Göttinger Student reist per Anhalter und mit dem Fahrrad um die Welt
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Per Anhalter und mit dem Fahrrad ist der Göttinger Physikstudent Philipp Ksoll um die Welt gereist.
© Quelle: Philipp Ksoll
Göttingen. Per Anhalter und mit dem Fahrrad ist der Göttinger Physikstudent Philipp Ksoll elf Monate lange um die Welt gereist, nur Atlantik und Pazifik hat er im Flugzeug überquert. Seinen elf Monate währenden abenteuerlichen Trip durch 33 Länder hat er jetzt zu einem Buch und einem Film verarbeitet.
Die Uni-Sauna kann nicht nur schweißtreibend, sondern auch inspirierend sein. Dort schnappte Ksoll im Wintersemester ein Gespräch auf über jemand, der bis Peking getrampt war. „Der Gedanke ließ mich nicht mehr los“, sagt der heute 27-Jährige, der zurzeit über Festkörperphysik promoviert. Anders als die Tramper-Generation, die in den 1970er-Jahren aufgewachsen ist, hatte er noch nie den Daumen in den Wind gehalten, als er sich nach dem Bachelor-Abschluss im bitterkalten März 2014 in seiner Geburtsstadt Salzgitter-Bad aufmachte, um einmal um die Welt zu reisen. „Ich hatte kein Visum, keine Vorstellung über die Reiseroute, Zelt, Kamera, Schlaf- und Rucksack zusammengerafft, war komplett planlos und wusste nur, dass es erstmal Richtung Osten gehen sollte“, gesteht er. „On the road“ war er vorher noch nie. Ein polnischer Lkw-Fahrer nahm ihn bis Breslau mit, seine erste Nacht verbrachte er frierend neben einem Biberdamm. Weiter ging es über den Balkan in die Türkei. Dort musste Ksoll sein erstes Visum beantragen – für den Iran. In Georgien und Armenien griff er Hinweise anderer Weltenbummler auf, lernte immer mehr über die Spielregeln des Unterwegsseins.
Zumeist schlief Ksoll im Zelt oder rollte sich einfach im Schlafsack zusammen, wurde von Leuten eingeladen, die er unterwegs traf, griff vereinzelt auf Hostels zurück. Mit 200o Euro Startkapital, monatlichem Kindergeld und einer Kreditkarte war er finanziell nicht gerade üppig aufgestellt, zwei Flüge und die Kosten für eine OP in China steuerten seine Eltern bei. In China, das er über Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan ansteuerte, war er das erste Mal kurz davor, aufzugeben. „Ich lag mit Fieber und Bauchschmerzen in der prallen Sonne in der Taklamakan-Wüste, wurde wegen der Polizei-Checkpoints von keinem mitgenommen und musste 99 Tage nach Reisebeginn erstmals Bus fahren.“ Eine Reisebekanntschaft aus Krakau lotste Ksoll nach Chengdu, das er nach 22 Stunden Fahrt in einem randvollen Zug erreichte, um sich im dortigen Krankenhaus den Blinddarm entfernen zu lassen.
Auf dem Moped durch Vietnam
Mit einem Moped, das er erworben und zum gleichen Preis wieder verkauft hat, tuckerte Ksoll durch Vietnam, trampte weiter durch Kambodscha, Thailand (dort traf er seine Freundin, die ansonsten elf Monate auf ihn verzichten musste), Malaysia und Indonesien. In Bali wurde er der Illusion beraubt, die gesamte Tour am Boden oder an Bord eines Schiffes zu bewältigen. Mit einem Billigflieger landete er in Australien („Kein Land für Low Budget“), trampte durchs Outback bis Sydney, jobbte dort kurz und flog weiter nach Südamerika. Nachdem Ksoll schon in Armenien eine Woche lang seinen Rucksack gegen ein Fahrrad getauscht hatte, legte er sich in Chile einen Drahtesel zu und damit 4200 Kilometer durch den südamerikanischen Kontinent zurück. Allerdings nur noch mit Smartphone und ohne Kamera. Nach seinem Jetlag habe er sich das erste Mal mit mehreren Chilenen betrunken, seine Nikon sei dabei abhanden gekommen, erzählt der Naturwissenschaftler. Die letzte Etappe führte ihn nach einem weiteren Flug von Lissabon nach Göttingen. Im Februar 2015 konnte er dem Gänseliesel sein letztes Tramper-Schild (A7 – Göttingen) in den Arm drücken.
Ksoll staunte über atemberaubende Landschaften, hat gefröstelt, geschwitzt und sich Blasen gelaufen, krude Geschichten gehört und Menschen kennengelernt, die seinen Blick auf die Welt und das Leben veränderten: Obdachlose und Geschäftsleute, Drogenschmuggler und Familienväter. „Jedes Auto eine neue Geschichte“, blickt er zurück: „Einige Fahrer reden gar nicht, andere umso mehr oder wollen unterhalten werden.“ Verständigen konnte sich Kwoll in der Regel mit ein paar Brocken Englisch, Händen und Füßen. Beim Trampen habe er nur in Westeuropa lange warten müssen, es ansonsten als sicher und entspannt empfunden: „Es sind nicht die Wohlhabenden, die einen mitnehmen, sondern einfache Leute.“
Viel Gastfreundschaft erlebt
Sein übelstes Erlebnis hatte der Weltreisende in Teheran, als vor seinen Augen ein Mann brutal verprügelt wurde, weil er der Schwester seiner Frau Avancen gemacht hatte. Zugleich hat Ksoll nirgendwo soviel Gastfreundschaft erfahren wie im Iran. Sexuelle Angebote von Autofahrern, krude Geschichten und mulmige Momente hat er auch erlebt, wurde ansonsten aber „durchweg freundlich aufgenommen“. Distanz fühlen, die Größe der Welt spüren wollen, stand am Ausgangspunkt seines Trips, am Ende die Erkenntnis, dass die „Welt gut ist“.
Buch und Film über eine ungewöhnliche Weltreise
Lange hat Philipp Ksoll gebraucht, um seine Eindrücke zu verarbeiten. Noch länger, sie niederzuschreiben, ein Buch daraus zu machen und einen Film über seine Weltreise zusammenzustellen. „Monatelang habe ich von morgens bis abends Kaffee getrunken, geschnitten und geschrieben“, sagt der Physikstudent. Sein Trailer zeigt imposante Landschaften, Menschen auf Ladeflächen von Lastwagen, in Nomadenzelten, an Esstischen, in traditioneller und westlicher Kleidung, lachend und winkend. Weil der Film im Bekanntenkreis sehr gut angekommen ist, will Ksoll ihn auch öffentlich zeigen. Ursprünglich hatte er dafür einen Uni-Hörsaal angedacht, plant jetzt aber eine Aufführung des Filmes im Juni im Kino Lumière. Sein Buch hat mehr als 200 Seiten und ist im Plauderton geschrieben. Wer sich dafür interessiert, kann via E-Mail philipp.ksoll@gmx.de Kontakt mit ihm aufnehmen. ku
„Ich saß in so vielen Autos und lernte, den Menschen zu vertrauen“, schreibt Ksoll in seinem Buch. Vorurteile hätten das Denken auch in ihren Köpfen beherrscht: „Ich glaube, weil sie wirklich dachten, dass es mir besser ginge. Weil sie an diesen ewig großen, gesellschaftlichen Irrtum glauben, dass Reichtum gleich Glück ist. Aber so war es nicht. Ich hörte den Leuten zu, sah sie an, spürte ihre tiefe und ehrliche Zufriedenheit. Und so kam es schließlich, dass ich es war, der eifersüchtig war, und dem diese Leute doch so viel voraus hatten. Sie waren einfach und dabei wirklich glücklich. Überall.“
Von Kuno Mahnkopf