Vom Göttinger Gänseliesel zum Trans-Mann -

Er war einst das gewählte Göttinger Gänseliesel und damit Repräsentantin der Stadt Göttingen bei verschiedensten Anlässen – bis er sich entschloss, endlich er selbst zu sein: Maximilian Armonies ist ein Trans-Mann. Vor knapp einem Jahr hat er sich öffentlich im Tageblatt dazu bekannt, zuvor war er bereits vom Amt des Gänseliesels zurückgetreten. Als er von einer Jury im Herbst 2018 dazu gekürt wurde, hieß er noch Sophia und hatte lange Haare. Diese Zeit hat er hinter sich gelassen. Aber wie ist es ihm seitdem ergangen? Was hat er nach seinem Coming-out erlebt? Was macht er heute, was erhofft er sich von der Zukunft – und von der Gesellschaft? „Es ist einiges passiert seit dem Zeitungsartikel“, berichtet Max, wie er sich selbst kurz und knapp nennt, bei einer Tasse Tee. Er hat Molly dabei, eine sechs Monate alte Labrador-Hündin. Die hört schon sehr gut auf das Wort ihres Herrchens. Max lächelt zufrieden. Der Schritt in die Öffentlichkeit: Im Frühjahr 2019 hatte er den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt. Mit dem kurzen, zum Teil allerdings recht heftigen Facebook-Shitstorm nach der Tageblatt-Veröffentlichung konnte der Student gut umgehen, darauf war er vorbereitet. Womit er nicht gerechnet hatte, war die Reaktion seines früheren Arbeitgebers. Der Chef hatte Veränderungen bei Max bemerkt und einen ebenfalls bei ihm jobbenden Kommilitonen darauf angesprochen. Er wollte wissen, was denn mit Sophia los sei – aus ihr sei ja eine richtige „Kampf-Lesbe“ geworden. Der Kommilitone berichtete Max davon, und dieser schmiss den Job sofort hin. Etwa ein dreiviertel Jahr hatte er bei dem Catering-Unternehmen gearbeitet. Lesen Sie auch: Unterstützung für Trans-Personen: Wie der Ergänzungsausweis im Alltag helfen soll „Falscher Umgang mit Geschlechtsidentität kann sehr krank machen“ „Dann zeig’ doch mal...“: Max fand einen neuen Nebenjob, diesmal in einer Bar. „Der Chef und die anderen Mitarbeiter dort sind super, nur die Gäste benehmen sich manchmal daneben“, erzählt er. Wenn er mit „Fräulein!“ oder „Junge Frau!“ angesprochen werde, dann erkläre er den Leuten, dass er ein Mann sei. Und das wiederum sorge für befremdliche Reaktionen: „Dann zeig’ doch mal, was Du in der Hose hast“ ist da nur ein Beispiel. So etwas komme sehr viel häufiger vor, als man vermuten würde, sagt Max. Statt sich davon runterziehen zu lassen, geht der 22-Jährige seinen Weg unbeirrt weiter. Dass dieser lang und mühsam sein würde, wusste er längst. Was er zuletzt erlebte, hat ihn aber dann doch manches Mal überrascht. Gestörte Persönlichkeit? So hatte ihn etwa sein Hausarzt an einen Psychiater überwiesen, der seine Identität offenbar nicht so recht ernst nehmen wollte – und diese auch infrage stellte. Der Mediziner unterstellte Max eine Persönlichkeitsstörung, verschrieb ihm Anti-Depressiva. Einen Monat lang nahm er diese, bekam davon aber schlimme Albträume, entwickelte sogar Suizid-Gedanken. Er setzte das Medikament ab und suchte sich eine anerkannte, auf Trans-Personen spezialisierte Therapeutin. „Das Problem dabei ist, dass ich die Sitzungen bei ihr erstmal aus eigener Tasche bezahlen musste“, berichtet Max. Seine Krankenkasse genehmigte zwar irgendwann vier Sitzungen; da hatte Max allerdings schon einige Hundert Euro investiert. Und doch scheint sich der finanzielle Aufwand gelohnt zu haben, denn es geht ihm merklich besser. Allerdings: Die Behandlung bei seiner Therapeutin bringt Max im Hinblick auf die bürokratischen Hürden auf dem Weg zur Geschlechtsangleichung kaum weiter. Denn: „Wenn ich Hormone haben möchte, dann muss ich zwingend eine ambulante therapeutische Begleitung machen. Das ist so vorgeschrieben“, weiß Max zu berichten. Davon hält er allerdings nichts: „Da wird versucht, etwas auszutreiben, was nicht da ist“, ist Max überzeugt. Bis 2011 habe man sich sogar zwangssterilisieren lassen müssen, wenn man seinen Personenstand gerichtlich ändern lassen wollte. Zumindest diesen Zwang gebe es heute nicht mehr. Schwierigkeiten an der Uni: Was allerdings auch heute noch sehr real ist, sind die Kosten, die auf Max noch zukommen werden, zum Beispiel für die Vornamens- und Personenstandsänderung. Allein für das notwendige Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK), das für eine spätere Brustentfernung vorausgesetzt wird, muss er 1500 Euro ansparen. Und dann ist da noch die zeitliche Komponente: „Bis es dazu kommt, dauert es mindestens noch ein Jahr, vielleicht auch zwei“, sagt Max. Aber er sagt das nicht resignierend – sondern entschlossen. Auch Hündin Molly kostet natürlich Geld. Dafür bekommt Max finanzielle Unterstützung von seinen Eltern. „Sie haben mir gesagt, dass sie mir lieber den Hund bezahlen als irgendwelche Medikamente, die sowieso nichts bringen“, erzählt er. „Zwangstherapie“ als Zwischenziel: Auf die Unterstützung seines familiären Umfeldes kann Max ohnehin zählen, nicht nur in finanzieller Hinsicht. „Dank Molly bin ich sehr viel draußen, das tut mir gut, das ist ziemlich bereichernd. Ich habe mit ihr schon den Hundeführerschein gemacht. Vielleicht lasse ich sie sogar noch zum Assistenzhund ausbilden“, schaut Max voraus. Ziele helfen ihm ganz offensichtlich. Eines davon ist, die aus seiner Sicht eigentlich unsinnige „Zwangstherapie“ erfolgreich zu absolvieren, damit er so schnell wie möglich Hormone verschrieben bekommt. Zweifel kommen Max zwischendurch nicht, wenngleich ihm eines immer wieder bewusst wird: „Ich habe noch einen sehr weiten Weg vor mir.“ Immerhin: Manchmal gibt es auf diesem Weg auch Lichtblicke. Endlich mal keine neuen Hürden, sondern sogar Erleichterungen. Ein Beispiel dafür ist der sogenannte „Ergänzungsausweis“, den die Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) ausstellt. Dieser wird als ergänzendes Dokument zum Personalausweis mittlerweile von vielen Stellen anerkannt. Max hat inzwischen so einen Ausweis. Und er erklärt: „Ich kann damit zum Beispiel bei der Bank oder bei der Krankenkasse problemlos meinen Namen ändern lassen, obwohl die offizielle Vornamens- und Personenstandsänderung noch nicht erfolgt ist.“ Doch ausgerechnet an der Göttinger Georg-August-Universität, wo Max studiert, gibt es Schwierigkeiten: „Da werde ich immer noch mit meinem falschen Namen angesprochen. Jede Vorlesung wird so zu einem neuen Outing“, beschreibt Max. Andere Hochschulen seien schon weiter, während die Göttinger Uni den Ausweis noch nicht anerkenne. Sprecher: Uni Göttingen erkennt Ausweis an: Das möchte Romas Bielke, Pressesprecher der Georg-August-Universität und stellvertretender Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, so nicht stehen lassen: „Die Universität Göttingen erkennt den Ausweis der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) selbstverständlich an. Die dgti trägt wesentlich zu Unterstützung und Diskriminierungsschutz von Inter* und Trans* Personen bei, was wir als Universität schätzen. Bisher dient der Ausweis jedoch noch nicht als Grundlage für eine Vornamensänderung in den Systemen der Universität“, so Bielke. Zurzeit werde geprüft, wie die Georg-August-Universität ein sowohl niedrigschwelliges und barrierefreies als auch rechtssicheres Verfahren zur vorzeitigen Namensänderung in universitären Systemen umsetzen könne. Einfach „nichts Besonderes“ sein: Das klingt erst einmal gut, hilft Max aktuell aber nicht wirklich weiter. Dennoch freut er sich darüber, wenn Trans-Personen in der Gesellschaft immer mehr als „einfach ganz normal“ akzeptiert und respektiert werden. „Wir sind ja schließlich nichts Besonderes und wollen es auch nicht sein“, betont er. Wichtig ist ihm dabei vor allem dies: „Wir sind als Trans-Menschen keine Opfer und auch keine Randgruppe, sondern einfach eigene Subjekte in der Gesellschaft.“ Das Geschlecht eines Menschen ist aus seiner Sicht nicht bindend, und deshalb sei auch der häufig verwendete Begriff „Geschlechtsumwandlung“ schlichtweg falsch. „Geschlechtsangleichung“ sei das richtige Wort dafür. Es gebe schließlich nicht nur Männer und Frauen, sondern auch noch vieles dazwischen. Vermutlich muss noch einiges passieren in der Gesellschaft, damit eine Begegnung mit Max nicht mehr als Kuriosität gebrandmarkt wirkt, sondern eben einfach „nichts Besonderes“ mehr ist. Für Max ist klar: „Dafür werde ich weiter kämpfen. Ich habe ja schon vor einem Jahr gesagt: Ich kämpfe für und gegen vieles, zum Beispiel gegen Nazis. Und ich habe nicht vor, das zu ändern.“ Mehr zum Thema: Wie aus dem Göttinger Gänseliesel ein Mann wurde Sophia Armonies zum neuen Göttinger Gänseliesel gewählt (2018) Im falschen Körper: Ist Transgender zur Mode geworden? So erreichen Sie den Autor: E-Mail: m.riese@goettinger-tageblatt.de Facebook: facebook.com/riese.markus Twitter: @RieseMarkus Von Markus Riese

Nach dem Coming-out im Tageblatt - Vom Göttinger Gänseliesel zum Trans-Mann: Wie geht es Max Armonies heute?