Wirecard: Kommentar: Entzauberter Aufsteiger

Für die geschröpften Aktionäre von Wirecard ist es zweifellos eine gute Nachricht, dass jetzt ein Fachmann für Finanzkriminalität den Konzern führt. Von James Freis dürfen sie die nötige Expertise erwarten, um auch komplexe Tricksereien zu durchschauen – zudem hält der Amerikaner anders als sein Vorgänger keine eigenen Aktien an dem Unternehmen, was sich auf den Willen zur Aufklärung des seltsamen Geschäftsgebarens nur positiv auswirken kann. Unter Dax-Mitgliedern hatte nur die im Zuge der Finanzkrise kollabierte Hypo Real Estate einen herberen Kursverlust erlitten als nun Wirecard. Man erinnert sich an den Fall Enron. Der amerikanische Energiekonzern hatte über Jahre seine Bilanz aufgepumpt und mithilfe eines weitläufigen Geflechts obskurer Partnerfirmen aus Schulden erkleckliche Gewinne gezaubert. Anleger und Aufseher ließen sich von einem selbst erzeugten Hype blenden – und wurden jäh enttäuscht. Es könnte auch noch schlimmer kommen: Auch Wirecard konnte sich lange als Vorreiter eines neuartigen Geschäftsmodells inszenieren, ohne kritische Fragen fürchten zu müssen. Als der Konzern im Jahr 2018 die Commerzbank aus dem Deutschen Aktienindex (Dax) verdrängte, war von einer Zeitenwende in der deutschen Finanzszene die Rede: Ein pfiffiger Zahlungsdienstleister aus einem Vorort bei München schien den Frankfurter Branchengrößen vorzumachen, wie leicht sich mit bargeldlosem Bezahlen und Onlineshopping Geld verdienen lässt. Diese Erzählung ist nicht mehr zu halten. Aber es könnte auch noch schlimmer kommen: Enron hat die Entzauberung seiner eigenen Legende nicht lange überlebt. Lesen Sie auch: Milliardenskandal: Wirecard-Chef Braun tritt zurück Wo sind die Wirecard-Milliarden hin? Bezahlen als Geschäftsmodell: So wurde Wirecard zum Dax-Star Von Jens Heitmann