Sozialbestattungen im Raum Göttingen: Wenn das Geld nicht für die Urne reicht

Nur der Tod ist umsonst, der letzte Wagen ist ein Kombi. Von wegen. Manche Binsenweisheiten treffen nicht zu. Der Tod ist alles andere als umsonst. Selbst eine einfache Bestattung kann schnell mehrere tausend Euro verschlingen. Zum Fall für die Behörden wird das Ableben immer dann, wenn der Verstorbene mittellos war, keine Angehörigen vorhanden sind oder sich Angehörige Bestattungskosten nicht leisten können. Insbesondere in den Städten würden aufgrund von Altersarmut die sogenannten Sozialbestattungen auf Kosten der Kommunen und damit der Steuerzahler zunehmen, stellt der Bundesverband Bestatttungsbedarf fest. Der Verband fordert, das 2004 aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichene Sterbegeld wieder einzuführen. Und merkt als Randnotiz an, dass die Hinterbliebenen von Beamten nach wie vor Sterbegeld erhalten würden. Bestattung zur Gefahrenabwehr: Das Thema Armutsbestattung ist komplex, betrifft im Landkreis Göttingen sowohl die Ordnungsbehörden der Gemeinden als auch das Sozialamt des Kreises. Die Ordnungsämter sind immer dann zuständig, wenn der Verstorbene keine bestattungspflichtigen Angehörigen hat oder diese nicht tätig werden. Rechtsgrundlage ist das Landesgesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen, das die Rangfolge der Verpflichteten und die ordnungsrechtliche Bestattung regelt. „Zu unterscheiden sind Sozialbestattungen und Bestattungen im Rahmen der Gefahrenabwehr“, sagt Dominik Kimyon, Sprecher der Göttinger Stadtverwaltung. Gefahrenabwehr klingt in diesem Kontext makaber, trifft aber den Sargnagel auf den Kopf. Häufig dauert es, die Umstände zu ermitteln, die Leichname müssen aber in einem bestimmten Zeitraum unter die Erde gebracht werden. „Im Rahmen der Gefahrenabwehr werden – wenn sich niemand um die Bestattung kümmert – bestattungspflichtige Angehörige durch den Fachbereich Ordnung angeschrieben und auf gesetzliche Regelungen wie Bestattungsprlicht und Pflicht zur Kostenerstattung hingewiesen werden“, erklärt Kimyon. Grundsätzlich seien für Bestattungen die Ordnungsbehörden der Gemeinden zuständig, ergänzt Ulrich Lottmann als Sprecher der Göttingen Kreisverwaltung. Falls kein Geld vorhanden ist, übernimmt der Sozialhilfeträger des Verstorbenen die Bestattungskosten. „Bewilligt werden die Leistungen jedoch der Person, die verpflichtet ist, die Bestattungskosten zu tragen“, sagt Lottmann und nennt als solche „vertraglich Verpflichtete, Erben respektive Vermächtnisnehmer, beim Tod der Mutter eines nichtehelichen Kindes infolge Schwangerschaft oder Entbindung der Vater, Unterhaltspflichtige sowie öffentlich-rechtlich Verpflichtete nach dem niedersächsischen Bestattungsgesetz.“ Die Zahl der Sozialbestattungen in der Stadt Göttingen stagniert, die Zahl der Bestattungen im Rahmen der Gefahrenabwehr ohne Erstattungen durch das Sozialamt steigt an. Nach 74 „Gefahrenabwehr-Fällen“ 2018 waren es nach Angaben von Verwaltungssprecher Dominik Kimyon im vergangenen Jahr 99 Fälle, auf denen das Ordnungsamt hängen geblieben ist. Auf 80 Sozialbestattungen in 2018 folgten im vergangenen Jahr 81. 2017 waren es schon einmal 111 Sozialbestattungen. Es würden allerdings nur die tatsächlich bezahlten Fälle registriert, merkt Bestatter Stephan Brüger (Bestattungsinstitut Pfennig) an: „Wir haben viele Fälle, in denen wir auf den Kosten sitzen bleiben, weil es irgendwo Erben gibt.“ Beim Sozialamt des Landkreis Göttingen habe es 2018 und 2019 jeweils 62 Anträge auf Bestattungsbeihilfe gegeben, teilt Verwaltungssprecher Ulrich Lottmann mit. Im Jahr 2017 seien es 69 Anträge gewesen. Vermögensverhältnisse werden geprüft: Auf den Punkt bringt es Sabine Holste-Hoffmann, die für das Ordnungsamt der Stadt Duderstadt zuständig ist: „Verpflichtet sind Kinder und Geschwister, fernere Verwandte prinzipiell nicht – es seid denn, sie wünschen es.“ Können die Angehörigen das Geld nicht aufbringen, komme das Sozialamt des Landkreises an Bord: „Angehörige im Leistungsbezug können dort Beihilfe beantragen.“ In Duderstadt gebe es pro Jahr zwei bis drei Sozialbestattungen – Tendenz steigend, sagt Holste-Hoffmann und schildert einen klassischen Fall. Eine alleinstehende Seniorin wird tot in ihrer Wohnung aufgefunden, die Polizei eingeschaltet, gegebenenfalls auch die Gerichtsmedizin. Im Fall eines natürlichen Todes geht es weiter in die Leichenhalle, das Ordnungsamt recherchiert, sucht über Einwohnermelderegister, Nachlass- und Amtsgericht nach Angehörigen. Falls keine vorhanden sind, muss die Stadt einen Nachlassverwalter bestellen. „Wir versuchen, mit den Kosten nicht den Steuerzahler zu belasten, doch das ist sehr aufwändig“, sagt Holste-Hoffmann: „Die Vermögensverhältnisse werden überprüft bis hin zu Sparbüchern, einem Sparstrumpf in der Wohnung oder Sterbeversicherungen.“ Für die Bestattungskosten trete die Stadt in Vorleistung: „Die Verstorbenen können ja nicht monatelang in der Leichenhalle liegen.“ Ermöglicht werde eine schlichte Urnenbestattung als günstigste Lösung, in Duderstadt damit örtliche Bestatter im Wechsel beauftragt. Der Bestatter kümmere sich um die Zeremonie, in der Regel werde kein Geistlicher eingeschaltet, im Fall einer Kirchenmitgliedschaft sei aber auch das möglich. „Wer Wünsche hat, hat sich zu Lebzeiten Gedanken darüber gemacht“, sagt Holste-Hoffmann: „Wenn kein Geld da ist, sind auch keine Wünsche möglich – es sei denn, Angehörige springen ein.“ Beihilfe ist begrenzt: Bei Sozialbestattungen werde immer der Einzelfall betrachtet und berechnet, sagt Lottmann. Eine starre Untergrenze gebe es nicht. Übernommen würden die Kosten für eine einfache und würdige Bestattung. Das könnten sowohl Erd- als auch Feuer- oder Seebestattungen sein. Bestattungen nach religiösen Ritus seien ebenso möglich wie die Berücksichtigung von Besonderheiten – zum Beispiel ein extragroßer Sarg. Grundsätzlich seien sowohl der Bestattungsort als auch die Art des Sarges frei wählbar, sofern die Kosten in einem angemessenen Rahmen blieben. „Es können nur die Aufwändungen berücksichtigt werden, die unmittelbar der Bestattung selbst dienen, einschließlich der ersten Grabherrichtung“, so Lottmann. Nicht im Leistungsumfang enthalten seien Kosten für kirchliche und bürgerliche Feierlichkeiten, für Todesanzeigen, Leichenschmaus, und Abschiednahme, für besondere Grabverzierungen und Grabreden. Eine Kooperation mit Kirchen, Bestattungsunternehmen oder Pastoren bestehen beim Landkreis Göttingen nicht. Sozialbestattungen in Göttingen: Keine Kooperation mit Kirchen: Auch bei den Sozialbestattungen in der Stadt Göttingen gebe es keine Kooperationen mit Kirchen oder Bestattungsunternehmen, bestätigt Kimyon. Grabreden seien im Leistungsumfang enthalten, sofern dies ortüblich sei. Bei Bestattungen im Rahmen der Gefahrenabwehr werde grundsätzlich eine Feuerbestattung mit Beisetzung über die Tobiasbruderschaft durchgeführt. Bei Menschen jüdischen oder muslimischen Glaubens gebe es keine Feuerbestattungen. Auch wenn Verstorbene im Vorfeld ausdrücklich eine Erdbestattung gewünscht hätten, könne das berücksichtigt werden. Pauschale Aussagen über Einkommens-Untergrenzen, Kosten-Obergrenzen und -übernahme kann auch Kimyon nicht treffen: „Geprüft wird, ob es den Angehörigen zumutbar ist, die Kosten zu tragen. Die Einkommensgrenzen sind gesetzlich geregelt. Erforderlich ist, was üblicherweise für eine würdige, den örtlichen Gepflogenheiten entsprechende einfache Bestattung anfällt.“ Auf Initiative der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden der Göttinger Innenstadt –St. Albani, St. Jacobi, St. Johannis und St. Marien) ist im Februar 2009 die Tobiasbruderschaft Göttingen gegründet worden. Ihre Hauptaufgabe sieht die Bruderschaft darin, in „der Stadt Göttingen zu einer würdigen Bestattung von Menschen ohne Angehörige odereigene Mittel beizutragen“. Bei den Urnenbestattungen wird nicht nach der Konfession gefragt, sondern nach der Not. Menschen, die arm und einsam gelebt haben und gestorben sind, sollen einen würdigen Abschied bekommen. Dazu gehören auch öffentliche Trauergottesdienste jeweils am ersten Sonnabend eines Quartals auf dem Friedhof Junkerberg. Dem Totenbuch der Tobiasbruderschaft ist zu entnehmen, dass die Zahl der von ihr begleiteten Todesfälle im vergangenen Jahrzehnt stetig gestiegen ist. Lesen Sie auch: Urnenbestattungen auf dem Vormarsch Bestattungskultur im Wandel Klimawandel lässt Bestattungsbäume im Friedwald absterben Duderstadt ermöglicht neue Bestattungsarten Flächenbedarf auf Friedhöfen sinkt Würdige Bestattung wird garantiert Bestatter plädiert für Wiedereinführung von Sterbegeld Von Kuno Mahnkopf

Sozialbestattungen - Wenn das Geld nicht für die Urne reicht