Recherche: Storykillers enthüllt Desinformationsunternehmen

Wie Trollfabriken die Demokratie untergraben

Die Trollarmee des Kreml gilt als besonders effektiv.

Die Trollarmee des Kreml gilt als besonders effektiv.

Hannover. Es ist eine Nachricht, die neue Besorgnis auslöst: Eine israelische Geheimfirma soll laut dem Rechercheprojekts Storykillers, an dem in Deutschland „Der Spiegel“, das ZDF und „Die Zeit“ beteiligt waren, in 33 Fällen versucht haben, Wahlkämpfe und Abstimmungen gegen Geld zu manipulieren. In mindestens 27 Fällen sollen die Täter erfolgreich gewesen sein, mitunter in Kenia und Nigeria.

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Für die Manipulation nutzt die Firma laut den Berichten eine ganze Reihe an fragwürdigen Instrumenten. Dazu gehören etwa rund 30.000 glaubwürdig anmutende Fakeprofile auf Social-Media-Plattformen wie Twitter, Facebook und Instagram. Allerdings dringt das Unternehmen auch deutlich tiefer in die Privatsphäre seiner Opfer ein. Die Rede ist von Hacking-Angriffen auf private Mailkonten oder Telegram-Accounts, Finanzrecherchen über Gegner, gezielte Schmutzkampagnen und das Verbreiten gestohlener Informationen.

Für ihre Recherche hatten sich die Journalistinnen und Journalisten als potenzielle Interessenten ausgegeben. In Video­telefonaten gewährte das Unternehmen dann tiefe Einblicke in seine Arbeit. So bietet die Firma laut „Zeit“ eine Art Rundum­service für alle möglichen Formen der Manipulation an. Zentrales Werkzeug ist demnach eine eigens programmierte Software namens Advanced Impact Media Solutions, kurz AIMS. Damit lassen sich virtuelle Avatare für Social-Media-Profile erstellen, die einen Namen, eine Heimatstadt, ein Geburtsdatum und eine Handynummer haben und täuschend echt wirken – die Fotos werden von echten Personen gestohlen.

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Von Ukraine-Krieg bis Brexit

Die Methoden des Unternehmens, hinter dem ein israelischer Geschäftsmann und Ex-Militär stecken soll, haben laut den Berichten eine neue Qualität. Aber: Neu sind sie nicht. Schon seit vielen Jahren versuchen zwielichtige IT‑Unternehmen und Onlinegruppierungen, in den Wahlkämpfen der Welt mitzumischen. Mal sind sie von staatlicher Stelle beauftragt, mal wollen politische Gegner die Meinung lenken. Manipulations­versuche über die sozialen Netzwerke sind inzwischen eher die Regel als die Ausnahme.

Die russischen Trollfabriken Wladimir Putins gelten in dieser Hinsicht als besonders effektiv. Recherchen der Journalistin Lyudmila Savchuk aus dem Jahre 2013 zufolge handelt es sich dabei um Unternehmen, die offiziell als Agenturen auftreten und Hunderte junger Russinnen und Russen dafür bezahlen, in sozialen Medien falsche Profile anzulegen und Inhalte zugunsten des Kremls zu posten. Jeden Morgen, so legen die Recherchen nahe, erhalten die Angestellten von ihren Vorgesetzten neue Themen und Spins, über die sie schreiben sollen.

Mit Beginn des Ukraine-Kriegs 2014 rückten die Trollfabriken erstmals großflächig in die öffentliche Wahrnehmung. Zigtausende Bots stürmten seinerzeit auch die Kommentar­spalten deutscher Medienhäuser und verbreiteten die russische Sicht auf den Konflikt. Das stand zwar in starkem Widerspruch zur öffentlichen Mehrheitsmeinung, wie repräsentative Umfragen ergaben. Wer seinerzeit in die sozialen Netzwerke blickte, konnte allerdings das Gefühl bekommen, ganz Deutschland teile die Sicht des Kreml.

Spaltung der Gesellschaft

Auch beim Brexit hatten Trollfabriken fest ihre Finger im Spiel. Die britische „Daily Mail“ berichtete 2017 über eine Gruppe aus Sankt Petersburg, die in den Tagen vor dem Referendum die sozialen Netzwerke gezielt mit kontroversen Artikeln geflutet hatte. Der „Daily Telegraph“ berichtete, dass rund 3800 russische Konten am Tag des Referendums insgesamt 4400-mal das Stichwort Brexit getwittert hatten, 1100-mal unter dem Hashtag Reasons To Leave EU.

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Manipulation findet auch außerhalb der Kommentarspalten statt. Für weltweites Aufsehen sorgte 2018 eine Recherche über das Unternehmen Cambridge Analytica, das unrechtmäßig in den Besitz der Daten von 87 Millionen Facebook-Userrinnen und ‑Usern gelangt war. Die Daten ermöglichten dem Unternehmen schließlich, maß­geschneiderte Werbekampagnen für Wahlkämpfe zu schalten. Auch Cambridge Analytica mischte beim Brexit mit, vor allem aber für Donald Trump im US‑Wahlkampf 2016.

Und nicht immer haben Desinformationen das Ziel, Wahlen zu beeinflussen – häufig geht es auch um die Destabilisierung von Demokratien durch das Auseinanderdriften der Gesellschaft. Beliebtes Thema von Manipulatoren war auch die Covid‑-19-Pandemie. Seitens Russlands wurde hier etwa die Verschwörungs­theorie verbreitet, die USA und deren Geheimdienste, der Westen oder die Nato seien Schuld an der Entstehung und Verbreitung des Virus.

Funktioniert das wirklich?

Fraglich ist, wie erfolgreich diese Methoden eigentlich wirklich sind. Das deutsche Verteidigungs­ministerium betrachtet Desinformation als „Mittel der hybriden Kriegführung“ und spricht von einer „hybriden Bedrohung“. In der Endphase der US‑amerikanischen Präsidentschaftswahl wurden nach Recherchen des Onlineportals „Buzzfeed“ die 20 erfolgreichsten Falschangaben häufiger geteilt, gelikt und kommentiert als die 20 erfolgreichsten Berichte seriöser Medien.

Die Attacken legen die Vermutung nahe, dass gezielte Desinformationen und Propaganda auch in Deutschland für eine Spaltung der Gesellschaft verantwortlich sind, die sich bei jeder großen Krise zeigt – von Corona bis zum Ukraine-Krieg.

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Andere wiederum halten die Warnungen für übertrieben. Der Geheimdienstexperte Thomas Rid erklärte dem „Spiegel“ 2019, er sei sich „absolut sicher, dass wir Desinformation in sozialen Medien maßlos überschätzen“. Gerade im Vergleich zu anderen Ansätzen wie dem Hacken von Politikerinnen und Politikern und der Veröffentlichung ihrer Daten und Dokumente, dem Hacken von Wahlinfrastruktur oder der Finanzierung von rechtsextremen Parteien.

Trollfabriken werden professioneller

Klar ist: Trollfabriken und Manipulations­unternehmen setzen das fort. Und nicht zuletzt der neue Fall rund um das israelische Geheim­unternehmen zeigt, wie sich ihre Arbeit stetig professionalisiert. Das Team rekrutiert sich laut den Berichten aus ehemaligen Agenten, Soldaten und Ex‑Mitgliedern von Spezialeinheiten.

Bei nahezu allen Unternehmen dieser Art geht es vor allem darum, möglichst viele falsche Informationen in Umlauf zu bringen, sodass die Wahrheit kaum noch zu durchdringen ist. Manchmal sind Desinformationen hanebüchen und völlig frei erfunden – manchmal aus tatsächlichen Fakten zusammen­konstruiert, sodass die Lüge auf den ersten Blick kaum auffällt. Der eigentlich stabile Turm aus gesicherten Fakten, die Grundlage für die gemeinsame Wahrheit, soll immer ein kleines bisschen mehr angesägt werden. Am Ende wackelt er so sehr, dass jede Deutung einer Debatte irgendwie möglich erscheint.

„Flood the zone with shit“ (Grob übersetzt: Flute die Debatte mit Scheiße) hatte der frühere Trump-Berater Steve Bannon diese Taktik einmal genannt. Es bedeutet: Allen möglichen Unsinn streuen, Fakten verdrehen und aufhetzen – irgendwas wird davon schon hängen bleiben. Am wirksamsten sind Desinformationen dann, wenn sie nicht gänzlich erfunden sind, sondern mindestens ein Fünkchen Wahrheit enthalten. Dieses wird dann bis ins Absurdeste verzerrt.

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Hillary Clinton und das Uran

Erfolgreich war Bannon etwa mit der Geschichte, dass Hillary Clinton angeblich den Verkauf von amerikanischem Uran an Russland genehmigt haben soll, im Austausch für eine große Spende an die Clinton Foundation. Die Erzählung schaukelte sich mit der Zeit so hoch, dass Republikaner eine umfassende Untersuchung forderten und schließlich sogar ein Sonderermittler zum Einsatz kam. Auch Medien sprangen auf die Geschichte auf und berichteten groß darüber. Ein Fehlverhalten Clintons konnte am Ende zwar nie nachgewiesen werden, aber darum ging es den Manipulatoren auch nie. Vielmehr sollte ein Nebel der Korruptionsaffären um die Präsidentschafts­kandidatin Hillary Clinton gelegt werden, um ihre Wählerinnen und Wähler zu verunsichern.

Auch Wladimir Putin arbeitet so. Peter Pomerantsev, der ein Buch über die Propaganda­strategie des russischen Präsidenten geschrieben hat, sagte dem Magazin „Vox“ vor ein paar Jahren, das Ziel der Desinformations­kampagnen sei nicht, eine Ideologie oder Zukunftsvision zu verkaufen. Vielmehr gehe es darum, die Menschen davon zu überzeugen, dass „die Wahrheit nicht erkennbar ist“. Desinformationen sollen das Vertrauen in die Demokratie untergraben und das Gefühl verbreiten, dass es die Wahrheit sowieso nicht gebe und alle Akteure irgendwie Falschbehauptungen verbreiten.

Fragt sich nur, was sich langfristig gegen Desinformations­kampagnen tun lässt. Denn während sich die Trollfabriken und ihre Auftraggeber stetig professionalisieren, sind Bürgerinnen, Bürger und ihre Demokratien den Angriffen weitestgehend schutzlos ausgeliefert.

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Plattformen überfordert – und ihre Nutzenden auch

Gegen den Meinungskrieg in den Kommentarspalten unternehmen die Plattformen vergleichsweise wenig. Gefälschte Accounts werden nicht schnell genug erkannt, um der Propaganda Einhalt zu gebieten – mit der Sperrung dauert es meist noch länger. Im Falle Russlands führten viele Plattformen überhaupt erst mit Beginn des Angriffskriegs vor einem Jahr strengere Regeln ein.

Eine Möglichkeit ist das Gegenarbeiten, etwa mit Faktenchecks. Viele Plattformen haben solche eingeführt, auch Medien riefen solche Projekte ins Leben. Wie effektiv sie sind, ist fraglich. Häufig werden die Faktenchecker selbst von Trollen in den sozialen Netzwerken verunglimpft und ihnen mit gezielten Kampagnen die Seriosität abgesprochen.

Parteien setzen bei Wahlen inzwischen sogenannte Rapid Response Teams ein, wie die „Zeit“ vor einigen Jahren berichtete. Sie sollten die Debatte in den sozialen Netzwerken ständig verfolgen und Desinformationen im Zweifel schnell mit eigenen Fakten korrigieren. In dem Tempo und der Wucht, mit der die kriminelle Energie der Manipulatoren auf sie einprasselte, sei das aber nahezu ein Ding der Unmöglichkeit.

Digitaler Gegenschlag und Prävention

Manch einer hält eine Art digitalen Gegenschlag für das beste Mittel gegen Desinformationen. Das United States Cyber Command hatte eine russische Trollfabrik während der Midterms 2018 angegriffen, indem es sie für einen Tag vom Internet abschnitt.

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Im Frühling 2022 führte das Hacker-Kollektiv Anonymous einen Cyberkrieg gegen russische Propagandakanäle und schaltete sie teilweise aus. Zum Teil gelang es dem Kollektiv sogar, Informationen in die Newsfeeds russischer Staatsmedien einzuschleusen.

Und dann wäre da noch die Präventionsarbeit bei Bürgerinnen und Bürgern, denen es häufig an genügend Medien­kompetenz fehlt. In russischen Nachbarländern wie Finnland oder Litauen gebe es solche Projekte, wie die finnische Journalistin Jessikka Aro in einem Text für die Bundeszentrale für Politische Bildung erklärt: Hier würden Bürger eine aktive Rolle einnehmen, um andere Bürger zu informieren und ihnen dabei zu helfen, Trolle und Fake News zu erkennen und diesen entgegenzutreten.

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