Tarifstreit bei Göttinger Labordienstleister Amedes droht zu eskalieren

Mitten in der Corona-Krise brennt beim bundesweit tätigen Labordienstleister Amedes ein Tarifstreit. Die Beschäftigten der Unternehmensgruppe mit Göttinger Wurzeln kämpfen angesichts der aktuellen Mehrbelastung um eine Aufstockung ihrer Gehälter. Nachdem aber in der vergangenen Woche auch die vierte Verhandlungsrunde ohne Einigung geblieben ist, hat die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) die Gespräche abgebrochen und Tarifaktionen angekündigt. In den Verhandlungen stehen sich die Positionen derzeit scheinbar unvereinbar gegenüber. Die IG BCE fordert eine fünfprozentige Entgelterhöhung bei einer Laufzeit von zwölf Monaten und die Einführung eines Zukunftskontos. Gleichzeitig kritisiert man, dass die Arbeitgeberseite lediglich eine einmalige Corona-Prämie anbiete. Für IG BCE-Verhandlungsführer Peter Winkelmann ein völlig inakzeptabler Vorschlag, der nicht im Ansatz auf die Forderungen der rund 3000 Amedes-Beschäftigten im medizinischen Bereich eingehe. Angebot liegt vor: Das sieht man in der Amedes-Chefetage etwas anders. Man habe angeboten, sich bei einem neuen Tarifabschluss an dem bestehenden Tarifvertrag eines anderen großen Labordienstleisters Synlab auszurichten, erklärt Ulrike Sedelmaier, Leiterin Personal und Medizinrecht der Amedes-Gruppe. „Wir können nicht nachvollziehen, warum dieses durchaus attraktive Angebot mit langer Laufzeit und damit verbundener Planungssicherheit nicht auch für Amedes passen soll, da wir uns pandemiebedingt in einer absolut vergleichbaren Ausnahmesituation befinden.“ Den Synlab-Haustarifvertrag hatte die IG BCE im November 2020 ausgehandelt und als Erfolg für die Mitarbeiter verbucht. Die Gewerkschaft führt an, dass die Angestellten unter anderem durch die Auswertung von Corona-Tests seit Monaten unter extrem hoher Belastung arbeiten würden. Gleichzeitig sei der Umsatz des Unternehmens im vergangenen Jahr um einen dreistelligen Millionenbetrag höher ausgefallen als geplant und der Gewinn explodiert, so Winkelmann. Dazu sagt Sedelmaier: „Amedes hatte 2020 insgesamt ein erfolgreiches Jahr, was eben auch der besonderen Situation mit vielen Corona-Tests geschuldet war.“ Allerdings habe man durch Investitionen, 50 zusätzlich geschaffene Stellen und zwei steuerfreie Sonderzahlungen für alle Tarifbeschäftigte auch deutlich höhere Kosten in der Rechnung gehabt. Amedes ist einer der größten Anbieter von Labordienstleistungen in Deutschland und an mehr als 90 Standorten in Deutschland, Belgien, Österreich und Dubai vertreten. Die Unternehmensgruppe bietet interdisziplinäre und medizinisch-diagnostische Dienstleistungen für Patienten, niedergelassene Ärzte und Kliniken. Zudem hat Amedes das Management von deutschlandweit rund 40 Kliniklaboratorien übernommen. Ergänzt wird das Angebot durch Dienst- und Beratungsleistungen für Labore in Kliniken und Arztpraxen. Das Unternehmen beziffert die Zahl der täglichen Laboranalysen auf 400 000, die Zahl der jährlich behandelten Patienten auf 450 000. Der Grundstein für diese Entwicklung wurde 1987 mit den ersten Standorten in Göttingen und Springe gelegt. Heute gehört das Life-Science-Unternehmen mit mehr 4000 Mitarbeitern zu den größten Unternehmen in diesem Umfeld. In Göttingen betreibt Amedes ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) für Pathologie und Laboratoriumsmedizin, ein Endokrinologikum und das „MVZ-Wagnerstibbe“ für Laboratoriumsmedizin und medizinische Mikrobiologie inklusive Infektiologie. Aktuell entsteht auf der Siekhöhe zudem das Amedes-Kompetenzzentrum, in dem nach Angaben des Unternehmens bereits im Sommer 2023 insgesamt 500 Mitarbeiter beschäftigt sein sollen. Gewinner der Krise? Zudem sei Amedes nicht nur Gewinner der Corona-Krise. Das Basisgeschäft sei 2020 schwächer ausgefallen und werde auch in 2021 schwierig bleiben. Der lange Lockdown habe auch hier einen negativen Effekt. „Es ist deshalb wichtig, das Unternehmen in einem sehr intensiven Wettbewerbsumfeld auch weiterhin wirtschaftlich stabil zu halten“, so die Personalchefin. Als Beleg für die langfristige Perspektive nennt sie die Planung des Kompetenzzentrums in Göttingen. Dieses Projekt sei ein gutes Beispiel für das Bestreben von Amedes, das Unternehmen zukunftssicher aufzustellen. Man wolle weiter wachsen und müsse investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. „Die Entscheidung für ein zentrales Kompetenzzentrum in Göttingen haben wir trotz der momentanen Unsicherheiten getroffen. Dies zeigt unsere enge Verbundenheit mit der Region.“ Hier sei man seit der Gründung 1987 tief verwurzelt und hier wolle man den Mitarbeitern eine langfristige Perspektive geben. Lesen Sie auch EBR baut in Göttingen für fast 50 Millionen Euro Amedes-Kompetenzzentrum Die unsichtbare Medizin in Göttingen Eine Botschaft, die in der Belegschaft derzeit noch nicht angekommen zu sein scheint. In einer Mitteilung der Gewerkschaft wird Uta Kolaßa zitiert. Sie arbeitet als eine von 530 Mitarbeitern am Amedes-Standort Göttingen und ist Mitglied der Tarifkommission: „Meine Kolleginnen und Kollegen fühlen sich unfair behandelt und sind wütend.“ Sie würden 150 Prozent geben und ihre Arbeit nicht wertgeschätzt sehen. Wie sie auf den Abbruch der Gespräche reagieren, bleibt abzuwarten. Die Gewerkschaft kündigte Tarifaktionen an, während die Arbeitgeberseite sich gesprächsbereit gibt: „Wir nehmen die Verhandlungen jederzeit gerne wieder auf.“ Von Markus Scharf