Universität Göttingen: Frühe Evolution von Stabschrecken aufgeklärt
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Neuweltstabschrecke (Foto) bildet mit der Altweltstabschrecke „überraschenderweise eine eigene evolutive Linie innerhalb dieser Insektengruppe“.
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Göttingen. Die Ergebnisse seien in der Fachzeitschrift Frontiers in Ecology and Evolution erschienen, so Romas Bielke, Pressesprecher der Universität. "Stab- und Gespenstschrecken sind eine formenreiche und äußerst bizarr anmutende Insektengruppe, die weltweit vor allem in tropischen und subtropischen Gebieten verbreitet ist", so Bielke. Bekannt seien sie für ihre (für Insektenverhältnisse) "beeindruckenden Körpergrößen und die Fähigkeit, in verblüffender Weise Pflanzenteile wie Zweige, Blätter oder Rinde nachzuahmen, um sich vor Fressfeinden zu tarnen."
Bislang seien die verwandtschaftlichen Beziehungen innerhalb der Stabschrecken "bestenfalls an einer Handvoll Genen" untersucht worden, erklärt Dr. Sven Bradler von der Universität Göttingen (Johann-Friedrich-Blumenbach-Institut für Zoologie und Anthropologie), Seniorautor der Studie. "Dies ist die erste Studie, bei der für jede Art weit über 2000 Gene vergleichend analysiert wurden."
Schrecken aus aller Welt untersucht: „Wandelndes Blatt“ ist dabei
38 Stab- und Gespenstschrecken aus aller Welt, darunter auch ein "Wandelndes Blatt", hätten den Forschern des "1KITE-Projekts (1000 Insect Transcriptome Evolution) für diese Untersuchung zur Verfügung gestanden. "Bisherige Studien waren nicht in der Lage, die frühe Evolution dieser Insekten aufzuklären. Dies hat sich mit dem deutlich umfangreicheren neuen Datensatz nun geändert, der auch die Entstehung der frühesten Linien nachzuzeichnen vermag", erläutert Dr. Sabrina Simon (Universität Wageningen), Erstautorin des Artikels.
Ein besonders verblüffendes Ergebnis sei, dass die Verwandtschaftsbeziehungen der früh entstandenen Großgruppen der Stab- und Gespenstschrecken bisherige Ansichten weitgehend widerlegen würden. Die Kontakte entsprächen viel stärker der geografischen Verbreitung als der körperlichen Ähnlichkeit der Tiere, heißt es in der Mitteilung der Universität. So habe das Team eine „neuweltliche Linie ausschließlich süd- und nordamerikanischer Arten und eine ursprünglich altweltliche Linie“ aufgedeckt, die von Afrika bis Neuseeland reiche.
Madagaskar: „Vorfahre“ siedelte vor 45 Millionen Jahren
Die Rekonstruktion der biogeografischen Geschichte der Insekten, die Sarah Bank, Doktorandin an der Universität Göttingen und Co-Autorin der Studie (Johann-Friedrich-Blumenbach-Institut für Zoologie und Anthropologie), durchgeführte habe, "brachte darüber hinaus weitere unerwartete Ergebnisse: Die völlig unterschiedlich aussehenden Stabschrecken Madagaskars gehen auf einen einzigen gemeinsamen Vorfahren zurück, der diese Insel vor etwa 45 Millionen Jahre besiedelte." Die Altersbestimmung des Stammbaums lasse zudem den Schluss zu, dass die meisten Linien erst nach Aussterben der Dinosaurier vor etwa 66 Millionen Jahren entstanden seien. Somit sei "die bemerkenswerte Tarnung dieser Insekten" vermutlich anschließend als Anpassung an räuberische Vögel und Säugetiere entstanden.
„Stabschrecken gewinnen zunehmend an Bedeutung als Modellorganismen für evolutionsbiologische Forschung“, erklärt Bradler mit Blick auf zukünftige Studien. „Der umfangreiche neue molekulare Datensatz ist noch lange nicht erschöpfend ausgewertet und dürfte noch spannende Erkenntnisse hinsichtlich der Funktion der zahlreichen ermittelten Gene bereithalten.“
„1KITE“ – 1000 Insect Transcriptome Evolution
„Insekten sind eine der artenreichsten Gruppen von Metazoen. Sie spielen eine zentrale Rolle in den meisten nicht-marinen Ökosystemen und viele Insektenarten sind von enormer wirtschaftlicher und medizinischer Bedeutung“, heißt es auf der Internetseite www.1kite.org. Das Aufdecken der Evolution von Insekten sei für das Verständnis der Entwicklung des Lebens in terrestrischen und „limnischen Umgebungen“ (im Süßwasser lebend oder entstanden) „von entscheidender Bedeutung“. Das „1KITE-Projekt“ (1000 Insect Transcriptome Evolution) ziele darauf ab, die „Transkriptome (das heißt, die Gesamtheit der exprimierten Gene)“ von mehr als 1000 Insektenarten zu untersuchen, die alle erkannten Insektenordnungen umfassen würden. „1KITE“ habe international anerkannte Experten aus den Bereichen Molekularbiologie, Morphologie, Paläontologie, Embryologie, Bioinformatik und wissenschaftliches Rechnen „auf beispiellose Weise zusammengebracht“. Insgesamt arbeiteten Wissenschaftler aus elf Nationen zusammen.
Von Stefan Kirchhoff