E-Scooter: Nicht mehr als ein gefährlicher Touristenspaß?
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Wäre eine Helmpflicht sinnvoll? In Norwegens Hauptstadt Oslo deutet die Unfallstatistik daraufhin, dass zahlreiche E-Scooter-Unfälle unter Alkoholeinfluss passieren. Nachts wurden die Ausleihzeiten bereits drastisch beschränkt.
© Quelle: Julian Weber/dpa
Unfälle mit E-Scootern haben sich Daten aus Norwegen zufolge in den Monaten nach ihrer Einführung meist abends oder nachts ereignet. Die betroffenen Fahrer in Oslo waren zudem jünger als verunglückte Radfahrer, hatten mehr Alkohol oder andere Rauschmittel konsumiert und trugen seltener einen Helm. Das geht aus einer Datenanalyse von insgesamt 3191 E-Scooternutzerinnen und ‑nutzern sowie Radfahrerinnen und ‑fahrern hervor, die in die Orthopädische Notaufnahme der Uniklinik Oslo gekommen waren.
Verletzte E-Scooter-Fahrerinnen und ‑Fahrer hatten mit 39,5 Prozent häufiger Rauschmittel genommen als die Radfahrenden mit 7,7 Prozent und trugen seltener einen Helm: 18 versus 62,2 Prozent. Folglich hatten Scooter-Fahrende auch einen höheren Anteil an Kopfverletzungen. Die Mehrzahl der E-Scooter-Verletzungen geschah abends oder in der Nacht (32 Prozent von 17 bis 23 Uhr; 34 Prozent von 23 bis 6 Uhr). Nachts standen fast alle (91,3 Prozent) verunglückten E-Scooter-Fahrer unter dem Einfluss von Rauschmitteln wie Alkohol. Die meisten Radunfälle habe es tagsüber gegeben, berichtete das Team um August Vincent Stray von der Uniklinik im Fachjournal „Jama Network Open“. Die Daten zu Rauschmitteln und zum Helmtragen beruhen auf anonymisierten Eigenauskünften.
Warnungen von Ärzten
Die Ergebnisse der Studie seien bis zu einem gewissen Grad auf Städte beschränkt, die mit Oslo vergleichbar seien, betonen die Forschenden. E-Scooter-Fahren hänge mit lokalen Bedingungen zusammen. Die norwegische Hauptstadt hat knapp 700.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Der Verleih von E-Scootern wurde im März 2019 eingeführt und die Scooterdaten in den zwölf Monaten danach erhoben.
Schon vor Veröffentlichung der Studie hatte die Stadt Oslo auf seit Langem vorgetragene Warnungen von Ärztinnen und Ärzten reagiert: Seit September 2021 kann man in der norwegischen Hauptstadt zwischen 23 und 5 Uhr keine E-Scooter mehr ausleihen. Ärzte des Osloer Universitätskrankenhauses hatten laut norwegischer Nachrichtenagentur NTB berechnet, dass sich mit einem solchen Verbot Hunderte Verletzungen während des Sommers vermeiden ließen. Gemäß dem Beschluss des Stadtrates sollte zudem die Gesamtzahl der E-Scooter erheblich verringert werden.
Die Studie zeige insgesamt mehr das Nutzerverhalten als die Unfallgefahr, sagt der Leiter der Unfallforschung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft, Siegfried Brockmann. Es sei davon auszugehen, dass viele Touristinnen und Touristen auf den Scootern gefahren waren.
Frage nach zusätzlichem Unfallrisiko
„Das wirft die Frage auf: Ist es ein ökologisches Verkehrsmittel? Hier ist es so, dass es nicht die letzte Meile abdeckt“, sagt Brockmann. Der damalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte zum Start der E-Scooter 2019 diese als eine „echte zusätzliche Alternative zum Auto“ beworben, etwa für die „letzte Meile“ von zu Hause zur Bahnstation oder vom Bus zum Büro.
„Mittelfristig ist noch unklar, ob es ein sinnvolles Verkehrsmittel ist, das die letzte Meile schließt, oder ob es vor allem als Touristenbelustigung dient“, meint Brockmann. „Wenn das ein zusätzliches Unfallrisiko ist, ohne dass der ökologische Nutzen erkennbar ist, dann sollte man noch mal über die Zulassung nachdenken“, betont er. „Hoverboards oder One-Wheeler lassen wir auch nicht zu auf unseren Straßen.“
Keine aussagekräftigen Unfalldaten in Deutschland
In Deutschland, wo der E-Scooter im Herbst 2019 eingeführt worden sei, gebe es auch aufgrund der zwei Corona-Jahre bislang wenige aussagekräftige Daten zur Nutzung. „Wir wissen nicht, wie viele Kilometer mit Leihscootern zurückgelegt werden. Wir haben als Unfallforscher ein Dunkelfeld.“ Die Bundesanstalt für Straßenwesen sollte die Erlaubnis für die E-Scooter ursprünglich innerhalb von drei Jahren wissenschaftlich begleiten und evaluieren. „Ich plädiere dafür, der Bundesanstalt mehr Zeit zu geben – etwa weitere zwei bis drei Jahre“, sagte Brockmann.
Die Studienautoren berichten mit Verweis auf das norwegische Institut für Verkehrswirtschaft, dass E-Scooter in 60 Prozent der Fälle das Gehen ersetzen, in 6 Prozent das Fahrrad, in 23 Prozent öffentliche Verkehrsmittel und in nur 8 Prozent das Auto. Um die Verletzungsgefahr in Deutschland zu reduzieren, könne der Gesetzgeber eine Helmpflicht festlegen, sagte Brockmann. Man könne auch das Alter der Fahrerlaubnis (derzeit ab 14 Jahren) ändern oder einen Führerschein für E-Scooter verlangen. In Deutschland besteht keine Helmpflicht für Scooterfahrerinnen und ‑fahrer, es gelten aber die gleichen Promillegrenzen wie für Autofahrende.
RND/dpa
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