Scramper – ein schickes Elektromotorrad als Symbol der Hoffnung
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Schickes E-Bike im Retrolook: der Scramper des ukrainischen Start-ups EMGo.
© Quelle: EMGo
Dass die Menschen in der Ukraine trotz buchstäblichem Dauerbeschuss durch die russische Armee auf die eine oder andere Weise unbeirrt für ihre Ideale eintreten, davon zeugen die Nachrichten an jedem neuen Kriegstag. Als Beweis dafür taugt auch das erst 2019 gegründete Start-up EMGo Technology, ein Joint Venture einer Elektronik- und Batterieschmiede mit der ukrainischen Zweiradmarke Geon (deren Produkte wiederum aus chinesischer Produktion stammen). Mit dem Modell Scramper, hier handelt es sich um ein Kunstwort aus Scrambler und Ampere, hat EMGo nun – Krieg hin oder Krieg her –, einen Elektro-Scrambler auf die grobstolligen Reifen gestellt, ein Engagement, das man auch „als Symbol für die Hoffnung der Ukraine auf Frieden“ verstanden wissen möchte.
Scrambler? Da tut ein kurzer Ausflug ins Vokabular der Motorradgattungen not. Der Begriff wurde in den 60er-Jahren in den USA für klassische Straßenmotorräder im Offroad-Look geprägt. Wobei es mit der tatsächlichen Geländegängigkeit meist nicht weit her war, erschöpften sich die Änderungen doch oft darin, dass man der Straßenmaschine ein Paar Stollenreifen spendierte und vielleicht noch den Auspuff etwas höher legte, um ihn vor Bodenkontakt zu schützen. Das bedeutete, Feld- und Waldwege ja, schweres Gelände oder gar Sprünge möglichst nicht! Die erste ernsthafte Verbindung von Straßen- und Geländetauglichkeit gelang übrigens erst Mitte der 70er-Jahre, als Yamaha mit der heute legendären XT 500 das Segment der (Reise-)Enduros begründete.
Aber zurück zum Scramper. Dieser Scrambler mit E-Motor kann sich sehen lassen – was bekanntlich bei Elektromotorrädern längst keine Selbstverständlichkeit ist. Manche Hersteller tun sich nach wie vor schwer, die mächtige Batterie optisch ansprechend ins Bike zu integrieren, sodass das fertige Produkt bisweilen eher an eine Waschmaschine auf zwei Rädern erinnert als an ein gefälliges Motorrad. Den Machern des Scrampers aber ist die zeitgemäße, elektromobile Interpretation eines klassischen Scramblers gut gelungen. Die Batterie ist clever im Gitterrahmen integriert und hält bei einem flüchtigen Blick der eines traditionellen Verbrennermotors stand.
Schnelles Laden bei konstanter Temperatur von 38 °
Der Scramper glänzt aber nicht nur mit Äußerlichkeiten, sondern verspricht auch innere Werte. So in Sachen Akku. Bei dem handelt es sich um eine LiNMC-Batterie (Lithium-Nickel-Mangan-Cobalt), die 9,8 kWh leistet. Das Besondere an der EMGo-Eigenentwicklung: das Kühlsystem. Das soll schnelles Laden mit bis zu 25 kW möglich machen, ohne dass die Temperatur der Batterie dabei über 38 ° steigt, wie es auf der firmeneigenen Webseite heißt. Bei einem „normalen“ Ladevorgang erreiche die Batterie, die im Übrigen auch als Ladestation für Smartphone, Tablet etc. genutzt werden könne, nach 90 Minuten wieder 80 Prozent ihrer Kapazität.
Und auch sonst lesen sich die Werte ordentlich: Bis zu 200 Kilometer weit soll man mit einer Akkuladung kommen, das allerdings nur bei 45 km/h. Klar, dass diese Reichweite schmilzt, je eiliger man es hat. Immerhin sollen bei 65 km/h noch 160, bei 85 km/h 150 und bei Topspeed, 125 km/h, noch 90 Kilometer möglich sein. Für einen Scrambler, der naturgemäß nicht als Reise-, sondern als Freizeitmotorrad ausgelegt ist, scheint das akzeptabel, zumal sowohl an den üblichen Schnellladesäulen für Autos als auch an jeder Haushaltssteckdose nachgetankt werden kann. Insgesamt soll die Batterie für 3000 Ladezyklen gut sein und nach 2000 Zyklen immer noch 80 Prozent ihrer Kapazität aufweisen.
Eine weitere Besonderheit des Scrampers ist das Getriebe. Das mag zwar kein originäres Merkmal sein, viele E-Motorräder aber verzichten auf ein Getriebe/eine Schaltung, ganz einfach, weil der E-Antrieb ohne diese Mechanik auskommt. Dass EMGo dennoch ein Vierganggetriebe verbaut, ist ein Zugeständnis an skeptische Bikertraditionalisten, die einem Elektromotorrad nicht nur, aber auch wegen der fehlenden Schaltung oft skeptisch gegenüberstehen. Und auch der Preis, 6300 Euro, könnte ein veritables Kaufargument sein. Zumindest wenn man bedenkt, dass der zurzeit wohl deutlichste Konkurrent auf dem Markt, die RNGT No.1 Classic, ein schwedisches Premiumelektromotorrad im Scramber-Stil, mit 12.500 Euro fast doppelt so teuer ist.
Längere Garantiezeit wäre schön
Nicht verschwiegen werden soll allerdings, dass dem Scramper etwas Feinschliff kaum schaden würde. Das jedenfalls lässt das eine oder andere Foto vermuten, wobei man wohl davon ausgehen kann, dass diese Fotos noch Vorserienfahrzeuge zeigen. Wie auch immer, etwas mehr Sorgfalt in Sachen Verarbeitung (Schweißnähte etc.) würde bei potenziellen Kunden wohl ebenso gut ankommen wie eine längere Garantiezeit – während EMGo auf die Batterie übliche fünf Jahre Garantie gibt, gewährt man dem „Rest“ des Motorrads lediglich ein Jahr.
Alles in allem aber scheint den Ukrainern ein feines Bike gelungen zu sein, das auch Skeptikerinnen und Skeptikern des Elektroantriebs zumindest eine Probefahrt schmackhaft machen könnte. Genau hier aber gibt es (noch) einen Haken. Hundert Scramper möchte man zunächst verkaufen, damit sich eine Produktion überhaupt rechnet. Ergo sind 630.000 Euro notwendig, die man nun über die Crowdfunding Plattform Indiegogo generieren möchte. Dass das klappt, davon scheint man bei EMGo allerdings überzeugt. Schließlich hat man bereits Vorsorge getroffen, um Produktion und Vertrieb trotz Krieg möglich zu machen. So soll der Scramper in Polen gebaut werden, die bereits fertigen Maschinen sollen dann in Leipzig gelagert und von dort aus in alle Welt geliefert werden. Und auch über die Unterstützung der eigenen Armee hat man sich bereits Gedanken gemacht: Für 15 verkaufte Scramper soll jedes Mal ein Exemplar an die ukrainische Armee gehen.