Es muss schwierig gewesen sein, Barbara davon zu überzeugen, in Deutschland aufzutreten. Als französische Jüdin hatte sie sich fünf Jahre lang vor den mordenden Nationalsozialisten verborgen halten müssen. 1958 lernte dann die Göttinger Studentin Sibylle Penkert die Chansonniere in dem Club Écluse kennen, in dem Barbara als Mitternachtssängerin auftrat. Penkert will Barbara nach Göttingen holen.“ Briefe wurden geschrieben, Einladungen ausgesprochen, über Gagen und Voraussetzungen verhandelt. All das ist nachzulesen in der Ausstellung, die das Geschehen teils mit echten Dokumenten, teils mit Faksimiles nachzeichnet.
Penkert kann Barbara nicht mit großen Gagen locken. Sie hätte andernorts sicher mehr verdienen können. Doch die Studentin schildert Göttingen die strahlenden Farben. Vor allem den Veranstaltungsort hebt sie hervor, das 1957 gegründete Junge Theater (JT) als Ort lebendiger Kultur, damals noch an der Geismarlandstraße in dem Haus, in dem heute das Kino Lumière angesiedelt ist. Bei der Größe der Stadt übertreibt Penkert ein wenig. 200.000 Einwohner beherberge Göttingen, schreibt sie.
Das war natürlich weitaus zu hoch gegriffen, obwohl gerade Weende, Nikolausberg, Grone und Geismar eingemeindet worden waren. Sehr schön ordnet die Ausstellung, die Andrea Rechenberg kuratierte, die Abläufe um die Barbara-Konzerte historisch ein - einerseits lokal, andererseits auch international. 1963, ein Jahr vor den Auftritten Barbaras in Göttingen, war zwischen Deutschland und Frankreich er Elysée-Vertrag geschlossen worden, ein Freundschaftsvertrag. Ein Jahr später wurde Barbaras Lied „Göttingen“ Symbol für die Völkerverständigung.
Barbara willigte ein, drei Konzerte im Jahr 1964 zu geben: am Sonnabend, 4., und Sonntag, 5. Juli, im Anschluss an die Theatervorstellung gegen 22 Uhr sowie am Montag, 6. Juli, um 20.15 Uhr. Doch der Start misslang. Aufgrund eines Streiks kam Barbara mit Verspätung in Göttingen an – und entdeckte, dass statt des vereinbarten Flügels ein klobiges Klavier auf der Bühne stand. Der Auftritt stand kurz vor der Absage. Doch die ältere Dame, die an das JT vermietet hatte, wohnte im gleichen Gebäude und besaß einen gestimmten Flügel. Zehn junge Männer schraubten kurzerhand die Beine des Instruments ab und hievten es ins Theater und auf die Bühne. Barbara war gerührt. In den folgenden Tagen wollte sie sich mit ihren Liedern beschäftigen und suchte einen ruhigen Ort. Die Theaterleute zeigten ihr den Garten hinter dem Haus. Und hier schrieb sie eine erste Fassung des Liedes, das die Stadt berühmt machen sollte: „Göttingen“.
Dies alles ist mit Fotos in der Ausstellung dokumentiert, die aus dem Bestand der Stadtarchivs stammen. Sie sind übersichtlich zusammen mit Schriftstücken in Vitrinen präsentiert. Die Schau mit ihrer bemerkenswert lebendigen Ausstellungsarchitektur mit diversen Medien bis hin zu Tonaufnahmen von Zeitzeugenberichten gibt einen profunden und erstaunlich umfangreichen Überblick über die Ereignisse 1964, die Figur Barbara und die Stimmung dieser Zeit. Barbara hätte es gefreut. Am Donnerstag, 24. November, vor 19 Jahren starb die Sängerin.
Ein Lied für Göttingen | |
Gewiß, dort gibt es keine Seine |
Bien sûr, ce n'est pas la Seine, |
„Es war mucksmäuschenstill“
Michael Schäfer studierte 1964 Medizin in Göttingen. Er besuchte eines der Konzerte von Barbara: „Und dann stand da diese Frau in schwarz auf der Bühne. Wir alle wussten, dass sie irgendwie etwas besonderes ist, und dass sie insbesondere mit wenigen Strichen eine Situation sehr poetisch umreißen konnte.
Zu dieser Zeit gab es Frankreichreisende, die berichteten, in welcher Weise sie angefeindet worden sind – weil sie Deutsche waren. Es war Mitte der 1960er Jahre noch eine tief verwurzelte Feindschaft da, die nicht nur durch Adenauers Politik, sondern auch durch Barbara beseitigt worden ist.“
Joachim Schütze spielte damals mit Kommilitonen im JT und half einen Abend bei der Beleuchtung: „Da waren sehr viele Zuschauer dabei, die kein Französisch konnten. Die Leute haben unglaublich positiv reagiert. Es war mucksmäuschenstill, wenn sie gesungen hat. Man konnte in den Gesichtern sehen: Es ging vielen wirklich sehr nah. Der Theaterleiter hat mich gebeten, Moosröschen herunter zu werfen. Erst als so ein Röschen ihre Hände berührte, merkte sie, dass da noch etwas war. Sie war da ganz bewegt.“
Katrin Bergemann begegnete Barbara nach einer Vorstellung im Theaterkeller: „Wie der Zufall es wollte, setzte sich diese große Sängerin an den Tisch, wo ich saß. Es hat mir die Sprache verschlagen. Sie war genauso verschüchtert wie ich. Ein richtiges Gespräch kam nicht zustande – eine verpasste Chance. Die Ehrfurcht vor dieser Künstlerin hat uns alle gebremst.“ yah
Das schreiben die Besucher der Ausstellung
„Ein wunderschöner Text und eine sehr interessante Ausstellung.“
„Irgendwie edel, passt gut zu ihr.“
„Vielen Dank für diese liebevoll gestaltete Ausstellung.“
„Wunderbare Frau.“
„Bedeutung, Stimmung, Lokalkolorit – alles erfasst.“
„Information, die Emotion schafft.“
„Eine Ausstellung, die die Welt zusammenbringt. Mit Witz und Liebe gemacht.“
„Ganz viele Erinnerungen werden wach.“
Barbaras Leben
Barbara wurde am 9. Juni 1930 als Monique Andrée Serf Neuilly-sur-Seine geboren, einem Vorort von Paris. Ihre jüdische Familie musste sich vor den Nationalsozialisten verstecken. Als sie zehn Jahre alt war flohen sie aus dem von den Deutschen besetzten Teil Frankreichs. 1947 immatrikulierte sie sich am Pariser Konservatorium und studierte klassische Musik. Von 1950 bis 1952 lebte sie in Brüssel. Als Künstlerin startete Barbara, wie sie sich jetzt nannte, 1965 mit ihrem Album „Barbara chante Barbara“. Die Göttinger würdigten ihr Wirken mit der Verleihung der Ehrenmedaille, mit einer Gedenktafel am Haus Geismarlandstraße 19 und der Benennung einer Straße in Geismar nach der Sängerin. pek