viele pro Jahr wie jetzt 2020. Stromsperren: Zahlen im Landkreis mehr als halbiert: Gemeldet wurden den Stromnetzbetreibern – im Landkreis Göttingen ist das vor allem EAM, hinzu kommen weitere Betreiber wie Harz-Energie im Osten des Landkreises sowie lokale Anbieter wie die Gemeindewerke in Bovenden und die Eichsfelder Wirtschaftsbetriebe (EWB) in Duderstadt – im Jahr 2020 nach Recherchen Fragels 4815 Androhungen von Stromsperren. Auch hier wird ein deutlicher Rückgang verzeichnet: 2018 und 2019 waren es zusammengerechnet rund 25 000 – die Zahlen haben sich also mehr als halbiert. Lesen Sie auch: 25 191 Stromsperren wurden im Landkreis Göttingen in den Jahren 2018 und 2019 angedroht – 1 920 wurden umgesetzt Fragel zeigt sich erfreut über den Trend – noch im Herbst 2020 befürchtete sie einen deutlichen Anstieg der Zahlen, weil durch die Corona-Krise viele Menschen mit weniger Geld auskommen und deshalb möglicherweise ihre Stromrechnungen nicht mehr zahlen könnten. Zwar gebe es Einschränkungen in der Aussagekraft der Zahlen, betont Fragel – doch diese seien nicht auf die aktuellen Zahlen begrenzt, sondern spielten immer in die Statistik hinein. Etwa würden auch Stromsperren in leerstehenden Wohnungen gezählt, außerdem sei die Dunkelziffer der Androhungen wohl höher. Denn die Mahnung übernehmen die Stromversorger – die Netzbetreiber setzen sie dann nur im Auftrag der Versorger um. Zur Androhung einer Stromsperre müsste es in vielen Fällen gar nicht erst kommen. Verschiedene Angebote von Organisationen wie der Energieagentur Göttingen sollen potenziell Betroffenen helfen, ihren Energieverbrauch zu reduzieren und so ihre Kosten für Strom zu senken. Ein Beispiel ist der „ Stromspar-Check “. Nach Angaben von Energieagentur-Geschäftsführerin Doreen Fragel kommen dabei geschulte Mitarbeiter in einen Haushalt, machen sich gemeinsam mit den Bewohnern auf die Suche nach Stromfressern – und bringen anschließend stromsparende LED-Lampen und Steckdosenleisten, aber auch Wasserspar-Duschköpfe und mehr vorbei. Viel Energie lasse sich mit neuen Haushaltsgeräten sparen, so Fragel. Damit auch einkommensschwache Haushalte davon profitieren, gibt es für Bezieher von Sozialleistungen Zuschüsse von der Energieagentur, Darlehen vom Jobcenter sowie Familien-Boni von den Gemeindewerken Bovenden und von Harz-Energie. Über weitere Möglichkeiten zur Beratung und zum Energiesparen berät unter anderem die Energieagentur. Rückgang durch Rücksicht in der Corona-Krise? Als Grund für den deutlichen Rückgang bei der Zahl der Stromsperren vermutet Fragel einen verstärkten Fokus auf Rücksicht und Dialog in der Corona-Krise: „Die Stromlieferanten und Netzbetreiber sind gerade in dieser besonderen pandemiebedingten Zeit darauf bedacht, dass so wenige Sperrungen durchgeführt werden wie möglich.“ Dies spiegle sich in den Zahlen wider: So habe zum Beispiel ein Netzbetreiber erklärt, dass von insgesamt 895 Stromsperraufträgen 748 abgewendet werden konnten und nur 147 durchgeführt werden mussten. Zusätzlich versuchten die Mitarbeiter, vor Ort mit den Kunden eine Einigung zu finden. Lesen Sie auch: Im vergangenen Jahr haben in Deutschland rund 289.000 Stromkunden eine Stromsperre erhalten. Das ist der niedrigsten Stand seit Beginn der Erhebungen im Jahr 2011, wie aus dem Monitoringbericht der Bundesnetzagentur hervorgeht. Ungebrochen ist jedoch gleichzeitig die Nachfrage nach Beratungen zum Thema Strom sparen: In den vergangenen Monaten habe die Energieagentur Göttingen als eingetragener Verein so viele Beratungsgespräche geführt wie selten zuvor, berichtet Fragel. Viele Menschen interessierten sich mehr denn je dafür, Strom zu sparen. Lesen Sie auch: Strom sparen im Home Office: Diese Tricks schonen die Umwelt und Ihren Geldbeutel Über die Beweggründe könne sie ausdrücklich nur Spekulationen anstellen: Einerseits habe die Corona-Krise mitnichten dazu geführt, dass das Interesse an Umwelt- und Klimaschutz zurückgeht. Vielleicht spiele aber auch der Zwang zum Sparen eine Rolle. Über die Gründe für Beratungsanfragen führe die Energieagentur aber keine Statistik, betont Fragel. Von Tammo Kohlwes