Taube Mäuse können wieder hören
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Taube Mäuse können mit optischem Cochlea Implantat wieder hören.
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Göttingen. Hörstörungen können im Alter oder durch das Hören lauter Musik zum Problem werden. Die Haarzellen im Ohr, verantwortlich für die elektrischen Signale, die den Hörnerv stimulieren, sterben irreparabel ab. Wenn die Taubheit so weit fortgeschritten ist, dass auch kein Hörgerät Wirkung zeitigt, kann ein sogenanntes Cochlea Implantat helfen. Es wird in das Ohr eingesetzt und stimuliert den Hörnerv durch elektrische Impulse. Das Problem dabei schildert Dr. Marcus Jeschke, Gruppenleiter am Institut für Auditorische Neurowissenschaften, Universitätsmedizin Göttingen und Deutschen Primatenzentrum: nur acht bis zehn Tonhöhen-Kanäle könnten so geöffnet werden. Das Hören funktioniert sehr reduziert auf bestimmte Tonhöhen. Bei Umgebungsgeräuschen fällt diesen Patienten das Sprachverstehen weiterhin schwer, und ein Musikgenuss ist ihnen meist nicht möglich. Abhilfe schaffen könnte ein optisches Cochlea-Implantat, dass den Hörnerv mit Licht anregt, denn „mit Licht kann ich sehr viel besser fokussieren“, erklärt Jeschke. Dieser Ansatz verspreche, einen sehr viel fundamentaleren Höreindruck zu vermitteln, so Jeschke.
Optogenetische Anregung des Hörnervs
Ein Team von Forschern unter Leitung von Prof. Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), konnte die optogenetische Anregung des Hörnervs im erwachsenen Tiermodell etablieren. Damit haben sie eine bedeutende Hürde in Richtung einer zukünftigen Anwendung des optischen Cochlea Implantats beim Menschen nehmen können, teilt die umg mit. Die Ergebnisse wurden am Mittwoch im Wissenschaftsjournal „Science Translational Medicine“ veröffentlicht.
Injektionen harmloser Viruspartikel
Die Stimulation durch elektrische Impulse kommt der natürlichen Anregung nahe. Doch da die meisten Zellen des Menschen optisch nicht sensitiv sind, mussten die Forscher zu einem besonderen Methode greifen, die optogenetische Manipulation. In der vorliegenden Studie konnten die Wissenschaftler über Injektionen harmloser Viruspartikel in das Innenohr von ausgewachsenen Nagern eine Art Lichtschalter in die Hör-Nervenfasern einbauen. Sie konnten nachweisen, dass die Lichtstimulation des Hörnervs das gesamte auditorische System bis hin zur Hörrinde, dem Ort der bewussten Wahrnehmung von Geräuschen, anregt. Zudem konnten die Autoren an ertaubten Tieren zeigen, dass die Lichtstimulation des Hörnervs ein Hören wiederherstellt. Dazu wurde tauben, optogenetisch manipulierten Tieren zunächst ein einfaches Cochlea Implantat eingesetzt. Im Anschluss wurden die Tiere auf ein Versuchsfeld mit einer kleinen Barriere in der Mitte gesetzt, erläutert Jeschke. Ihnen wurde beigebracht, nach einem akustischen Reiz über die Barriere hinweg die Seite zu wechseln. Jeschke: „Das können die Tiere nach wenige Tagen sehr gut.“ Entscheidend war die Frage, ob die Nager das auch nach Lichtreizen schafften oder völlig neu lernen mussten. Der Versuch gelang, sagt Jeschke. So war klar, dass es eine Ähnlichkeit zwischen optischem und elektrischem Reiz geben müsse.
Entwicklung von optischen Vielkanal-Cochlea-Implantaten
„Es bleibt noch sehr viel zu tun, bevor wir überhaupt über eine klinische Studie nachdenken können“, sagt Projektleiter Moser: „Zusammen mit unseren Kollegen aus Chemnitz und Freiburg und mit dem neuen OptoGenTech Team am Göttinger Photonik Inkubator arbeiten wir intensiv an der Entwicklung von optischen Vielkanal-Cochlea-Implantaten. Die in der aktuellen Studie erzielten molekularmedizinischen Durchbrüche stimmen uns aber zuversichtlich, dass der Ansatz zur klinischen Anwendung entwickelt werden kann.”
Mit klinischen Tests sei vielleicht in den 2020er-Jahren zu rechnen, meint Jeschke. Experimente müssen jetzt durchgeführt werden, um zu klären, wie fein die Hörbahn stimuliert werden könne. Ein weiteres Problem stellt das Immunsystem dar. Das der Nager unterscheide sich deutlich vom Menschen, erläutert Jeschke. An Primaten müsse noch erforscht werden, ob die optogenetische Manipulation zum Eingreifen des Immunsystems führe.
Von Peter Krüger-Lenz