Göttinger Forscher entwickeln Modell für Neuroprothesen

Neurobiologen entwickeln Greif-Modell am Deutschen Primatenzentrum (DPZ). Zum ersten Mal können neuronale Vorgänge vom Sehen bis zum Greifen eines Gegenstandes abgebildet werden, teilt das DPZ mit. Tagtäglich machen wir mühelos unzählige Greifbewegungen. Wir notieren etwas mit dem Stift, trinken aus der Wasserflasche oder schrauben eine neue Glühbirne an. Diese Vorgänge basieren auf einem komplexen Zusammenspiel unserer Augen, verschiedener Hirnregionen und unseren Muskeln in Arm und Hand. Vom Sehen bis zum Greifen: Neurowissenschaftlern des DPZ und des Leibniz-Instituts für Primatenforschung in Göttingen ist es erstmals gelungen, ein Modell zu entwickeln, das den gesamten Bewegungsablauf vom Sehen bis zum Greifen eines Gegenstandes lückenlos abbilden kann, teilt Prof. Hansjörg Scherberger mit. Die Forscher hatten Greif-Experimente mit zwei Rhesusaffen durchgeführt. Getestet wurde, ob man beschädigte Nervenverbindungen anhand von Simulationen überbrücken kann. Die Forscher entwickelten für das Experiment ein künstliches neuronales Netzwerk, das durch das Einspeisen von Bildern in der Lage sein sollte, Abläufe und Zusammenhänge bei der Verarbeitung dieser Informationen im Gehirn zu simulieren. Nach Angaben des DPZ war die Forschung erfolgreich. Somit konnten Bewegungsbefehle vom Gehirn zu Armen und Beinen weitergeleitet werden. Das erfolgreiche Forschungsprojekt könnte die Lebensqualität von zum Beispiel querschnittsgelähmten Menschen steigern. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten langfristig Neuroprothesen verbessern, so Scherberger. Wieso wurde das Experiment an Rhesusaffen durchgeführt? Rhesusaffen verfügen wie wir Menschen über ein hoch entwickeltes Nerven- und Sehsystem sowie eine ausgeprägte Feinmotorik. Aus diesem Grund eignen sie sich besonders gut für die Erforschung von Greifbewegungen. Nach Angaben Scherbergers ist aus früheren Studien bekannt, dass bei Rhesusaffen das Zusammenspiel dreier Hirnareale für das Greifen eines anvisierten Objektes verantwortlich ist. Bisher habe jedoch kein Modell den gesamten Prozess von der Verarbeitung der visuellen Informationen bis hin zur Muskelsteuerung von Arm und Hand bis zum Greifen des Objektes lückenlos auf neuronaler Ebene abbilden können. Lesen Sie auch: Göttinger Forscher entdecken neue Affenart in Südostasien Tierschützer protestieren vor dem Deutschem Primatenzentrum in Göttingen Feinmotorik für Roboterhände - Göttinger Neurowissenschaftler erforschen gesteuerte Handprothesen – GT - Göttinger Tageblatt Für die Entwicklung des neuronalen Netzwerk-Modells wurden zwei männliche Rhesusaffen darauf trainiert, 42 Gegenstände von unterschiedlicher Form und Größe zu greifen. Dabei trugen die Affen einen Datenhandschuh, der die Bewegungen von Arm, Hand und Fingern erfasste. Zunächst wurde das zu greifende Objekt kurz angeleuchtet, während die Affen einen roten Punkt unter dem jeweiligen Objekt betrachteten und die Greifbewegung mit kurzer Verzögerung nach dem Aufblitzen eines Startsignals ausführten. Diese Bedingungen gaben Aufschluss darüber, zu welchem Zeitpunkt die verschiedenen Hirnareale aktiv waren, um, ausgehend von den visuellen Signalen, die Greifbewegung und die damit verbundenen Muskelaktivierungen zu erzeugen. Vergleich von neuronalen Abläufen bei Affen mit dem künstlichen Modell: Danach wurden die Objektbilder aus dem Blickwinkel der Affen aufgenommen und in das künstliche neuronale Netz im Computer eingespeist. Das Netzwerkmodell bestand aus drei miteinander verbundenen Stufen, die die drei kortikalen Hirnareale der Affen widerspiegelten. Nach dem Training mit den erfassten Bewegungsdaten der Affen war das künstliche Netzwerk in der Lage, die Greifbewegungen zu simulieren. Laut Prof. Hansjörg Scherberger leben derzeit etwa 1300 Primaten als „Kolonie“ im Deutschen Primatenzentrum. Die Wissenschaftler hielten keine Menschenaffen, es seien oft eher kleinere Tiere, so der Neurobiologe. „Das Ziel des Zentrum ist, Tiere für die biomedizinische Forschung zu züchten“, erklärt Scherberger. Importe von Tieren seien deshalb kaum noch notwendig. „Wir arbeiten in der Regel über einen sehr langen Zeitraum mit den Tieren. Sie haben alle eigene Namen, und wir sehen sie meist täglich“, sagt Scherberger. „Es ist wie ein Haustier für uns“, fügt er hinzu, „man entwickelt eine Bindung zum Tier“. „Vor jeder Forschung muss ich erst eine Genehmigung für die Arbeit mit den Tieren einholen“, erklärt Scherberger. Er müsse als Forscher dem Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit seine Methode erklären und begründen, wieso genau Affen für das Experiment notwendig seien und nicht Zellorganismen, Mäuse oder Ratten. In der Regel dauere es bis zu sechs Monate bis eine Rückmeldung zum Vorhaben komme. Zum Abschluss des Experiments verglichen die Forscher die Daten aus dem Affen-Experiment mit der Simulation des künstlichen neuronalen Netzwerks am Computer. Nach Angaben Scherbergers stellten sie fest, dass die Dynamik „hochgradig übereinstimmte“. Von Stefanie Grolig