Ich bin dann mal offline: mit Digital Detox bewusst abschalten
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Einfach mal offline gehen? Das ist leichter gesagt als getan.
© Quelle: Gina Patan
Jede elfte Person, die häufig online unterwegs ist, hat sich laut einer repräsentativen Befragung des IT-Branchenverbands Bitkom für dieses Jahr vorgenommen, bewusst mehr Zeit offline zu verbringen. 43 Prozent der Menschen haben diesen Versuch auch bereits in der Vergangenheit gestartet, länger als vier Wochen hielt es jedoch niemand aus, sich von den digitalen Medien fernzuhalten.
Schließlich sind wir gerne online. Je nach Studie greifen wir 50- bis- 100-mal am Tag zum Handy, oft ganz automatisch. „Die Nutzung des Smartphones spricht unsere Urinstinkte an“, erklärt Christina Feirer, die sich als Coach unter anderem auf das Thema Digital Detox spezialisiert und kürzlich das Buch „Likest du noch oder lebst du schon?: Über den achtsamen Umgang mit dem Smartphone“ (Verlag K&S) veröffentlicht hat. „Jedes Like gibt mir das Gefühl, dass ich gesehen werde. Und weil sich das gut anfühlt, wiederhole ich den Prozess.“ Auf diese Weise werde das Smartphoneverhalten mit einer unbewussten Belohnung verknüpft, selbst wenn beim Checken der Mails nur Nachrichten der Vorgesetzten warten: „Dennoch gibt es eine Person, die an dich denkt. Eine Person, die deinen Status hebt, indem sie dir wichtige Informationen oder Tätigkeiten anvertraut.“
Was, wenn die anderen gerade etwas Tolles erleben?
Viele Menschen haben auch Angst, etwas zu verpassen, wenn sie nicht häufig genug den Newsfeed, das Mailprogramm oder die Messengerdienste kontrollieren. Was, wenn die anderen gerade etwas Tolles zusammen erleben und ich bin nicht dabei? Was, wenn gerade jetzt die eine große Chance auf mich wartet und ich bekomme sie nicht mit?
Die Journalistin und Autorin Anitra Eggler spricht in diesem Zusammenhang von digitaler Versklavung: „Der Realzustand ist bei den meisten: Die nächste Mail oder Whatsapp-Nachricht diktiert, was du als Nächstes tust. Die Menschen und ihre Gehirne sind süchtig geworden. Nach digitalen Aufmerksamkeitsreizen, nach Dauerablenkung, nach der ständigen Erreichbarkeit und Antwortgeschwindigkeit in Nanosekunden von Lieblingsmenschen.“
Die offizielle Diagnose einer Smartphonesucht gibt es zwar bislang nicht. Die Wissenschaft untersucht jedoch, ob klassische Suchtsymptome auf den Bereich der mobilen Internetsucht übertragen werden können. Dazu gehören Entzugserscheinungen, wenn sich das Smartphone mal nicht in Reichweite befindet. David Greenfield, Gründer des Zentrums für Internet- und Technologiesucht, hat einen Fragebogen zur Smartphonenutzung entwickelt. Wer mehr als acht Fragen mit Ja beantwortet, zeigt seiner Meinung nach zwanghaftes Verhalten und sollte sich psychologische Hilfe suchen. Eggler fragt zusätzlich alle Eltern: „Hat dich dein Kind schon einmal gebeten, dein Handy wegzulegen?“ Wer allein diese Frage bejahe, habe einen schönen und wichtigen Grund, das eigene Handyverhalten zu optimieren. Ihr geht es bei Digital Detox, also der digitalen Entgiftung, nicht um den völligen Verzicht, sondern um ein langfristiges Umdenken, ähnlich einem Ernährungsprogramm, das nachhaltig funktioniert: „Dafür braucht es Motivation, Medienkompetenz und Selbstdisziplin.“
Es ist hilfreich, sich konkrete Etappenziele zu setzen
Das beginnt mit der Beobachtung des eigenen Verhaltens: Wann und wie oft nehme ich das Handy zur Hand? Aus welchem Grund? Und wie lange? Hilfreich ist es dann, sich konkrete Etappenziele zu setzen: Statt „Ich möchte weniger Zeit am Handy verbringen“ wäre das etwa die Aussage „Zwischen 8 und 12 Uhr möchte ich nicht von unwichtigen Smartphonenachrichten gestört werden“.
Dieser Vorsatz lässt sich technisch schnell umsetzen. Jedes Smartphone hat in den Einstellungen den „Nicht stören“-Modus, der sich für beliebige Tage und Zeiträume einrichten lässt. Dann schaltet sich das Handy auf stumm. Wer wichtige Anrufe nicht verpassen möchte, kann für bestimmte Kontakte Ausnahmen einrichten.
Feirer empfiehlt zudem, die Liste aller installierten Apps durchzugehen und bei jeder einzelnen zu überlegen, ob es notwendig ist, von unterwegs darauf zugreifen zu können. „Facebook, Linkedin, Xing haben bei mir am Smartphone nichts zu suchen. Seit mich mein Laptop weniger oft begleitet als mein Smartphone, verringert sich somit schon ganz automatisch meine Zugriffshäufigkeit.“ Hilfreich für alle, die sich nicht entscheiden können: Im Notfall lassen sich Apps auch über den Browser am Smartphone öffnen.
Das Umfeld zu informieren kann Ärger vermeiden
Wer das Umfeld über die geplante Einschränkung der eigenen Onlinezeiten informiert, vermeidet unnötigen Ärger, weil etwa Nachrichten nicht sofort beantwortet werden oder Anrufe zu bestimmten Uhrzeiten ins Leere laufen. Womöglich haben andere auch Lust auf eine Digital-Detox-Challenge und spornen sich auf diese Weise gegenseitig zu mehr bildschirmfreier Zeit an. Je mehr Leute mitmachen, desto leichter fällt es am Ende, auch wirklich mal abzuschalten.
Info: Anzeichen für problematische Nutzung
Laut der Barmer Ersatzkasse gibt es Anzeichen, die einen „hellhörig“ machen sollten. Dazu zählt, wenn man Probleme hat, die Smartphonenutzung zu kontrollieren und mehr Zeit auf dem Handy und im Internet verbringt, als einem lieb ist. Weiteres Signal sei, wenn Dinge, die einem mal Spaß gemacht haben, aufgrund der Handynutzung zurückstehen müssten oder nicht mehr Teil des Alltags seien. Wenn sich Schulnoten verschlechtern, Beziehungen zu Freunden oder der Familie leiden und es im Umfeld wiederholt Kritik an der Handynutzung gab, sollte man die Anzeichen ernst nehmen. Ebenso wenn es einen unruhig macht, längere Zeit nicht online sein zu können.
RND
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