Sanierung des Jüdischen Friedhofs in Mollenfelde ruft Reichsbürger auf den Plan

Die jüdische Geschichte des Ortes wieder sichtbar machen: Mit der Sanierung des jüdischen Friedhofes soll das in Mollenfelde in der Gemeinde Friedland gelingen. Inzwischen stehen wieder acht frisch sanierte Grabsteine im Halbrund unter alten Eichen in dem kleinen Wäldchen am Ortseingang nahe der niedersächsisch-hessischen Landesgrenze. Sie erinnern an Joseph, Beilah, Pesken, Jente, Fradche und Nathan. Die zum Großteil hebräischen Inschriften sind gesäubert und gut zu erkennen. „Jahrelang waren sie nicht da. Jetzt stehen die Steine wieder“, sagt Ortsbürgermeisterin Frauke Behrens. Der Landesverband der jüdischen Gemeinden von Niedersachsen finanziert die Sanierung der Steine und die Herrichtung der Friedhofsfläche. Ortsrat und Ortsheimatpflegerin Annelie Hagemann unterstützen das Projekt. Für die Sanierung liege eine Genehmigung der Denkmalbehörde vor, bestätigt Johann Schustek, Vertreter des Friedländer Gemeindebürgermeisters. „Das Projekt ist positiv im Ort angekommen“, sagt Ortsbürgermeisterin Behrens. Jüdischer Friedhof wird 1934 eingeebnet: Nachdem 1917 die letzte jüdische Familie aus Mollenfelde weggezogen war, sei 1934 der jüdische Friedhof in Mollenfelde eingeebnet und die Grabsteine entfernt worden, heißt es auf der Internetseite „Topografie der Erinnerung Südniedersachsen“. Spätestens Ende des 18. Jahrhunderts hätten sich Juden in Mollenfelde niedergelassen. Das Friedhofsgelände befindet sich seit 1959 im Besitz des jüdischen Landesverbandes. Durch Zufall seien die jetzt wieder aufgestellten Grabsteine aus dem 19. Jahrhundert vor einiger Zeit bei Arbeiten auf dem Gelände der alten Schule im Ort gefunden worden, sagt Hagemann. Doch dieses Gedenken an die jüdische Geschichte gefällt nicht jedem Anwohner im Ort. Ein sogenannter Reichsbürger aus dem Ort hat an zwei Stellen auf dem ehemaligen Friedhof auf einem Zettel einen „Baustop!“ gefordert. Bei dem Friedhof handele es sich um „aktiviertes Hoheitsgebiet“. Die Auftraggeber der Arbeiten hätten „hier keine Grund- und Bodenrechte“. Es laufe nun Anklage wegen „unrechtmäßigen“ Eingriffs in das „Hoheitsgebiet Mollenfelde“. Gezeichnet ist der Anschlag mit „Indigenatsträger :wilfried zugwurst“. Ein Wappen weist auf die Reichsbürgergruppierung „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ (GdVuSt) hin. „Grund und Boden deutscher Völker und Stämme“: Bereits im vergangenen Jahr hatte sich der Reichsbürger mit einem Brief an „Ortsrat und die jüdische Gemeinde in Hannover“ gewandt. Von „Drohungen und antisemitischen Äußerungen“ ist im Protokoll der Ortsratssitzung vom 28. August die Rede. Schon in einem Schreiben an den Vorsitzenden des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, Michael Fürst, vom Januar 2019 behaupten Reichsbürger aus Mollenfelde, dass die jüdische Gemeinde „niemals Eigentümer von Grund und Boden deutscher Völker und Stämme“ sein könne. „Derzeitige Rechte an Grund und Boden werden über die Bischöfe vom Vatikan gesteuert. Wir sehen in dieser Herrschaft die Rudelführer der mosaischen Glaubensformate oder auch wissenschaftliche-religiöse Konzentration aus den Stämmen Jakobs unter Levis Führung“, heißt es in dem Schreiben weiter. Eigentum an Grund und Boden sei nur den „Indigenaten“ vorbehalten, die nachweislich „vom Volk der Germanen“ abstammten. Wer sich „betrügerisch“ Rechte am Boden erwerbe, werde diese wieder verlieren. Der Brief schließt mit: „Hiermit untersagen wir, die Grundrechtsinhaber hiesiger Landschaft ab sofort den Jüdischen Glaubensgemeinschaften die Inanspruchnahme und Nutzung von Grund und Boden.“ Brief an Mollenfelder Ortsratsmitglieder: Ein weiterer Brief aus der vergangenen Woche, in ähnlichem Duktus, dieses Mal aber vom „Höchsten Gericht“ der GdVuSt als Absender, verweist auf diesen Brief. Er ist an die Mollenfelder Ortsratsmitglieder ergangen. Eine schriftliche Anfrage ließ das „Höchste Gericht“ der „GdVuST“ bislang unbeantwortet. Der Verbandsvorsitzende Fürst ist über die aktuellen Vorfälle in Mollenfelde informiert. Dem Mann werde ein Grundstücksverbot erteilt werden, sagte Fürst gegenüber dem Tageblatt. Inzwischen habe der Landesverband Strafanzeige wegen Sachbeschädigung und Nötigung gestellt, erklärte Fürst weiter. Die Polizei in Göttingen bestätigt den Eingang dieser Anzeige. Die Ermittlungen dazu habe das Staatsschutzkommissariat aufgenommen. Der Reichsbürger aus Mollenfelde ist kein Unbekannter. Bereits im Oktober 2018 gab es bei ihm einen Polizeieinsatz. So habe er in einem Schaufenster „auffällige Bücher ausgelegt“, die der „Reichsbürger“-Szene zuzuordnen sein dürften, schildert Jasmin Kaatz, Sprecherin der Polizeiinspektion Göttingen. Strafrechtlich habe das aber keine Relevanz gehabt. Reichsbürger: „Gefangen im System der Mächte“: Bücher finden sich derzeit nicht in dem Schaufenster. Dafür aber eine Deutschlandkarte der „aktivierten Hoheitsgebiete in Deutschland“. Südniedersachsen ist etwa mit Bad Gandersheim, Uslar und Clausthal-Zellerfeld vertreten. Auf einem Zettel daneben heißt es: „Gefangen im System der Mächte Vatikan und Weltbank Jesuiten und Zionisten Lösung! Hoheitsgebiete Selbstbestimmungsrechte in der Gemeine“ (Fehler im Original). Am Haus weht eine Fahne mit dem Wappen der „Landschaft Hannover“, eine Eiche und germanische Runen zieren das Emblem. Auf ein Klingeln an der Haustür, die im Blick einer Überwachungskamera ist, reagiert der Reichsbürger nicht, telefonisch ist er nicht zu sprechen. Mal sagt ein „Cousin Gerd Müller“ er befände sich im „Ausland“, mal geht ein „Nachbar“ ans Telefon und gibt an, der Bewohner des Hauses sei im Urlaub. Die Stimme des „Nachbarn“ ist der des „Cousins“ zum Verwechseln ähnlich. Im Ort wird der Reichsbürger als „Spinner“ belächelt. Schon immer habe es in der Familie rechte Ansichten gegeben, heißt es. Nach Auskunft von Andreas Buick, Sprecher Staatsanwaltschaft Göttingen, ist gegen den 67-jährigen Reichsbürger aus Mollenfelde aktuell Anklage wegen Erpressung in zwei Fällen erhoben worden. Er habe zwei Amtsrichter aufgefordert, mehrere 1000 Unzen Silber an ihn zu zahlen. Ein ähnliches Schreiben mit ähnlicher Forderung sei an „einen Landrat“ gegangen. „Staatsform“ und „Handelskonstrukt“: „ Die GdVuSt sei eine neuere Gruppierung innerhalb der Szen e. Dabei handelt es sich um eine Kleingruppe, die auf ihrer Website pseudo-staatstheoretisch drei ,Staatsformen’ einführt und bewertet“, beschreibt Frank Rasche, Sprecher des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Dabei werde behauptet, dass die „Staatsform im höchsten Recht (…) der Naturstaat“ sei, den die GdVuSt als eigenes „naturstaatliches“ Rechtssystem etablieren wolle. Die Bundesrepublik Deutschland werde als minderwertigste „Staatsform“ und „Handelskonstrukt“ diskreditiert, schildert Rasche. 2018 sei diese Gruppierung durch „verbalaggressive“ Schreiben aufgefallen. Die teils drastischen Drohungen hätten insbesondere eine „Inhaftierung“ der Adressaten, „Strafgebühren“ in hohen Summen und „Sippenhaft“ umfasst. Lesen Sie auch: Auch in der Region Göttingen: Rechte Störer in Gedenkstätten Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung: Im September gab es bei mutmaßlichen Mitgliedern GdVuSt Hausdurchsuchungen in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft Berlin ermitteln einem Bericht des Berliner Tagesspiegels zufolge gegen mehr als zehn Beschuldigte. Der Hauptvorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung. Zu den Straftaten soll danach auch der Versuch zählen, den inhaftierten Holocaust-Leugner Horst Mahler freizupressen. Weitere angenommene Vergehen: eine Vielzahl von Sachbeschädigungen, versuchte Nötigungen, Erpressungen und Freiheitsberaubungen. Das Motiv sei, wie bei Reichsbürgern üblich, die Überzeugung, die Bundesrepublik sei kein rechtmäßiger Staat. Die Mitglieder der Gruppierung strebten „nach der Errichtung einer eigenen Ordnung“, heißt es einer Mitteilung von Generalstaatsanwaltschaft und Polizei. Lesen Sie auch: Von AfD bis NPD: Rechte Strukturen im Raum Göttingen Reichsbürger in Südniedersachsen: Göttinger Polizei und Verfassungsschutz schätzen die Zahl der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter in den Landkreisen Göttingen und Northeim auf 90 bis 100. Darunter, laut Rasche, zwei Rechtsextremisten. „Über Verbindungen von einzelnen Reichsbürgern und Selbstverwaltern aus den Landkreisen Northeim und Göttingen zu den Parteien NPD und AfD liegen keine Erkenntnisse vor. Eine Mitgliedschaft einzelner Reichsbürger und Selbstverwalter ist zwar möglich, kann aber nicht nachgewiesen werden“, erläutert Rasche. Landesweit schätzt der Verfassungsschutz die Zahl von Reichsbürgern und Selbstverwaltern auf aktuell 1300. Sie richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, insbesondere gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie in Teilen gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits-, Gleichheits- und Menschenrechte, so Rasche. Sie seien damit verfassungsfeindlich und erfüllten die Voraussetzungen für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Polizei Göttingen sieht keine „generelle Gefahr“: Dass eine „generelle Gefahr“ von Reichsbürgern und Selbstverwaltern ausgeht, sieht die Polizei in Göttingen nicht. Allerdings bestehe die Möglichkeit, dass zumindest Teile der Szene auch zukünftig versuchen werden, ihre eigene Weltsicht im Extremfall unter Anwendung von Gewalt zu verteidigen, heißt es in einer Antwort der Polizeidirektion Göttingen auf Tageblattanfrage. Und Kaatz ergänzt: „Die bei uns bekannten ,Reichsbürger' sind nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht im Besitz scharfer Schusswaffen.“ Lesen Sie auch: Reichsbürgerverdacht und Waffenfund: Was ist bei der Polizei los? Kenner der rechten Szene in Südniedersachsen berichten, dass das Gedankengut der Reichsbürger immer mehr verfängt. Die Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland als Staat etwa finde immer mehr Zuspruch in der extremen Rechten. „Ich kenne keinen Neonazi, der das nicht mittragen würde“, sagt ein Sprecher des Vereins „Antifaschistisches Bildungszentrum und Archiv Göttingen“ (ABAG). Nach Informationen des ABAG gebe es eine starke Reichsbürgerszene in Bad Lauterberg und im Eichsfeld. Generell sei es aber schwierig einzuschätzen, wer tatsächlich dieser sehr heterogenen Szene zuzurechnen sei. Schüsse, Säure, Suspendierung: Im Bereich Südniedersachsen hatte zuletzt 2018 die Suspendierung einer Polizistin aus Göttingen für Aufsehen gesorgt. Die Frau hatte statt eines Personalausweises einen „Staatsangehörigkeitsausweis“ beantragt und angegeben, sie gehöre dem Königreich Preußen an. Im vergangenen Jahr stand eine 31-jährige Frau aus dem Harz wegen eines Säureangriffs auf einen Polizisten vor Gericht. Das Landgericht Göttingen verurteilte die Frau zu 18 Monaten Haft auf Bewährung. Die Tochter einer bekennenden Reichsbürgerin aus Barbis (Landkreis Göttingen) hatte dem Beamten im Juni 2015 im Haus ihrer Mutter Sanitär-Reiniger ins Gesicht gespritzt. Welche Gefahr von Reichsbürgern ausgehen kann, zeigen auch zwei Fälle von 2016. Damals hatte in Sachsen-Anhalt ein Mann, der sein überschuldetes Grundstück zum Staat erklärt hatte, auf Polizisten geschossen. In Bayern erschoss ein Reichsbürger zwei Monate später einen Polizisten. Bundesweit geht der Verfassungsschutz von rund 19.000 Reichsbürgern aus. Lesen Sie auch: Rechtsextremismus: Mehr als 200 Offiziere der Bundeswehr unter Verdacht Wie sieht der richtige Umgang mit Reichsbürger und Selbstverwaltern aus? Kristin Harney von der Mobilen Beratung Niedersachsen gegen Rechtsextremismus für Demokratie gibt Ratschläge. Im Umgang mit Reichsbürgern mit „gefestigten Weltbildern“ könne es nicht das Ziel sein, so Harney, die Person vom Gegenteil zu überzeugen, sondern die Weiterverbreitung der Ideologien zu unterbinden. Bei schriftlichem Kontakt, mit Bezügen zu verschiedensten juristischen und historischen Hintergründen rät sie, sich auf das Notwendige zu beschränken, keine Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Argumentationen einzugehen und den Kontakt bei beleidigenden oder drohenden Inhalten sofort abzubrechen, Gedächtnisprotokolle anzufertigen, Strafanzeige zu stellen beziehungsweise strafrechtlichen Inhalte zu prüfen. Bei persönlichem Kontakt empfiehlt Harney physische und inhaltliche Distanz und größtmögliche Sachlichkeit. „Langatmigen Ausführungen“ sollten nicht zu gelassen werden. Sie rät Gespräche und Telefonate „zeitnah“ zu dokumentieren. Das Einverständnis von Ton- und Bildaufnahmen sollte entzogen werden. Allgemein gelte bei dem Umgang mit Reichsbürgern: nicht auf Argumente nicht eingehen, nicht auf Diskussionen einlassen, Rechtsverstöße konsequent ahnden und auf die eigene psychische Grenzen und Sicherheit zu achten. Sie erreichen den Autor unter: E-Mail: m.brakemeier@goettinger-tageblatt.de Twitter: @soulmib Facebook: michael.brakemeier Artikel wurde am 27. Januar um den Hinweis auf die bislang ausgebliebene Antwort des „Höchste Gericht“ der „GdVuST“ auf eine Tageblatt-Anfrage ergänzt. Von Michael Brakemeier

Gestörtes Gedenken - Jüdischer Friedhof Mollenfelde: Sanierung ruft Reichsbürger auf den Plan