Interview

Göttinger Forscher plädiert für geschlechtergerechte Sprache

Christoph Bräuer, Professor für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur.

Christoph Bräuer, Professor für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur.

Göttingen. Die kontroverse Diskussion über geschlechtergerechte und diskriminierungsfreie Sprache reißt nicht ab. Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat eine Entscheidung erneut vertagt, um die weitere Entwicklung abzuwarten. Für Christoph Bräuer, Professor für Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur an der Göttinger Universität, ist die Frage eine politische, die die (Sprach-)Wissenschaft nicht entscheiden kann. Sprache spiele aber im und für das Zusammenleben einer Gesellschaft eine bedeutende Rolle. Und über diese Rolle könne die Sprachwissenschaft Aussagen treffen – über das Sprachsystem ebenso wie über den Sprachgebrauch und dessen Wirkung. Darüber hinaus könne jeder Wissenschaftler und jede Wissenschaftlerin als Mitglied der Gesellschaft eine politische Meinung zu Sexus, Genus und Gender haben.

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- Ist die Geschlechterdifferenz in den Strukturen der Sprache installiert oder wird das grammatische Geschlecht überbewertet? Reicht das generische Maskulinum als Sammelbegriff nicht aus, wenn es eine breite Mehrheit als geschlechterübergreifend begreift?

Das Genus ist in der deutschen Sprache ein wichtiges Strukturelement; sprachsystematisch kann es zwei biologische Geschlechter ausdrücken, das Maskulinum und das Femininum, es kann geschlechtsneutral verwendet werden oder über das sogenannte generische Maskulinum sowohl das maskuline als auch das feminine Geschlecht einschließen. Es kann jedoch auch dazu verwendet werden, über den Genusgebrauch Verstöße gegen Geschlechterrollen zu ahnden, etwa wenn der homosexuelle Mann als die Schwuchtel (also sein biologisches Geschlecht abgesprochen bekommt) bezeichnet wird, die machtvolle Frau als der Vamp oder das noch nicht voll entwickelte Kind als das Mädchen bezeichnet wird – im Gegensatz zu männlichen Kindern, die von Anfang an als der Junge, der Knabe, der Bub ihr biologisches Geschlecht tragen dürfen. Empirische Untersuchungen zur Wirkung des Sprachgebrauchs zeigen aber darüber hinaus, dass das Genus die Vorstellung vom Sexus sicher nicht festlegt, aber doch maßgeblich beeinflusst. Sie legen nahe, dass die typischen Sätze, nach denen nur das generische Maskulinum (der Lesbarkeit willen) verwendet werde, aber beide Geschlechter gemeint seien, eben nur sprachsystematisch zutreffen – in der Wirkung dieses Sprachgebrauchs macht das generische Maskulinum Frauen unsichtbar.

Trans*gender-Sternchen, Binnenmajuskeln, Schrägstriche, neologistische Pronomen für nonbinäre Menschen sind zwar nicht in aller Munde, haben aber Einzug in Amts- und Schriftsprache gefunden. Halten Sie derartige Regelungen für ein notwendiges Instrument, Diskriminierung zu vermeiden, für einen überflüssigen Schritt, der zu einer sperrigen Sprache führt und den Lesefluss unterbricht, oder gar für jakobinischen Tugendeifer und politische Korrektheit, die über das Ziel hinausschießt?

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Die Kodifizierung der Schrift führt mitunter dazu, dass Sprache und besonders Schriftsprache als ein geschlossenes System verstanden wird. Jeder Eingriff wird als Angriff auf die (deutsche) Sprache, als Kulturverlust, verstanden; dabei ist die deutsche Sprache in ihrem Gebrauch wesentlich vielfältiger und variantenreicher, als es manch einem erscheinen mag. Henning Lobin und Damaris Nübling vergleichen Sprache daher mit einem Strom, dessen Lauf, Strömungsgeschwindigkeit und Wasserzusammensetzung sich immer wieder den Umgebungsbedingungen anpasse. Die deutsche Sprache ist produktiv und das Sprachsystem kann Impulse des Sprachgebrauchs aufnehmen und integrieren – sie bleibt so lebendig und offen, wenngleich jede Veränderung auch zu Unbequemlichkeiten und Widerständen führen mag. Sprachsystematisch schwierig erscheint weniger der explizite Ausweis des jeweiligen männlichen oder weiblichen Geschlechts als die Frage, wie ein drittes Geschlecht berücksichtigt werden könnte – dies verlangte tatsächlich weitreichende sprachsystematische Eingriffe, dagegen sind Asterisken oder Unterstriche ein Leichtes.

Für den Linguisten Peter Eisenberg sind Gendersternchen eine Unterwerfungsgeste, andere Kritiker sprechen von Sprachpolizei. Lässt sich durch sprachliche Formalismen tatsächlich ein gesellschaftlicher Bewusstseinswandel herbeiführen, oder wecken sie eher Trotzreflexe in weiten Teilen der Bevölkerung?

Die Tragweite der Debatte verweist darauf, dass es eher nicht nur um sprachliche Formalismen, sondern um existenzielle Fragen der Gestaltung des Zusammenlebens geht; wir wissen aus unserer Geschichte allzu gut, dass Worte töten können, wir diskutieren gegenwärtig über die Verrohung der Sprache – wir tun dies, weil wir um den Einfluss von Sprache und Sprachgebrauch auf das gesellschaftliche Bewusstsein und – wichtiger noch – Handeln wissen. Wenn eine Gesellschaft ihre demokratischen Grundwerte ernst nimmt, dann tut sie gut daran, sie auch sprachlich zu leben und zum Ausdruck zu bringen.

Wo fängt gewachsene Sprache an, wo hört sie auf, und wann wirken sprachliche Veränderungen aufgesetzt? Muss die deutsche Nationalhymne - wie in Österreich oder Kanada geschehen - umgeschrieben, das „brüderlich“ ersetzt werden?

Wenn eine Gesellschaft ihre demokratischen Grundwerte ernst nimmt, dann tut sie gut daran, sie auch sprachlich zu leben und zum Ausdruck bringen... die Rede von einer gewachsenen Sprache schließt ihre Veränderung ein, solange die Sprache lebendig bleibt; eine Diskussion über die gesellschaftliche Bedeutung der deutschen Nationalhymne, darüber, ob sie das gesellschaftliche Bewusstsein der Deutschen im 21. Jahrhundert lebendig zum Ausdruck bringt, kann nicht schaden – dies erschiene mir eher Ausdruck einer Identifizierung mit der deutschen Gesellschaft als eine reaktionäre Verabsolutierung des Originaltextes; ob als Ergebnis einer solchen Diskussion dann „brüderlich“ etwa durch „gemeinschaftlich“ ersetzt würde, bliebe abzuwarten – wäre aber ein schöner Ausdruck gewachsenen Sprachbewusstseins.

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In Neuauflagen ist Pippi Langstrumpfs Vater nicht mehr Negerkönig, sondern Südseekönig, bei Jim Knopf wurde aus China Mandala - um nur zwei Beispiele zu nennen. Verleugnet das den historischen und hermeneutischen Kontext von Literatur oder ist das zumindest in Kinderbüchern legitim, um Stereotypen und Diskriminierungen vorzubeugen?

Es erscheint mir selbstverständlich, dass in Neuauflagen zumal von Kinder- oder Jugendbüchern auf diskriminierende, rassistische, antisemitische und ähnliche Ausdrücke verzichtet wird , es sei denn, sie sind Gegenstand der literarischen Textwelt. Wann ein Ausdruck Gegenstand der literarischen Welt ist, dürfte dabei nicht in jedem Fall leicht zu entscheiden sein. Vorhandene Auflagen sollten dagegen nicht verfemt werden, sie können und müssen in ihren historischen Entstehungskontext eingeordnet werden. Diese Veränderungen können für den philologisch Interessierten offen gelegt werden, aber auch hier ist eine Verabsolutierung einer Originalschrift auch dem literarischen Gegenstand nicht angemessen.

Die Debatte um geschlechtsneutrale und diskriminierungsfreie Sprache wird oftmals als akademisch empfunden, zugleich sind homophobe, sexistische und rassistische Pöbeleien nicht nur bei Rechtspopulisten, sondern auch auf Schulhöfen, beim Gangster-Rap und im Prekariats-TV gang und gäbe. Glauben Sie, dass schriftsprachliche Änderungen auf Dauer auch eine erzieherische Breitenwirkung haben können?

Eine geschlechtergerechte und diversitätssensible Sprache erscheint mir eine demokratische Pflicht, ein solcher Sprachgebrauch ist eine einfache, direkte und wirkungsvolle Möglichkeit, auf eine offene und pluralistische Gesellschaft hinzuwirken. Dies gilt sicher in besonderem Maße auch für den Sprachgebrauch in Vermittlungszusammenhängen, sowohl in Bildungsinstitutionen als auch in Medien und Politik. Ich würde allerdings anstelle einer erzieherischen Breitenwirkung eher auf einen gelebten Vorbildcharakter eines geschlechtergerechten und diversitätssensiblen Sprachgebrauchs setzen und auf eine gesellschaftliche Debatte, die die Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht formalistisch abtut oder regelt, sondern aushandelt.

Von Kuno Mahnkopf

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