Südniedersachsen: Unternehmen sind aufgerufen, Exoskelette für sich zu entdecken

Schwere Arbeit leichter gemacht: Das ist das Prinzip sogenannter Exoskelette. Das sind Stützstrukturen für den Organismus, die vor allem das Heben schwerer Lasten und die Überkopfarbeit erleichtern sollen. Volkswagen etwa hat bereits vor neun Jahren begonnen, sich für diese Technik zu interessieren. Überhaupt sind diese Arbeitshilfen in der Industrie weitaus bekannter und eher im Gebrauch als bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU). Das soll sich ändern. Firmen aus Südniedersachsen und Nordhessen können jetzt an einer Studie teilnehmen, mit der zum einen die Wirksamkeit von Exoskeletten dokumentiert und gegebenenfalls verbessert werden soll – und zum anderen können die Betriebe den Nutzen der Arbeitshilfen für sich entdecken. In der Region kooperieren die Regionalmanagement Nordhessen GmbH, MoWiN.net e.V. Mobilitätsnetzwerk und die Fakultät Ingenieurwissenschaften und Gesundheit der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK), um eine Studie über Exoskelette voranzutreiben. Über das Projekt haben jetzt die daran beteiligten Partner informiert. Gemeinsam mit 13 weiteren Partnern und Universitäten aus sechs europäischen Ländern forschen sie an den Möglichkeiten des Einsatzes von Exoskeletten in der Praxis. Und sie suchen den Schulterschluss mit der Praxis: den KMU. „Weniger erschöpfte Mitarbeiter, weniger Fehler“: Ziel des Projektes mit dem Namen „Exskallerate“ sei es, die Einführung von Exoskeletten für Firmen in Europa zu beschleunigen, um Gesundheitsschäden vorzubeugen. Das Projekt sei eine Riesenchance für die Region, ist sich Prof. Christoph Rußmann von der Fakultät Ingenieurwissenschaften und Gesundheit an der HAWK in Göttingen sicher. Holger Hoffmann, Verwaltungsprofessor Therapiewissenschaften, Studienrichtung Physiotherapie bei der HAWK, hält fest, dass mit Hilfe von Exoskeletten Knochenjobs weniger anstrengend seien. Das Ergebnis: „Weniger erschöpfte Mitarbeiter, weniger Fehler im Unternehmen“. Der Name des Projektes Exskallerate steht für „Accelerate adoption of Exoskeletons for construction and manufacturing applications in the North Sea Region”. Bis zu 44 Millionen Arbeitnehmer in der Europäischen Union (EU) sind von arbeitsplatzbedingten Erkrankungen des Bewegungsapparates betroffen. Das entspricht einer jährlichen Gesamtkostenbelastung für die Industrie von mehr als 240 Milliarden Euro. „Die Folge sind geringere Attraktivität von Arbeitsplätzen, Bewerberknappheit und schlussendlich unbesetzte Stellen, wodurch Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit gehemmt werden“, heißt es in einer Mitteilung der Projektpartner. Das Konsortium aus Unternehmensförderungsorganisationen, Clustern, Forschungsinstituten und Universitäten will Feldlabore realisieren, in denen die wichtigsten Herausforderungen von KMU identifiziert und Exoskelette der nächsten Generation erprobt werden. Es würden zudem mehrere informative Workshops für KMU stattfinden, in denen Experten Instrumente zur Unterstützung und Entscheidungsfindung bei der Einführung von Exoskeletten vorstellen. Kontakt: Sebastian Tischler, Regionalmanagement Nordhessen GmbH, Mail: tischler@regionnordhessen.de, Tel. 0561 /970 62-208; Imke Pitz, Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Göttingen Mail: imke.pitz@hawk.de. Ein Partner von Exskallerate ist das Medizintechnikunternehmen Ottobock aus Duderstadt, das seit 2012 Exoskelette für Industrieanwendungen entwickelt. „Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht in der Fertigung hochkomplexer und technisch aufwendiger Cyborgs, die uns übermenschliche Kräfte verleihen“, erklärt Samuel Reimer, verantwortlich für das Business Development bei Ottobock Industrials. „Den großen Mehrwert, gerade für KMU, bieten bereits heute körpergetragene Assistenzsysteme, die die Belastung bei körperlich anspruchsvollen Arbeitsabläufen deutlich reduzieren.“ „Man trägt sie wie einen Rucksack“: Das Projekt Exskallerate verfügt über ein Budget in Höhe von 3,8 Millionen Euro. KUM, die sich entscheiden, an der Studie teilzunehmen (Ansprechpartner ist die HAWK), könnten gefördert werden, heißt es. Jedenfalls so lange Geld im Topf ist. Bis zu 50 Prozent Förderung seien möglich. Mechanische Exoskelette funktionieren über Seilzüge. „Man trägt sie wie einen Rucksack“, erläutert Reimer. Er spricht von einem „leichten subtilen Druck“, der von ihnen ausgeht. „Es fühlt sich an wie schwimmen – die Arme schweben im Wasser“, vergleicht er. Bei Überkopfarbeiten etwa werde das Gewicht der Arme über die Struktur auf die Hüfte geleitet. „Sie verleihen uns keine Superkräfte“: „Sie verleihen uns keine Superkräfte und sie nehmen uns keine Arbeit ab. Es sind Unterstützungssysteme, die unseren Körper entlasten“, beschreibt Björn Adomßent von der Fakultät Ingenieurwissenschaften und Gesundheit der HAWK die Wirkweise. Auf jeden Fall würden die Träger von Exoskeletten nicht zu Robotern. „Sie nehmen uns nur einen Teil der eigenen Muskelarbeit ab“, fügt er hinzu. Wichtig sei die Akzeptanz von Arbeitnehmern, es einmal mit einer solchen Hilfe versuchen zu wollen. Lesen Sie auch Ottobock holt Ex-Beiersdorf-Manager in Verwaltungsrat Übrigens: Exoskelette können mechanische, maschinelle beziehungsweise robotische Stützstrukturen sein. Sie sollen Arbeiter entlasten sowie Behinderten das Aufstehen und Umhergehen ermöglichen. Manche verfügen über einen Antrieb (aktive Exoskelette), andere nicht (passive Exoskelette). Passive Exoskelette können überall dort eingesetzt werden, wo menschliche Arbeit nicht ohne Weiteres durch Automatisierung oder Robotik-Systeme ersetzt werden könne. Von Ulrich Meinhard