Die Gefahr des digitalen Giftmülls
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/LSENBS7XHNF23IU3PC5KIQMBWU.jpg)
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll Internetnutzer erweiterte Möglichkeiten geben, Hass- und Hetzbotschaften zu melden.
© Quelle: imago images/photothek/Panthermedia/epd/Montage RND
Hannover. Manchmal weiß man nicht, was man noch sagen soll. Dazu braucht man nicht einmal auf die extremsten Beispiele zurückzugreifen. Es reicht schon, wenn die Polizei zum Beispiel twittert, die Berliner reagierten auf die Protestaktion von Extinction Rebellion bisher mit Gelassenheit – und dann darunter Menschen kommentieren: „Müsst ihr nicht die Wasserwerfer Gassi fahren und ablaufende Granaten verbrauchen?“ Wenn Nutzer sich daraufhin ausmalen, wie man die Demonstranten mit dem Auto über den Haufen fahren könnte – wäre es nur nicht so schade ums Auto.
Das Internet hat viele Probleme: Datensicherheit, Datensilos, Fake News. Aber kaum etwas macht so fassungslos, wie das, was sich tagtäglich in den Kommentarspalten, in Direktnachrichten oder Facebook-Gruppen abspielt. Statt zu diskutieren, wird gegiftet. Statt eines fairen Austauschs von Argumenten gibt es Drohungen, Gewalt und Hass. So lange, bis sich einer von diesem toxischen Umfeld anstacheln und aufputschen lässt – und der verbalen, digitalen Gewalt reale Taten folgen. So wie jetzt wohl auch im Fall des Anschlags von Halle. Wie konnte es so weit kommen?
Früher wurde das Internet mal für seine vereinenden Kräfte gelobt. Für die Fähigkeit, Menschen aus der ganzen Welt miteinander zu verbinden. Für die revolutionäre Kraft, die – so glaubte man es zumindest einige Zeit – sogar Diktatoren stürzen konnte. Natürlich darf man sich vom rosigen Blick auf die Vergangenheit nicht täuschen lassen. Aber der Hass, der inzwischen aus dem Netz in die Welt trieft, scheint immer größere Ausmaße anzunehmen. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber bei einer im Sommer veröffentlichten YouGov-Umfrage im Auftrag von Campact geben 76 Prozent der Befragten an, dass sie den Eindruck haben, dass Hate-Speech im Internet in den vergangenen Jahren zugenommen habe. Das Internet, das denken viele, verroht zusehends.
Digitale Gewalt und Diskriminierung
Zielscheibe des digitalen Hasses sind vor allem Frauen und Minderheiten. „Man kann Gewalt im Internet nicht losgelöst von Diskriminierung diskutieren“, sagt Jasna Strick deshalb. Sie hat Anfang 2013 den Hashtag #aufschrei mit ins Leben gerufen, um auf Alltagssexismus aufmerksam zu machen. Sie selbst erhalte seit Jahren Beleidigungen, detaillierte Vergewaltigungs- oder Todesdrohungen – bis hin zu Bildern von ermordeten Kindern aus Kriegsgebieten, berichtet sie. „Das Internet ist dabei nur ein weiterer Raum, in dem sich diese Gewalt äußert, ein weiteres Werkzeug dafür“, sagt Strick.
Wie bedrohlich, wie real dieser Hass sein kann, das haben zum Beispiel Feministinnen schon lange zu spüren bekommen. Schon 2011 veröffentlichte etwa die Website Hatr.org Kommentare, die auf feministischen Blogs hinterlassen wurden. „Ich war auch mal pazifist aber langsam freue ich mich auf den nächsten Krieg um es euch weibern heimzuzahlen. Ich Frauen gehört jeden Tag vergewaltigtr einfach nur damit ihr eure dreckigen verlogenen Fressen haltet“, heißt es da zum Beispiel in einem Kommentar von 2017.
„Es kann jeden treffen“
Man kann also wirklich nicht sagen, dass das Phänomen neu ist. Eine massive Zunahme der digitalen Gewalt habe es dann aber ab 2015 gegeben, als viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen, erklärt Anna-Lena von Hodenberg von Hate Aid, einer Initiative, die Opfern von digitaler Gewalt hilft. Doch: Ein Verständnis dafür, wie massiv das Problem sei, dass man es – auch mit Rechtsmitteln – angehen und nicht kleinreden dürfe, das gebe es „erst seit dem Mord an Walter Lübcke“, sagt von Hodenberg. Mit dem Mord an dem CDU-Politiker, einem Mann aus der bürgerlichen Mitte, sei klar geworden: „Es kann jeden treffen.“
Gleichzeitig habe der Fall Lübcke auch deutlich gezeigt, sagt von Hodenberg, dass „Debatten, die im Netz geschaffen werden, in die reale Welt überschwappen“. Die Gewalt, die toxische Atmosphäre, die im Netz entsteht, übersetzt sich in analoge Gewalt. Ein Zusammenhang, der jetzt wohl auch in Halle wieder deutlich geworden ist.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/6N4ECT623JUPLIPB6UVUSPM46I.jpg)
Anna-Lena von Hodenberg (l.), Geschäftsführerin von Hate Aid, und Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen, unterhalten sich vor einer Pressekonferenz zur Gründung der Organisation Hate Aid.
© Quelle: Soeren Stache/dpa
Jahrelang hat man die Täter gewähren lassen
In der Konsequenz gibt es einige Bemühungen, mehr zu unternehmen. So forderte der Deutsche Richterbund zum Beispiel vergangene Woche mehr Stellen für den Kampf gegen den Hass im Netz. Die Initiativen kommen spät. Jahrelang hat man die Täter gewähren lassen. Wer im Netz seinen verbalen Giftmüll über andere Menschen ausschüttete, brauchte selten Konsequenzen zu fürchten. Opfer wurden oft – von Polizei und anderen Strafverfolgungsbehörden – nicht ernst genommen. Stattdessen wurde ihnen geraten, doch einfach kein Twitter mehr zu nutzen.
Wenn wir es dann schaffen, wie mit #aufschrei Aufmerksamkeit zu erzeugen, bricht auf der anderen Seite Panik aus.
Jasna Strick,
Mitinitiatorin von #netzohnegewalt
Eine überzeugende Antwort auf den Dammbruch haben aber bisher weder die sozialen Netzwerke noch die Politik gefunden. Facebook, Twitter und Co. versichern zwar immer wieder, wie wichtig ihnen die Sicherheit ihrer Nutzer sei, haben aber außer der Möglichkeit, Kommentare und Nutzer zu blockieren oder zu melden, wenig Ideen. Die Nutzer, sagt von Hodenberg, werden noch nicht ausreichend geschützt. Auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (kurz NetzDG), dass die sozialen Netzwerke unter anderem zu einem konsequenteren Entfernen von Hassrede zwingen sollte, schützt Opfer im Alltag nur wenig.
Dass es so wenig persönliche Nachteile hat, seinem Hass im Netz freien Lauf zu lassen, trage mit zur Enthemmung bei, analysiert die Medienpsychologin Josephine B. Schmitt in einem Beitrag der „Schriftenreihe zur digitalen Gesellschaft NRW“ von 2017. Auch die eigene Anonymität oder die Distanz, die man vom Bildschirm aus zu den Opfern hat, spielen eine wichtige Rolle.
Der Hass soll zum Schweigen bringen
Doch Anonymität, Distanz oder auch die Algorithmen, die die Wut mit Aufmerksamkeit belohnen – das sind eher die Begleitumstände, die den Hass im Netz möglich machen. Nötig ist er – aus Sicht der Täter –, weil sich die Welt vor ihren Augen verändert. Fanden früher die Trolle Spaß daran, im Netz Unruhe zu stiften, sind heute die „Glaubenskrieger“, wie die Netzexpertin Ingrid Brodnig sie nennt, am Werk. Ihr Kampf richtet sich gegen eine liberaler, offener werdende Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der eben nicht mehr nur der weiße, reiche Mann mitreden darf, sondern etwa auch Frauen, Homosexuelle oder Transpersonen. „Wenn wir es dann schaffen, wie mit #aufschrei Aufmerksamkeit zu erzeugen, bricht auf der anderen Seite Panik aus“, sagt Strick.
Wenn jemand in der U-Bahn rassistisch beleidigt wird, dann gehen Sie vielleicht hin und schreiten ein. Aber tun Sie das auch im Netz, wenn jemand angegriffen wird?
Anna-Lena von Hodenberg,
Hate Aid
Die Täter, das sagen viele Experten übereinstimmend, kommen daher häufig aus dem rechten und rechtsextremen Bereich. Ihre Angriffe in den Kommentare sind beispielsweise rassistisch, antisemitisch oder auch antifeministisch. „Gerade bei den massiven Angriffen, bei denen Menschen fertiggemacht werden, sieht man, dass dahinter eine politische Strategie steckt“, sagt von Hodenberg.
Der Hass im Netz soll Menschen zum Schweigen bringen. Er will sie aus dem politischen Diskurs – der eben heutzutage zu großen Teilen online stattfindet – herausdrängen. Die Strategie scheint aufzugehen – und zwar nicht nur im Fall von Aktivisten, die nach einem Hate-Storm keine Kraft mehr für Aktivismus haben: Laut der YouGov-Umfrage bekennen sich 54 Prozent der Befragten aufgrund von Hassreden im Internet seltener zu ihrer politischen Meinung, 47 Prozent beteiligen sich seltener an Diskussionen. Das bedeute, dass Menschen auch dann aus Diskussionen vertrieben werden, wenn sie persönlich (noch) nicht Ziel von Hate-Speech geworden sind, heißt es.
Mehr digitale Zivilcourage
Strick kann verstehen, wenn jemand diesen Druck nicht aushält. Hinnehmen will sie die Gewalt deshalb trotzdem nicht. Auch aus diesem Grund haben sie und andere politisch Aktive sich zusammengetan und die Kampagne #netzohnegewalt ins Leben gerufen. Die Unterzeichnerinnen des Appells, darunter Renate Künast, Anne Wizorek oder auch Sawsan Chebli, fordern unter anderem eine breite öffentliche Debatte zur digitalen Gewalt und deren geschlechtsspezifischen Aspekte. Sie setzen sich für eine bessere Strafverfolgung, mehr Beratungsstellen für Betroffene und mehr Forschung zum Thema digitale Gewalt gegen Frauen ein.
Von Hodenberg fordert nicht nur, den Geiferern im Netz sachlich und vernünftig mit Gegenrede zu begegnen, sondern auch mehr digitale Zivilcourage. „Wenn jemand in der U-Bahn rassistisch beleidigt wird, dann gehen Sie vielleicht hin und schreiten ein. Aber tun Sie das auch im Netz, wenn jemand angegriffen wird?“
In unserer Serie „Deutschland kaputt“ untersuchen wir, in welchen Bereichen des öffentlichen Lebens die einstige Musternation Deutschland den Anschluss zu verpassen droht – vom Schienennetz bis zur Digitalisierung, von Straßen und Brücken bis zum Bildungssystem. Immer freitags gibt es eine neue Folge auf RND.de.