Corona-Lockdown in Göttingen: Den Einzelhändlern drohen Insolvenzen

Zwei Lockdowns, Hygienebestimmungen, die nur eine gewisse Anzahl Menschen gleichzeitig in den Geschäften erlauben, abgezählte Einkaufskörbe: Das Jahr 2020 war für den Einzelhandel in Göttingen anders als alle zuvor. Alexander Grosse, Vorsitzender des Kreisverbands Göttingen im Handelsverband Hannover, zieht im Tageblatt-Interview Bilanz über das Geschäftsjahr im Einzelhandel. Herr Grosse, wie fällt die Jahresbilanz 2020 im Göttinger Einzelhandel aus? Nach zusammen sechs Wochen der Schließung vieler Handelsgeschäfte ist die Jahresbilanz nicht erfreulich. Nach der ersten Schießung der meisten Geschäfte konnten viele Händler im weiteren Verlauf des Jahres bis November große Teile des verloren gegangenen Umsatzes, auch durch einmalige Kostenreduktion oder Lagerbestandsabbau, kompensieren. Dies ist ein zweites Mal im Dezember fast nicht mehr möglich gewesen, da gerade auch die wichtigste Umsatzwoche des Jahres für den Handel weggefallen ist. Alles dies gilt nicht für den Lebensmittelhandel. Wie ist Ihre Einschätzung: Werden weitere Geschäftsschließungen im neuen Jahr anstehen? Drohen Insolvenzen? Dies wird sicherlich auf uns zukommen, wenn nicht schnell die zugesagten Hilfen des Bundes bei vielen Händlern ankommen. Wie sieht es denn mit den Corona-Hilfen für die Einzelhändler aus? Die staatlichen Hilfen für die zwangsgeschlossenen Einzelhändler werden deutlich spärlicher als die Hilfen für die Gastronomen im November ausfallen. Die Antragstellung kann erst im Januar erfolgen, bei bisher noch nicht näher definierten Voraussetzungen. Wenn hier nicht sehr zeitnah in Geschwindigkeit und Höhe nachgebessert wird, werden einige Händler den Zeitpunkt der Auszahlung nicht mehr rechtzeitig erfahren. Wie lange kann der Göttinger Einzelhandel einen harten Lockdown noch aushalten? Natürlich ist hier jede Branche des Handels unterschiedlich zu betrachten. Die nicht von den Schließungen betroffenen Geschäfte haben hier oft wenig bis keine Probleme, andere Branchen, wie zum Beispiel Textilhändler, leiden sehr stark unter den Einschränkungen. Lesen Sie auch Eine „unglaubliche Weihnachtsgeschichte“ für Göttinger Zindelhofbetreiber Göttingen: Pressehaus Tonollo bleibt nach Übernahme doch geöffnet Göttinger Fleischer Wulff hat Filiale in der Innenstadt geschlossen Diese Traditionsgeschäfte in Duderstadt und Gieboldehausen schließen Tonollo Schließung: Auch diese Traditionsunternehmen in Göttingen haben geschlossen Gibt es Geschäftszweige, die sich mit Online-Geschäften über Wasser halten können? Zumeist profitieren hier nur die großen, die Solidargemeinschaft nur durch sehr geringe Steuerzahlungen nicht unterstützenden großen Onlinehändler. Viele der kleineren stationären Händler können allerdings mit den Online-Geschäften bei weitem nicht die Fixkosten für die jetzt nicht nutzbaren Ladenflächen generieren. Was können Händler unternehmen, um im Lockdown weiterhin Umsatz zu generieren? Es gibt verschiedenste Maßnahmen wie per Telefon, E-Mail, WhatsApp oder Online (Click & Collect) bestellte Ware abholen zu lassen. Dies ist aber vom Volumen meist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wie funktioniert der Umtausch derzeit, beispielsweise von Weihnachtsgeschenken? Der Umtausch einwandfreier Ware war schon immer eine reine Kulanzleistung des Handels. Es kann durchaus sinnvoll sein, beim Kauf von Geschenken mit Verkäufern über Möglichkeiten und Ablauf eines Umtausches zu sprechen. Es ist davon auszugehen, dass sich viele Händler auch in der besonderen Corona-Lage sehr kulant zeigen werden, um ihre Kunden nicht zu enttäuschen. Insofern wird es keine großen Auswirkungen der Ladenschließungen auf den Umtausch geben. Wie hat sich Ihrer Meinung nach das Einkaufsverhalten in diesem Jahr verändert? Viele Konsumenten haben sich, auch angesichts eigener finanzieller Einschränkungen wie zum Beispiel Kurzarbeit, in diesem Jahr beim Kauf vieler Produkte zurückgehalten. Reisen oder Kurztrips sind viel weniger nachgefragt worden, Produkte zum Verschönern des eigenen Heims haben in diesem Jahr überproportional zulegen können. Auch der Onlinehandel hat quer durch alle Branchen überdurchschnittlich profitieren können. Was bereitet Ihnen am meisten Sorge? Dass staatliche Hilfspakete nicht oder viel zu spät bei kleinen Händlern ankommen und sich durch die dann drohende Insolvenzwelle im Laufe des nächsten Jahres das Gesicht der meisten deutschen Innenstädte dramatisch wandeln wird. Und was macht Ihnen Hoffnung? Der Ausblick, dass die schnelle Impfung von großen Teilen unserer Bevölkerung eventuell im zweiten oder dritten Quartal 2021 wieder menschliche Kontakte und Interaktionen möglich macht – sei es privat, gastronomisch und natürlich auch im Handel. Auch die Rückmeldungen vieler Kunden machen Hoffnung und Mut auf ein besseres nächstes Jahr. Von Tobias Christ und Mark Bambey