Ein harter Job: Das erlebten Göttinger Boten im Spätmittelalter

Sie mussten eine eiserne Konstitution haben und waren oft tagelang unterwegs: Über Reisende im Auftrag der Stadt Göttingen im Mittelalter ist im Bielefelder Verlag für Regionalgeschichte in kleiner Auflage ein Buch erschienen. Die über den Buchhandel erhältliche Publikation trägt den Titel „Göttinger Boten und Gesandte – Reichweite und Intensität städtischer Kommunikation zwischen 1400 und 1450“. Verfasst hat sie der Göttinger Historiker Dr. Dieter Neitzert. In das Zusammentragen der Informationen und Kartierungen und seine minutiösen Schilderungen hat der 87-jährige ehemalige Vorsitzende des Göttinger Geschichtsvereins viel Herzblut und Lebenszeit gesteckt. Der wohl bekannteste Bote der Weltgeschichte war kein Göttinger, sondern ein Grieche. Der Legende zufolge lief 490 vor Christus nach dem Sieg der Athener über die Perser ein Bote die rund 40 Kilometer von Marathon nach Athen, um von der gewonnenen Schlacht zu berichten. Anschließend sei er tot zusammengebrochen. Der Geschichtsschreiber Herodot hingegen schildert den Lauf eines Boten namens Pheidippides, der Hilfe aus Sparta holen sollte, dafür nicht 40, sondern fast 250 Kilometer unterwegs war. Lücke in Stadthistorie geschlossen: Eine Gratwanderung zwischen Legende und Wirklichkeit musste Neitzert nicht vollziehen. Handfeste Quellenforschung bildet die Grundlage seines Buches. Tausende von Stunden hat der Historiker im Archiv und am Schreibtisch verbracht, um die Kommunikationskanäle Göttingens im Spätmittelalter unter die Lupe zu nehmen. Am Ende steht die Monografie, in der „erstmals ein wichtiger Zeitraum in der Kommunikationsgeschichte der Stadt Göttingen dokumentiert wurde“, wie das Institut für Historische Landesforschung der Göttinger Uni mitteilt. Neitzert, der langjähriger Mitarbeiter des Instituts gewesen ist, hat 1997 mit Eintritt in den Ruhestand die Erlaubnis bekommen, dort weiterzuarbeiten. „Das war damals keine Selbstverständlichkeit“, merkt er an. Mit dem Thema hat sich Neitzert schon befasst, als es noch keine Computer gab: „Die Geschichte der Botengänge war eine schwere Geburt, die schließlich aber doch geglückt ist.“ Die Boten und Gesandten verbanden die Stadt Göttingen mit anderen Städten und Adeligen, dem Landesherren und dem König. Neitzert hat mehr als 13.000 Botenläufe und etwa 900 Ritte von Gesandten untersucht. „Die Stadtrechnungen aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts erlauben eine recht genaue Darstellung des Nachrichtenverkehrs“, sagt er: „Die daraus erstellten Karten zeigen die Ausdehnung des städtischen Kommunikationsraumes.“ Fehden und Botenbrote: Neitzert habe das politische, personale und kommunikative Netzwerk Göttingens im Untersuchungszeitraum exemplarisch beschrieben, damit auch die Stellung der Stadt zwischen noch bestehender Abhängigkeit vom Landesherrn und sich entwickelnder Autonomie veranschaulicht, sagt Institutsleiter Prof. Arnd Reitemeier: „Die Monografie bildet daher einen überaus gewichtigen Baustein für die Geschichte der Stadt Göttingen im Mittelalter.“ Das Werk mit Klapptafeln umfasst 200 Seiten. Breiten Raum nehmen die Anhänge ein. Darin werden Ziele der Botenläufe und Gesandtenritte ebenso aufgelistet wie die Häufigkeit der von Boten angelaufenen Orte, beispielhaft Fehde- und Verwahrbriefe gegen Adelige des nordöstlichen Eichsfeldes sowie Zuschläge und Botenbrot für fremde Boten. Der gebürtige Hamburger Neitzert hat seine Kindheit bei Berlin, seine Jugend am Bodensee verbracht. Nach seiner Ausbildung zum Volksschullehrer in Bonn hat er drei Jahre lang an einer Grundschule in Köln unterrichtet, in Göttingen dann Geschichte und Germanistik studiert – und ist hier „hängengeblieben“. Seit 1963 war Neitzert in der Lehrerausbildung tätig. Lesen Sie auch: Interview: Wie gefährlich war es, in Göttingen Bote zu sein, Herr Neitzert? Von Kuno Mahnkopf

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