Landkreis Göttingen: Staatliche Corona-Hilfen im Großen und Ganzen ausgezahlt

Mit Corona-Hilfegesetzen wollen Bund und Länder Unternehmen entlasten, die aufgrund der behördlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Covid-19-Virus in schweres Fahrwasser geraten sind. Das Bundesfinanzministerium verweist auf ein „breites Portfolio an Programmen“. Als besonders relevant werden die November- und Dezemberhilfen sowie die Überbrückungshilfe III genannt. Steuerberater, die in der Regel als sogenannte „prüfende Dritte“ die Förderanträge für die Betriebe stellen, beschäftigen sich seit einem Jahr intensiv mit den verschiedenen Hilfen und den mit ihnen verbundenen behördlich-bürokratischen Vorgaben. Der Berufsstand der Steuerberater hat nach Tageblatt-Informationen in vielen Kanzleien je einen Mitarbeiter dafür abgestellt, die immer neuen FAQs (die wichtigsten Fragen) aufzuspüren und abzuarbeiten. Auch der Steuerberater und Bundestagsabgeordnete Fritz Güntzler (CDU) spricht von einem „komplexen System“ der Fördermöglichkeiten. „Wir sind jetzt auf einem guten Weg“: Nach monatelanger Kritik von Antragstellern aus der Wirtschaft, die staatlichen Hilfen würden nicht ausgezahlt, sie würden einfach nicht ankommen, sieht Güntzler die Auszahlungen inzwischen „im Großen und Ganzen“ getätigt. „Am Anfang gab es durchaus Sand im Getriebe. Jetzt, finde ich, sind wir auf einem guten Weg“, sagt der Präsident der Steuerberaterkammer Niedersachsen. So komplex wie die gesamte Materie der Förderungen seien auch die Formulare, die es aufzufüllen gilt. Inklusive „begrifflicher Unschärfen“, wie Güntzler sagt. „Anmerkungen sind bei den online gestellten Anträgen leider nicht möglich.“ Hat zum Beispiel ein Hotelbetrieb im November 2019 renoviert und damit damals keinen Umsatz erzielt, würde er bei der November- und Dezemberhilfe (hier werden Zuschüsse gewährt in Höhe von 75 Prozent des entsprechenden durchschnittlichen Umsatzes aus dem November 2019) leer ausgehen, weil der Umsatzrückgang gar nicht darstellbar ist. Niemand soll durch das Hilfenetz fallen: Aber es werde immer wieder nachgesteuert, um auch jene zu erreichen, die durch das Hilfenetz zu fallen drohen, sagt der Christdemokrat. Er vergleicht die Vorgehensweise mit dem Aufteilen einer Torte: Vor einem Jahr sind große Stücke abgeschnitten und verteilt worden, jetzt werde darauf geachtet, dass jeder etwas vom Kuchen abbekommt. „Die Überbrückungshilfe III wird nach Gesprächen etwa mit der Dehoga und dem Einzelhandelsverband immer feingesteuerter“, sagt Güntzler. Die Mittel würden nun zügig abfließen oder seien bereits ausgezahlt, bei ÜH III liefen auf jeden Fall die Abschlagszahlungen. Mit der Überbrückungshilfe III und den letzten Änderungen daran habe die Bundesregierung die Coronahilfen vereinfacht und verbessert, erklärt Gregor Motzer für die Wirtschaftsförderung der Region Göttingen (WRG). Aus Sicht der WRG seien folgende Kritikpunkte der letzten Monate aufgegriffen worden. – Für große Unternehmen wurden die Förderhöchstbeträge deutlich von 50 000 Euro auf 1,5 Millionen Euro erhöht. Interessant für viele Unternehmen, die jetzt investieren wollen oder Innovationen planen: Es sind deutlich mehr Fixkosten erstattungsfähig, zum Beispiel Umbau- oder Renovierungskosten bis zu 20000 Euro pro Monat zur Umsetzung von Hygienekonzepten aber auch der neue Onlineshop als Investition in Digitalisierung. – Auch die Regelungen für direkt oder indirekt von Schließungsanordnungen betroffenen Unternehmen wurden verbessert. Im Unterschied zu Restaurants waren zum Beispiel Hochzeits-Caterer bei früheren Hilfen nicht antragsberechtigt, Umsatzeinbrüche geltend zu machen, da deren Kunden nicht direkt von einer Schließungsanordnung betroffen waren. Jetzt sind grundsätzlich alle Unternehmen antragsberechtigt, die einen Umsatzrückgang von mindestens 30 Prozent in einem Monat verzeichnen. Auch Betriebe, die weniger als 80 Prozent ihres Umsatzes mit Gastronomie machen, können jetzt Hilfen beantragen. So ist es zum Beispiel für eine Buchhandlung nun möglich, verlorene Umsätze durch den Verkauf von Kaffeespezialitäten anzurechnen. – Eine wichtige Änderung gab es bei der Neustarthilfe: Mit der Neustarthilfe werden Soloselbständige unterstützt, deren wirtschaftliche Tätigkeit im Förderzeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2021 Corona-bedingt eingeschränkt ist, die aber nur geringe betriebliche Fixkosten haben und für welche die Fixkostenerstattung im Rahmen der Überbrückungshilfe III daher nicht in Frage kommt. Alternativ zur Überbrückungshilfe III können diese einmalig die Neustarthilfe von bis zu 7500 Euro beantragen. Soloselbstständige können also statt einer Einzelerstattung von Fixkosten eine einmalige Betriebskostenpauschale ansetzen. Somit werden zum Beispiel Schauspieler mit kurzfristigen Engagements und freischaffende Autoren oder Webdesigner unterstützt, aber auch viele andere Berufe der Kreativwirtschaft. – Seit vergangenen Freitag neu ist eine Härtefallregelung. Manche Unternehmen sind Corona-bedingt in eine wirtschaftliche Notlage geraten, haben aber wegen spezieller Fallkonstellationen keinen Zugang zu bestehenden Hilfsprogrammen von Bund und Ländern. Diese Unternehmen können nun Härtefallhilfen beantragen, die damit die Überbrückungshilfe III ergänzen. Die Höhe der Unterstützungsleistung orientiert sich an den förderfähigen Fixkosten wie in der Überbrückungshilfe III. – Eine Hürde stellt in Einzelfällen die Pflicht dar, einen „prüfenden Dritten“ mit der Antragstellung zu beauftragen. Gerade kleine Unternehmen oder Soloselbständige arbeiten nicht immer eng mit einem Steuerberater zusammen. Wer einen Steuerberater suchte, musste Absagen in Kauf nehmen, weil oftmals die Kapazitäten zur Bearbeitung der Anträge ausgeschöpft waren. Die Steuerberaterkammer Niedersachsen hilft in diesen Fällen jedoch weiter und unterstützt mit einer Bereitschaftsliste. Nach wie vor fallen alle Unternehmen oder Selbständige durch das Raster, die nach dem 30. April 2020 gegründet wurden oder ihr Gewerbe angemeldet haben. – Aus einer Statistik der NBank vom 15. März 2021 zu den Corona-Hilfen des Bundes geht hervor, dass in Niedersachsen bei der Novemberhilfe bereits knapp 93 Prozent und bei der Dezemberhilfe knapp 85 Prozent der beantragten Summen ausgezahlt wurden. Bei der Neustarthilfe belaufen sich die ausgezahlten Zuschüsse auf 37,4 Millionen Euro, das sind 93 Prozent. Bei der Überbrückungshilfe III lassen die Zahlungen noch auf sich warten. Nach Auskunft der NBank fehlt es noch an der technischen Umsetzung der Auszahlungen. So sei die Antragstellung möglich, auch die Antragsbearbeitung sei in vollem Gange, nur die eigentliche Auszahlung sei aus technischen Gründen erst in Kürze möglich. „Wenn ich mein Wahlkreisbüro als Indikator nehmen sollte, kann ich sagen, dass die Anfragen zu den staatlichen Hilfen deutlich abgenommen haben“, so der Abgeordnete. Die Bazooka, von der Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sprach, habe wohl Ladehemmung gehabt, mutmaßt der Göttinger (mit der Bazooka wollte Scholz ab März 2020 Corona-Hilfsgelder an strauchelnde Unternehmen rausschießen). Güntzler weiß, dass die November-Hilfe erst mit Beginn des Februars ausgezahlt worden ist. „Das ist verbesserungswürdig“, sagt er. „Steuerberater kosten zusätzlich Geld“: Welche Rückmeldungen hat der Arbeitgeberverband Mitte? „Bei der Überbrückungshilfe I kamen sehr schnell Abschlagszahlungen, bei denen von Anfang an aber die Bezugskriterien nicht scharf definiert waren, mit dem Ergebnis, dass viele Bezugsberechtigte im zweiten Lockdown die Nachricht bekamen, dass die erhaltenen Beträge zurückzuzahlen waren“, erklärt Geschäftsführerin Kirsten Weber. „ÜH II lief schon über die Steuerberater. Die Unternehmer waren die hoch bürokratischen Anträge los, aber die Steuerberater kosteten die Unternehmen zusätzlich Geld“, vergleicht sie. Lesen Sie auch Corona-Hilfen: Niedersachsen zahlt eine Milliarde Euro an Unternehmen Corona-Hilfen wegen Betrugs gestoppt: Fast alle Zahlungen liegen auf Eis Mit der ÜH III würden sich die Unternehmen, so sie denn können, etwas Zeit lassen, damit nicht von Monat zu Monat einzelne Anträge gestellt werden müssten: „Da packt man dann im April das erste Quartal zusammen“, sagt Weber. Ihr Fazit zu den Überbrückungshilfen: Sehr bürokratisch, sehr langsam, für Unternehmer ohne Hilfe der Steuerberater nicht zu stemmen, aber wenn denn die ersehnte Hilfe kommt, zähle jeder Euro. So langsam würde den kleineren Unternehmen das Geld ausgehen. Wenn Handel und Gastronomie/Hotellerie und Eventbranche jetzt bis 18. April geschlossen bleiben müssen und Soloselbstständige nicht arbeiten dürfen, dann würden auch keine Überbrückungshilfen mehr helfen. Im Handwerk vor allem Friseure betroffen: Im Gegensatz etwa zu Gastronomie, Hotellerie und Einzelhandel sind die meisten Handwerksbetriebe weniger oder gar nicht von den Lockdown-Maßnahmen betroffen. „Glücklicherweise“, merkt der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Südniedersachsen, Andreas Gliem, an. „Mit Sicherheit aber die Friseure, von denen es bekanntlich sehr viele und sehr kleine gibt und die dringend auf die Auskehrung beantragter Mittel via Steuerberater und Rechtsanwälte angewiesen sind“, sagt Gliem. Bis das Geld fließt, dauere es erfahrungsgemäß lange, zu lange. Von Ulrich Meinhard