Warum wir uns in schönen Häusern manchmal trotzdem nicht wohlfühlen
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Hier zu sehen: die Glasfassade eines modernen Gebäudes in Hamburg. Wohlgefühl entsteht hinter dieser Fassade, je nach Persönlichkeit, nicht unbedingt.
© Quelle: Getty Images
St. Louis, Missouri, Ende der Vierzigerjahre: Am Rande der Innenstadt entstand Pruitt-Igoe, eine Wohnanlage, die die Lebenssituation ärmerer Familien verbessern sollte. 1955 war das Projekt fertiggestellt.
Die 2870 Wohnungen auf einem Areal von insgesamt 23 Hektar wurden anfangs noch als besonders innovativ gefeiert. Doch ein Großteil war nur in den ersten Jahren bewohnt, bereits Ende der Sechzigerjahre standen fast zwei Drittel der Einheiten leer. Viele Räume waren heruntergekommen, die Gebäude verwahrlosten zusehends, die Folgen waren Vandalismus und eine hohe Kriminalitätsrate. 1972 galt das Projekt als gescheitert. Drei der 33 Hochhäuser wurden direkt gesprengt, vier Jahre später folgten die restlichen 30 Gebäude.
Gebäude werden an Lebenswelten vorbeigeplant
Nun endet nicht jedes gut gemeinte Wohnprojekt so drastisch. Und gerade in Zeiten von Wohnraummangel, steigenden Immobilienpreisen und raren Bauplätzen wie hierzulande sind Menschen eher bereit, beim Wohnen Kompromisse einzugehen. Dennoch ist das Projekt Pruitt-Igoe ein gutes Beispiel für ein generelles und noch heute aktuelles Problem in der Architektur: „Gebäude werden immer wieder an der Lebenswelt der Menschen vorbeigeplant“, sagt Erika Mierow vom Institut für Wohn- und Architekturpsychologie.
Als zertifizierte wohn- und architekturpsychologische Expertin unterstützt sie Menschen bei der Neu- und Umgestaltung ihrer Wohnräume und teilt ihr Wissen in ihrem Podcast „Wohnsinn & Raumglück“.
Denn Architektur allein kann bei Neubauten nur einen Teil leisten. „Die Architektur ist so etwas wie die Hardware“, sagt Mierow. „Als Architekt hat man die Rahmenbedingungen wie ein Budget, einen Ort, eine Quadratmeterzahl und schaut, wie man das technisch alles in Einklang bringt.“ Die Architekturpsychologie sei hingegen eher die Software, die lebendigere Faktoren miteinbeziehe. Sie entstand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ist damit eine noch sehr junge Disziplin. Nun finden wohnpsychologische Aspekte jedoch mehr und mehr Beachtung.
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Berücksichtigung unterschiedlicher Lebensphasen
Dazu zählen vor allem die Bedürfnisse und persönlichen Umstände der Menschen. Bislang wären etwa die unterschiedlichen Lebensphasen oft nicht berücksichtigt worden, kritisiert Mierow. Dabei sollten Planer aus ihrer Sicht verschiedene Situationen bedenken: etwa, dass in dem Haus, in das man einzieht, später einmal die Eltern gepflegt werden sollen. Je flexibler die Räume, desto größer die Möglichkeit einer späteren Veränderung. Aber auch die Logistik innerhalb der Wohnräume, die Zuwege oder das Wohnumfeld sollten Mierow zufolge miteinbezogen werden.
Elementar sei laut der Einrichtungsexpertin auch das Bedürfnis nach Sicherheit, dem zum Beispiel eine beleuchtete Zufahrt nachkomme. Oder der Wunsch nach Privatheit, der nicht unbedingt erfüllt wird, wenn ein Haus große, bodentiefe Fenster hat, durch die die Nachbarschaft alles sehen kann.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist für Mierow Rückzug: „Das wird häufig bei der Planung übersehen“, bemängelt die Psychologin. „Dann gibt es Wohnzimmer, Küche, Bad, Schlafzimmer und Büro – aber wohin soll nun wer sich zurückziehen können?“ Dafür brauche es keinen eigenen Raum. Auch ein Teil eines Raums, der mithilfe eines Regals oder Vorhangs vom Rest abgetrennt ist, sei denkbar. Gleichzeitig sollte es Platz geben für soziale Interaktion, meint Mierow. Auch die Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit auszudrücken, ist ihr zufolge ein Grundbedürfnis: Dazu gehören die Art und Weise der eigenen Gestaltung, wie Möbel angeordnet sind, ebenso wie persönliche Einrichtungsgegenstände, mit denen man eine Geschichte verbindet.
Formen und Materialien spielen eine Rolle fürs Wohlgefühl
Auch der Naturbezug zählt für Mierow zu den menschlichen Grundbedürfnissen. „Wir entspannen so unbemerkt. Wenn wir aus dem Fenster schauen und kein Grün zu sehen ist, kann das langfristig Stress verstärken, zu Burn-out und vielen anderen negativen Folgen führen“, ist sie überzeugt. Natürliche Materialien sprechen die meisten Menschen unterbewusst mehr an als andere. So berichtet Mierow von einem Paar, das ein Haus bauen ließ und dabei viel auf Glas und Stahl setzte, „alles sehr hell und modern – aber als sie dann im Haus standen, stellten sie fest, dass sie sich darin gar nicht so wohlfühlen“. Mierow erklärt das damit, dass gerade Holz auch die Sinne mehr anspricht und wärmer wirkt, als es etwa bei Glas, Metall oder Kunststoff der Fall ist. Auch Formen spielen eine Rolle: „Alles, was rund und organisch ist, ist für den Menschen angenehmer“, sagt sie.
Die menschlichen Grundbedürfnisse sind jedoch nicht nur wichtig, wenn es um die Gestaltung des eigenen Zuhauses geht, sondern auch im öffentlichen Raum. Architekturpsychologie kann auch in Behörden und Praxen dazu beitragen, dass Menschen sich dort insgesamt wohler fühlen. Mierow ist überzeugt, dass gut durchdachte Bau- und Einrichtungskonzepte auch in Schulen dafür sorgen können, dass Schülerinnen und Schüler besser lernen. In Städten könnte Architekturpsychologie Kriminalität verringern: „Etwa, indem man die Wege breiter anlegt, für Einsehbarkeit sorgt, Bäume und Blumen pflanzt, Eingänge freundlicher und Häuser farbig gestaltet.“
Ein großes Thema der Architekturpsychologie ist insbesondere im Gesundheitswesen die Healing Architecture, auf Deutsch heilende Architektur. „Es gibt Studien, die zeigen: Wenn man in Kliniken beruhigende Farben einsetzt und der Blick ins Grüne geht, gesunden die Menschen schneller, sie brauchen weniger Medikamente und haben weniger Schmerzen“, sagt Mierow.