Homeoffice: Bei einigen Betrieben im Landkreis Göttingen ist laut Gewerkschaft „noch Luft nach oben“

Um die Zahl der Kontakte weiter zu verringern und damit das Ansteckungsrisiko mit dem SARS-CoV2-Virus zu minimieren, sollen mehr Menschen von zu Hause arbeiten. Grundlage dafür ist eine entsprechende Arbeitsschutzverordnung aus dem Bundesarbeitsministerium, die zunächst bis 15. März gelten soll. Auch im Land Niedersachsen hat die rot-schwarze Landesregierung die Unternehmen aufgefordert, die Beschäftigten möglichst von zu Hause aus arbeiten zu lassen, um die Gefahr von Neuansteckungen weiter zu senken. Eine gesetzliche Regelung ist zunächst aber nicht geplant. Dabei wird auf das Prinzip Freiwilligkeit gesetzt. Einen gesetzlichen Anspruch auf Homeoffice hat zum Beispiel der niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) abgelehnt. „Die Bereitschaft im Homeoffice zu arbeiten ist sehr hoch. Zurückblickend bin ich stolz, wie schnell wir alle den Wechsel vom „klassischen“ Arbeiten am Standort ins Homeoffice gemeistert haben“ sagt Tim Stolte, HR Manager Global Employment Concepts bei Ottobock. Die Voraussetzung für Homeoffice wurden bei Ottobock bereits zu Beginn der Pandemie geschaffen. Stolte erinnert sich: „Im März des vergangenen Jahres gab es eine globale Abfrage, um zu evaluieren, welche Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten können und wer dafür zusätzliche Ausstattung benötigt.“ Daraufhin seien Laptops, Headsets, VPN-Software als Zugang zum Netzwerk und anderes angeschafft. 65 Prozent der Ottobock-Mitarbeiter arbeiten zuhause: Wo es möglich ist, seien die Beschäftigten bereits seit Mitte März 2020 im Homeoffice tätigt, berichtet Merle Florstedt, Sprecherin der Ottobock SE & Co. KGaA. „Von den deutschlandweit über 2000 Ottobock-Mitarbeitern arbeiten derzeit 65 Prozent überwiegend im Homeoffice“, so Florstedt. Weiterhin am Standort tätig seinen dagegen die Kollegen im Produktionsbereich. „Um für sie die Arbeit so sicher wie möglich zu gestalten, haben wir unter anderem zusätzliche Schichtsysteme entwickelt, um Kontakte deutlich einzuschränken. Natürlich gelten vor Ort die gängigen Hygiene- und Abstandsregeln sowie Infektionsschutzmaßnahmen“, führt die Unternehmenssprecherin weiter aus. „Auch im Bereich Patient Care“ werde bei Ottobock vor Ort gearbeitet, sagt Florstedt. Um für Patienten und Anwender sowie Beschäftigte „das Risiko einer Infektion gering zu halten, führen wir Corona-Schnelltests durch“, ergänzt sie. Hierfür seien Kollegen extra geschult worden. Herausforderungen bei Online-Arbeit: „Die Herausforderungen sind die gleichen, wie an vielen anderen Stellen auch. Während der Kernzeiten und bei mehreren Personen pro Haushalt, die online aktiv sind, kann es mitunter zu Verbindungsproblemen während der Konferenzschaltung kommen“, beschreibt Florstedt die Erfahrungen bei Ottobock mit der Heimarbeit der Mitarbeiter. „Wir beschäftigen uns aktuell in nationalen und internationalen Projekten damit, wie wir „New Work“ für Ottobock umsetzen können. Dabei geht es unter anderem um mobiles und selbstbestimmtes Arbeiten“, so die Unternehmenssprecherin weiter. Auch bedarfsgerechte und ergonomische Ausstattung im Homeoffice sei ein zentraler Baustein davon. Neue Arbeitsmodelle werden zudem als eine wichtige Voraussetzung gesehen, „um engagierte MitarbeiterInnen für Ottobock zu begeistern“. Chance, fokussiert zu arbeiten: „Ich habe mich an die Arbeit im Homeoffice gewöhnt“, sagt Stolte und beschreibt einige Vorteile. „Man hat die Chance für sich und fokussiert zu arbeiten. Dank der technischen Möglichkeiten ist es aber auch hervorragend möglich in Gruppen zusammenzuarbeiten.“ Stolte kümmert sich bei Ottobock auch um das Gesundheitsmanagement. Daher interessiere ihn vor allem, „wie meine Kollegen und ich auch zuhause möglichst gesundheitsbewusst arbeiten können.“ Er rät, „ab und zu die Position zu verändern und auch mal im Stehen zu arbeiten.“ Mit ein bisschen Kreativität sei das auch ohne höhenverstellbaren Schreibtisch möglich. Bei Ottobock sei außerdem eine virtuelle bewegte Pause ins Leben gerufen worden. Homeoffice bei Ifas eher schwierig: Eher schwierig bis unmöglich ist Homeoffice bei der Göttinger Firma Ifas gGmbH. Ifas steht für Institut für angewandte Sozialfragen. „Das hat mit unserer Klientel zu tun“, verweist Geschäftsführer Dietmar Thiele auf rund 400 psychisch kranke Menschen, die in unterschiedlicher Weise von den Mitarbeitern des gemeinnützigen Unternehmens betreut werden. Gerade diese Personen würden Gefahr laufen, in der Pandemie-Zeit noch eher und noch mehr Angstsymptome und Depressionen zu entwickeln, als andere Menschen. Seit dem ersten Lockdown hatte sich die Ifas-Geschäftsführung entschieden, die Arbeits- und Betreuungsangebote den Umständen entsprechend anzupassen, aber weiterhin zu offerieren. Jetzt seien die Hygienevorgaben noch einmal verschärft worden. In der Praxis sieht das so aus, dass die in Kohorten eingeteilten Teilnehmer abwechselnd je eine Woche in die Arbeitsbereiche kommen, je eine Woche eine digitale Versorgung erhalten. Der Arbeitszeitbeginn sei verlagert, ein stringentes Lüftungskonzept eingeführt worden, OP-Masken beziehungsweise FFP-2-Masken würden je nach Bedarf verteilt, zählt Thiele auf. Ein Homeoffice sei kaum möglich: „Unsere Teilnehmer müssen im Face-to-Face-Kontakt versorgt werden“, betont der Ifas-Geschäftsführer. Allerdings würden die mit Laptops ausgestatteten Mitarbeiter aus dem Rechnungswesen teilweise im Homeoffice arbeiten, nämlich im täglichen Wechsel zwischen Büro und dem heimischen Arbeitsplatz. Arbeitgeber in der Pflicht: Kern der seit 25. Januar geltenden neuen „Sars-Cov-2-Arbeitsschutzverordnung“ aus dem Bundesarbeitsministerium ist: Arbeitgeber sollen ihren Beschäftigten im Fall von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anbieten, diese Tätigkeiten von zu Hause aus zu erledigen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen. „Welche Gründe das sein könnten, steht allerdings nicht in der Verordnung“, bemängelt die Arbeitsrechtsexpertin Anne-Franziska Weber von Ecovis in einer Rundmail. Ecovis ist ein deutschlandweit aktives Beratungsunternehmen, das sich auf den Mittelstand spezialisiert hat. Dennoch müsse sich der Arbeitgeber auf Verlangen der zuständigen Behörde für Arbeitsschutz hierzu umfassend erklären, ergänzt die Rechtsanwältin. Beschäftigte müssen das Homeoffice-Angebot ihres Arbeitgebers übrigens nicht annehmen, dafür gibt es keine Rechtsgrundlage – sie sollten das Angebot aus Infektionsschutzgründen freilich annehmen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. „Die Mitarbeiter brauchen Platz, aber auch die technische Ausrüstung für die Arbeit von zu Hause“, sagt Rechtsanwältin Weber. „Wenn Arbeitgeber jedoch fehlende IT-Ausstattung oder Einschränkungen der Arbeitsorganisation als Hinderungsgründe angeben, sind das aus Sicht des Bundesarbeitsministeriums keine Gründe gegen Arbeit von zu Hause“, kritisiert Weber. „Einer Pflicht zum Homeoffice hat es nicht bedurft“: Auch ihre Namensvetterin Kirsten Weber, Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbands Mitte mit Sitz in Göttingen, bemängelt die Vorgaben aus Berlin. „Alle im Arbeitgeberverband organisierten knapp 850 Unternehmen aller Branchen – vom Einzelunternehmen über kleine und mittelständische Betriebe bis hin zu Konzernen – sind sich in dieser Frage einig: Einer Pflicht, da wo es möglich ist, Angebote im Homeoffice den Mitarbeitern anzubieten, hätte es nicht bedurft“, betont Weber. Im Gegenteil: „Mit dieser Verpflichtung wird wieder der Eindruck erweckt, es liegt wieder nur an den Unternehmern, dass zögerlich von der Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, Gebrauch gemacht wird.“ Seit dem ersten Lockdown sei davon im großen Stil Gebrauch gemacht worden. „Es wurde in Technik und EDV investiert, und Arbeitsabläufe wurden umorganisiert. Das lief in einigen Betrieben auch über den Sommer“, erklärt Weber. Dass zurzeit weniger Arbeitnehmer im Homeoffice arbeiten als im ersten Lockdown, liege darin begründet, dass die Nerven der Arbeitnehmer mittlerweile blank lägen: „Der Ehepartner auch im Homeoffice, die Kinder im Homeschooling oder ohne Kitabetreuung...“, gibt die Verbands-Geschäftsführerin zu bedenken. Gewerkschaft befürwortet gesetzlichen Impuls: Gewerkschaftssekretär Mathias Heiden von der IG Bergbau, Chemie, Energie (BCE) meint hingegen: „Ich denke, der gesetzliche Impuls, Homeoffice noch stärker zu nutzen, ist genau der richtige. Die Betriebe werden ihre Hygienekonzepte nun sicherlich noch einmal justieren müssen.“ Dabei müsse in allen Branchen die Einhaltung und Dokumentation von Arbeitszeit unbedingt verfolgt werden, so die Göttinger DGB-Geschäftsführerin Agnieszka Zimowska mit Verweis auf die Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (konkrete Regeln für die digitale Arbeitswelt). Auch in den metallverarbeitenden Betrieben komme dort, wo Homeoffice möglich ist, dessen Anwendung bereits zum Einsatz, heißt es von Gewerkschaftsseite. Generell genieße der Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Industrie einen hohen Stellenwert. Dementsprechend würden neue gesetzliche Anforderung professionell, schnell und routiniert umgesetzt. Beschäftigte in Verwaltung und ähnlichen Abteilungen des Deutsche Bahn-Konzerns seien „breitflächig“ in Homeoffice. Lesen Sie auch Niedersachsen: 74 Prozent der Landesbeschäftigten im Homeoffice Niedersachsen: Landesregierung drängt Firmen zu mehr Homeoffice Jeder Fünfte würde bei dauerhaftem Homeoffice Umzug erwägen Arbeiten in Zeiten der Corona-Pandemie: So läuft’s im Homeoffice Beim Landkreis Göttingen gibt es Telearbeit schon seit fast 20 Jahren „Zum Homeoffice in den Kommunen liegen uns bislang keine belastbaren Zahlen vor. Allgemeine Beobachtung ist, dass die Vorgabe oft zurückhaltend angenommen wird auf Grund fehlender Technik, fehlenden Verständnisses für eine andere Arbeitsorganisation, auch seitens der Vorgesetzen“, schätzt Zimowska ein. Zimowskas Fazit: Viele Betriebe nutzen dabei auch Homeoffice, insbesondere bei geteilten Teams und Abteilungen. Unterm Strich gebe es sicherlich auch noch Luft nach oben – nicht in allen Betrieben, aber doch in einigen. Von Britta Eichner-Ramm und Ulrich Meinhard