Göttingen: Freie Ausbildungsplätze trotz Corona-Krise

Die betriebliche Ausbildung leidet unter der Corona-Krise, trotzt ihr aber auch. Obwohl die Unternehmen weniger Ausbildungsplätze planen, übersteigt das Ausbildungsangebot die Nachfrage. Martin Rudolph, Göttinger Geschäftsstellenleiter der Industrie- und Handelskammer (IHK), sieht gute Chancen, dass Jugendliche nicht bei der Berufswahl zurückgeworfen werden. Konkrete Zahlen für die Region hat Rudolph nicht vorliegen, bestätigt aber, dass es im IHK-Bezirk Hannover noch fast 1000 zu besetzende Ausbildungsplätze gebe – viele davon in Stadt und Landkreis Göttingen. Der Ausbildungsbeginn verschiebe sich in vielen Fällen wegen des Corona-Lockdowns um bis zu drei Monate nach dem sonst üblichen Ausbildungsstart im August. „Vieles ist noch unwägbar und hat sich verzögert, zurzeit steigt die Zahl der Ausbildungsverträge aber wieder.“ Auch die Online-Angebote sollen weiter intensiviert werden, zum Beispiel durch Meetups für Bewerbungen. Ein Fünftel weniger Ausbildungsplätze: Etwa 2000 Unternehmen haben sich an einer aktuellen Ausbildungsumfrage der IHK Niedersachsen beteiligt und wollen im Vergleich zum Vorjahr gut 20 Prozent weniger Ausbildungsplätze in Industrie, Handel und Dienstleistungen besetzen. Im IHK-Bezirk Hannover, zu dem die Landkreise Göttingen und Northeim gehören, sind es etwa 18 Prozent weniger. Die rückläufigen Ausbildungsplätze seien nicht allein auf Unsicherheiten aufgrund der Corona-Krise zurückzuführen, sondern etwa zur Hälfte auf den fehlenden Abiturjahrgang, sagt der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Ehbrecht aus dem Eichsfeld. Da das Ausbildungsangebot trotz des Rückgangs die Nachfrage übersteige, sieht auch er gute Chance für Schulabgänger. Nachholbedarf sieht Ehbrecht bei der Digitalisierung – auch bei den Berufsschulen: „Die Pandemie sollte uns nochmals wachgerüttelt haben.“ Im ländlichen Raum gebe es noch erhebliche Lücken, die „wir nun auch schnellstens beseitigen wollen und werden“. Mit ihrem Stabilisierungsprogramm für die Ausbildung setze die Bundesregierung das richtige Signal, die Betriebe bei der Fachkräfte- und Zukunftssicherung zu unterstützen: „Jetzt müssen die Zuschüsse schnell bei den Unternehmen ankommen.“ Dass die Ausbildungsbereitschaft zurückgehe, bestätigt auch Kirsten Weber, Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes Mitte. Dennoch halte der seit Jahren bestehende Trend, dass die Nachfrage das Angebot übersteigt, an. Auf einen Bewerber kämen 1,5 Ausbildungsplätze. Von den Ausbildungsprämien, die in Kürze gesetzlich verankert werden sollen, verspricht sich Weber nicht allzu viel: „Wer ausbilden will, bildet auch aus. Wer das nicht will, lässt sich auch durch eine Prämie nicht beeinflussen.“ Verzögerter Ausbildungsbeginn: Von Oktober 2019 bis Mai 2020 seien in den Landkreisen Göttingen und Northeim 2553 Ausbildungsstellen gemeldet worden, etwa elf Prozent weniger als im Vorjahr, teilt Christine Gudd von der Agentur für Arbeit mit, deren Arbeitsmarktbericht für Juni noch nicht vorliegt. 2019 sei das Niveau allerdings sehr hoch gewesen wegen des Sondereffektes des fehlenden Abi-Jahrgangs. Bei den Arbeitgebern sei eine gewisse Zurückhaltung zu spüren, trotz Corona-Krise gebe es aber nach wie vor nur wenig Stornierungen von Ausbildungsplätzen, viele Bewerbungsgespräche hätten sich verzögert. Einen Mangel an Auszubildenden gebe es wie schon seit Jahren vor allem im Lebensmittelhandwerk, sagt Gudd. Auch an Anlagentechnik, Installationshandwerk und Gastronomie zeigten junge Leute wenig Interesse. In diesem Jahr sei die Situation in der Gastronomie allerdings ein Sonderfall mit Einschränkungen aufgrund der Folgen der Corona-Pandemie für Gaststätten und Hotels. Rund drei Viertel der Betriebe haben ihre Ausbildung nach den Angaben einer aktuellen Umfrage der IHK Hannover in den vergangenen Monaten unter teilweise extremen Rahmenbedingungen in weitem Umfang aufrecht erhalten, ein Drittel der Unternehmen dabei verstärkt mobiles Arbeiten genutzt. Trotz des Corona-Lockdowns und existenzieller Unsicherheit in vielen Branchen seien in nur drei Prozent der Betriebe auch Auszubildende in Kurzarbeit gegangen – insbesondere im Hotel- und Gastgewerbe. Weniger als ein Prozent der Unternehmen habe Ausbildungsverträge coronabedingt aufgelöst. Fast 60 Prozent der niedersächsischen Betriebe planen in diesem Jahr, alle Ausbildungsabsolventen zu übernehmen. Als Gründe für eine Nicht-Übernahme werden die schwer einschätzbare wirtschaftliche Entwicklung, das Fehlen freier Stellen und mangelnde Kompatibilität von Betrieb und Auszubildenden genannt. Besonders gering ist die Übernahmequote im Gastgewerbe und unternehmensorientierten Diensten, besonders hoch im IT-Bereich, bei Banken und Versicherungen. Von Kuno Mahnkopf