“Minecraft Earth” im Test: Unfertig, aber mit Potenzial
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„Minecraft Earth“ ist nun kostenlos für Android und iOS erhältlich.
© Quelle: Microsoft
Leipzig. Vor wenigen Tagen ist “Minecraft Earth” als Early-Access-Vorabversion in Deutschland gestartet. Jeder kann die App gratis auf iOS oder Android herunterladen. Aber beim ersten Praxistest will sie noch nicht so recht überzeugen. Eine virtuelle Bauplatte soll platziert werden, überschaubare acht mal acht Felder groß. Doch das Spiel bekommt sie einfach nicht vollständig geladen. Ein riesiger durchsichtiger Umriss schwebt in der Luft. Erst bei einem zweiten Anlauf erholt sich das Spiel und präsentiert die vollständige Bauplatte.
Das Problem ist typisch für Augmented Reality. Das Fachwort, abgekürzt AR, klingt nach einem großen und komplizierten Konzept – und das ist es auch. Es ist nicht weniger als die Verschmelzung von Computergrafik mit der echten Welt. Unzählige Science-Fiction-Filme haben das vorgemacht, und entsprechend ungeduldig warten viele Technikfans darauf, dass sie endlich funktioniert.
Augmented Reality funktioniert – in Hollywood
Was in Hollywood ganz einfach aussieht, ist in der Wirklichkeit schwer umzusetzen. AR-Lösungen sind bisher bestenfalls halbgar. Im professionellen Bereich gibt es schwere und teure Sichtbrillen mit kleinen Bildausschnitten, die robust funktionieren. Aber das Handy ist noch nicht so weit. In ersten Anwendungen schauen Nutzer durch ihre Handykamera und sehen übersetzte Versionen von Hinweisschildern, oder in der Luft schwebende Navigationshinweise. Grundsätzlich klappt das, aber in der Praxis ruckelt und hakt die Technik immer wieder. Anwender brauchen Enthusiasmus und Geduld, um damit zu arbeiten.
Das Computerspiel “Minecraft” ist eigentlich prädestiniert für den AR-Einsatz. Es ist eines der populärsten Spiele aller Zeiten. Spieler laufen in einer blockigen, offenen Welt herum, sammeln allerlei Ressourcen und bauen daraus allerlei Dinge. Ein dermaßen offener Abenteuerspielplatz könnte dank AR gut in die echte Welt passen. Schon vor Jahren hat Microsoft ein interaktives “Minecraft”-Diorama präsentiert, zu sehen durch die professionelle AR-Brille Hololens.
Mehr Zauberei als Harry Potter
Solche ambitionierten AR-Konzepte sind bisher die Ausnahme. In diesem Sommer hat “Harry Potter: Wizards Unite” gezeigt, was gerade geht: In dem Handyspiel sammeln Spieler Artefakte, die nur durch die Handykamera zu sehen sind. Aber der Effekt ist schlicht. Die Fundstücke stehen vor einem statischen Foto der Umgebung. Und regelmäßig kleben sie an Wänden oder schweben vor parkenden Autos.
“Minecraft Earth” will mehr. Es will die Computerwelt live und passgenau in die Realität einfügen. In Originalgröße können Spieler darin herumlaufen, oder sie können eine kleine virtuelle Bauplatte platzieren und die Blöcke der Welt präzise antippen.
Im Handyspiel wird zuerst ein Abenteurer erstellt, der dann als Charakter auf einer Landkarte steht. Laufen Spieler in der echten Welt herum, bewegt sich der Charakter auf der Karte. Dabei stößt er regelmäßig auf Ressourcen und Kreaturen, die eingesammelt werden: Steine, Bäume, Hühner. “Minecraft”-Spieler wissen, wozu das Material benötigt wird. Alles ist Rohmaterial, um es zu Schwertern, Schaufeln, Ziegeln, Leitern und Schaltern zu verarbeiten. Alles wird in “Minecraft” gecraftet, also selbst gebaut. Das Craften funktioniert auf dem Handy sehr einfach, aber im Gegensatz zum Computerspiel ist es mit einer Wartezeit belegt.
Rutschende Computerwelten
Sammeln und Craften funktionieren in “Minecraft Earth” gut und machen Spaß. Aber dieser Teil des Spiels kommt ohne AR aus. Die Ressourcen werden einfach auf der Karte angeklickt. Aufregend und neu wären dagegen Bauplatten und Abenteuer. In diesen Spielmodi öffnet sich die Handykamera und Spieler müssen einen Platz in der Welt markieren, auf dem die Computerwelt stehen soll. Dann wäre es möglich, sie zu betreten, sie zu verändern, und darum herumzugehen – solange durch die Kameralinse geschaut wird.
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Minecraft Earth
© Quelle: Jan Bojaryn
Im Praxistest scheitern sowohl das Mittelklasse-Smartphone Google Pixel 3a als auch ein iPad-Modell von 2018 an der Technik. In einem Stadtpark bei Sonnenlicht wird der Boden gefunden, die Welt rutscht nur gelegentlich etwas hin und her. Aber in einem geräumigen, gut ausgeleuchteten Wohnzimmer stößt die App an Grenzen. Tische und Böden werden oft nicht erkannt. Wenn die Platte endlich auf dem Boden steht, bleibt sie leider nicht dort. Elemente der Computerwelt lassen sich antippen, aber Bewegungen des Nutzers werden nicht richtig einberechnet. Um ein Objekt herumzulaufen klappt bei mehreren Tests in Innenräumen nie zuverlässig; oft wird es dabei komplett in die Wand geschoben.
Fenster in die Zukunft
Wenn es endlich klappt, ist “Minecraft Earth” wirklich beeindruckend. Durch die Handykamera gesehen liegt dann mitten auf der Wiese ein pixeliger Steinboden. Es funktioniert intuitiv, mit der vorher geschmiedeten Axt auf den Boden einzuhacken und Baumaterialien zu ernten. Als sich eine Höhle öffnet und eine dicke Spinne erscheint, wirkt das viel bedrohlicher als am Computer. Unübersichtlicher wirkt es allerdings auch – die Computerwelt ist ja immer nur durch den Handybildschirm sichtbar. Beim zweiten Abenteuer besiegt ein Monster den tapferen Helden, bevor es überhaupt gefunden wurde.
Grundsätzlich soll es möglich sein, mit mehreren Spielern ein und dasselbe Abenteuer zu betreten. Die könnten sich dann gegenseitig den Rücken freihalten. Aber zu Beginn wirkt “Minecraft Earth” leer. Beim Test in Dresden sind kurz nach dem Start partout keine Spieler in der Nähe zu finden. “Harry Potter: Wizards Unite” hatte ein größeres Publikum gefunden, und “Pokémon Go” sogar ein richtiges Phänomen ausgelöst. Mit diesem Hype hat das neue AR-Spiel nichts am Hut. Aber wenn es funktioniert, dann beweist es, dass AR bald mehr sein wird als ein Gimmick. Wenn die Technik richtig ausgereift ist, wenn wir die Computerwelten nicht nur durch zu kleine Handybildschirme sehen können, dann werden sich hier ganz neue Spielmöglichkeiten öffnen. Und “Minecraft Earth” bietet einen der ersten Ausblicke darauf.