„Wer das Wohl seiner Kinder im Sinn hat, muss auch das eigene Wohl mitbetrachten“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/FM3RXUYSLBBIZERVDGR3ZOOBHA.jpg)
Draußen an der frischen Luft zu sein tut Kind und Eltern gut.
© Quelle: Getty Images
In vielen Kindergärten kleben derzeit Zettel an den Türen und informieren über die aktuell kursierenden Krankheiten in der Einrichtung: Scharlach, Bindehautentzündung, Krätze, Läuse, Magen-Darm- und RS-Virus, Corona – manchmal möchte man als Elternteil prompt umdrehen und das Kind lieber daheim lassen. Trotz Homeoffice-Möglichkeiten ist das kaum eine Option. Also: Tür auf, Kind abgeben und hoffen, es infektfrei abholen zu können. Und los hetzen die verunsicherten Eltern zur Arbeit.
Kein unbekanntes Bild für die Düsseldorfer Kinderärzte Florian Babor und Nibras Naami. Unsichere Eltern sind Teil ihres Arbeitsalltags – und Grund, warum sie seit drei Jahren mit ihrem Podcast „handfussmund“ über Kinderkrankheiten informieren.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/IRRKBCD4DNC4PEZ3E2OG6B76GA.jpg)
Für Florian Babor, Oberarzt in der Kinderkrebsklinik an der Universitätsklinikum Düsseldorf (links), und Nibras Naami, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, ist es ein Anliegen, abseits der Klinik Eltern mit ihrem Wissen aufzuklären.
© Quelle: Hannawitte
Herr Naami, Herr Babor, erklären Sie doch mal bitte, warum viele Kinder von Oktober bis Ostern gefühlt dauererkältet sind?
Naami: Das fragen sich momentan viele! Die klassische Infektsaison in der kalten Jahreszeit hat es immer gegeben – mal ist ein Jahr stärker, mal schwächer. In den zwei Pandemiejahren mit ihren Lockdowns und Isolationsmaßnahmen waren viele unserer Patienten sehr lange Zeit nicht besonders krank. Jetzt herrscht enormer Nachholbedarf, gerade bei Kleinkindern, die ja noch ein relativ untrainiertes Immunsystem haben. Beruhigenderweise muss man sagen, dass das wichtig ist für ein gesundes Immunsystem und unumgänglich, damit Kinder gesund groß werden können.
Babor: In den letzten Jahren stellen wir fest, dass sich die Infektsaison etwas zeitlich verschiebt. Wir sind beispielsweise ein bis zwei Monate früher mit der RS-Welle in Kontakt. Heißt: Die Wellen kommen bereits Anfang des Winters. Und wenn die vorbei sind, haben wir noch immer einen Großteil des Winters vor uns, wo normale Infekte auftreten. Und deshalb glauben viele Eltern – und es ist auch so, das kann ich nur aus leidvoller Erfahrung bestätigen –, dass die Kinder andauernd krank sind.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/DMGOZCVWFNFMJBUMXEZCJBR5CM.jpg)
Das Leben und wir
Der Ratgeber für Gesundheit, Wohlbefinden und die ganze Familie - jeden zweiten Donnerstag.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Herr Babor, Sie sind vierfacher Vater. Was ist Ihr Geheimtipp bei Erkältung und Co., abseits der Pharmazie?
Babor: Wenn es dem Kind soweit gut geht: frische Luft schnappen, den Kreislauf anregen. Das wirkt oft Wunder. Und viel trinken, das rät jeder Arzt. Denn Wasser fördert ungemein den Heilungsprozess. Ich persönlich schwöre auf Bienenwachswickel, gerade bei Erkältungen mit Husten und Schnupfen. Die werden locker auf die Brust gelegt, verströmen einen Honigduft, sind warm und angenehm fürs Kind.
Naami: Und selbst hergestellter Hustensaft aus Zwiebeln wirkt gut, denn Zwiebeln beinhalten antibakterielle Stoffe. Die sollte man immer daheim haben, gerade in der Winterzeit.
Husten, Schnupfen, Fieber sind bei Kindern also oft Alltagsbegleiter. Gerade Fieber verunsichert Eltern. Wie erleben Sie die Eltern in Ihrem Arbeitsalltag?
Babor: Ich glaube, viele Eltern sind verunsichert, wenn ihr Kind krank wird oder krank ist. Das liegt in der Natur der Sache. Sie können aber nur schwer unterscheiden, ob Fieber ein Symptom oder die Erkrankung ist. Hier sollte mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden.
Naami: Wir haben tatsächlich das Gefühl, dass Eltern in den letzten Jahren etwas unsicherer geworden sind. Das ist ein Grund, warum wir neben unserer Arzttätigkeit auch über Kinderkrankheiten regelmäßigen podcasten und jetzt ein Buch geschrieben haben, um zu informieren.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/FQQ3WVB2FJB25KFMSTUU2ELNXI.jpg)
Babor, Naami: „High Five: Die fünf Säulen einer gesunden und glücklichen Kindheit“, 448 Seiten, dtv-Verlag, 24 Euro.
© Quelle: dtv-Verlag
Das ist eine Art Kompass, an dem sich Eltern, Schwangere und Erwachsene mit Kinderwunsch orientieren können?
Naami: Ja, denn heutzutage sind junge Eltern immer häufiger auf sich allein gestellt. Die Großfamilie mit Oma und Opa, die beratend und beruhigend zur Seite stehen könnten, lebt kaum noch zusammen. Hinzu kommt, dass oft beide Elternteile arbeiten gehen, und wenn dann das Kind krank aus der Kita oder der Schule kommt, ist die Überforderung groß.
Und dann folgt die Symptomsuche im Internet und verunsichert im Zweifel noch mehr …
Naami: Das Internet ist Fluch und Segen zugleich. Man erhält Unmengen von Informationen und muss damit richtig umgehen, was gar nicht so einfach ist. Das kann manchmal mehr Fragezeichen hinterlassen als vorher.
Der erste Schritt sollte immer sein, bei Unsicherheiten in die Kinderarztpraxis zu gehen und sich beraten zu lassen.
Nibras Naami, Kinderarzt
Sollten Ihrer Meinung nach Eltern lieber schneller und öfter zum Arzt gehen als das Internet zu konsultieren? Oder ist zum Beispiel Abwarten und das Kind mal fiebern lassen eine Option?
Naami: Das hängt immer von der einzelnen Situation ab. Ich denke, der erste Schritt sollte immer sein, bei Unsicherheiten in die Kinderarztpraxis zu gehen und sich beraten zu lassen. Gerade, wenn man ein schlechtes Bauchgefühl hat, helfen 100 Blogbeiträge, Podcastfolgen und ein Buch nicht, sondern nur der Kinderarztkontakt. Aber Googlen ist heutzutage völlig normal geworden, das kann und sollte man niemandem verbieten. Wir Kinderärztinnen und Kinderärzte sollten lieber dafür sorgen, dass auf die Suchanfrage hochwertige Antworten folgen. Aufklärung wird als unsere Aufgabe immer wichtiger.
Eltern – sowohl bestehende als auch werdende und wollende – möchten doch nur eins: ihren Kindern ein gesundes Leben ermöglichen. Wie schaffen Sie das?
Babor: Für uns sind das fünf Säulen, die ineinandergreifen. Dazu gehört, schwere Krankheiten zu vermeiden, beispielweise durch Vorsorgeuntersuchungen, Unfallvermeidung, Kenntnisse in Erster Hilfe sowie einem Grundwissen über die wichtigsten Erkrankungen und Warnsignale. Bewegung, gesunde Ernährung, psychische Gesundheit und das Stärken des Immunsystems gehören ebenso dazu.
Da wird es aber schon problematisch, etwa beim Thema Bewegung: In der Schule gibt es zwischen zwei und vier Stunden Schulsport in der Woche – so sie nicht ausfallen –, und Vereinssport. Gerade Schulkinder und Teenies sieht man nachmittags kaum noch draußen. Sie sitzen vermutlich mehr vorm Fernseher, PC, Handy oder vor der Spielekonsole.
Babor: Bewegung ist essentiell. Nicht umsonst gibt es von der Weltgesundheitsbehörde eine klare Empfehlung, wie viel Bewegung für ein Kind im jeweiligen Alter gut ist. Aber da sind viele Kinder ganz weit von entfernt. Das muss nicht immer Leistungssport sein, es zählt bereits Fahrradfahren dazu oder der Weg zur Schule.
Nibras: Bewegung macht körperlich fit, stärkt das Immunsystem und ist gut für die Psyche.
… eine weitere wichtige Säule Ihrer Meinung nach für ein gesundes Leben.
Babor: Die psychische Gesundheit ist die halbe Miete und die Grundlage für ein ausgeglichenes Lebens als erwachsener Mensch. Früh kann man Kinder in dieser Säule so stärken, dass sie eine gesunde Resilienz aufbauen, die ihnen später im Leben in Krisenzeiten hilft. Umgekehrt kann in der Kindheit die negative Grundlage für eine psychische Erkrankung gesät werden, die einen dann im schlimmsten Fall ein Leben lang begleitet.
Wer das Wohl seiner Kinder im Sinn hat, muss auch das eigene Wohl mitbetrachten.
Nibras Naami,
Kinderarzt
Die Psyche wird maßgeblich durchs Elternhaus und durch die Lebenssituation des Kindes bestimmt. Gefühlt sind viele Eltern heutzutage sehr gestresst durch ihren Alltag und wenig präsent für ihren Nachwuchs.
Naami: Das sollten sich viel mehr Eltern zu Herzen nehmen. Damit es dem Kind gut geht, muss man nicht 60 Stunden die Woche rackern, um ihm später ein dickes Konto zu hinterlassen. In einer Familie ist doch die Zeit, die man zusammen verbringt, von Wert. Zwar scheint sich dieses Bewusstsein in der Elternschaft zunehmend Bahn zu brechen. Dennoch ist da noch viel Luft nach oben. Das Investieren in die eigene Gesundheit ist gleichzeitig das Investment in die Gesundheit des Kindes. Das kann man gar nicht voneinander entkoppeln.
Die Corona-Pandemie hat vielen Familien gezeigt, wie schnell die empfindliche Kinderseele Schaden nehmen kann. Durch die Lockdowns und Isolationsmaßnahmen wurde sich weniger bewegt, mehr gegessen, die häusliche Gewalt ist gestiegen. Wie können Eltern ihre Kinder jetzt zum Ende der Pandemie psychisch unterstützen?
Babor: Es ist Aufgabe der Eltern, aktiv zu werden, die Wochenenden für gemeinsame Unternehmungen zu nutzen. Und Strukturen zu schaffen, auf die sich das Kind verlassen kann. Das kann dauern. Einige Familien müssen bestimmt wieder bei null anfangen und wirklich die Beziehungen aufbauen.
Gemeinsame Familienzeit heißt auch, den Medienkonsum zu reduzieren?
Naami: Die weite Verbreitung von Unterhaltungsmedien ist extrem geworden. Studien zeigen, dass in Industrieländern bis zu 40 Prozent der Kinder nahezu den ganzen Tag mit Medien verbringen, sei es nebenher beim Essen, beim Hausaufgabenmachen, es wird gar nicht mehr abgeschaltet.
Und das verstärkt den Bewegungsmangel, was wiederum zu Unruhe führt. Die Kinder sind unkonzentriert und oft richtig gereizt. Kennen Sie das auch von Ihren Kindern, Herr Babor?
Babor: Absolut. Haben sich die Kinder nicht ausreichend bewegt, sind sie nachmittags kaum zu bändigen, weil sie so drüber sind. Und abends kommen sie viel schlechter zur Ruhe. Schlafmangel lässt sie erschöpft aufwachen, sie bewegen sich weniger – ein Teufelskreis beginnt, der schwer zu durchbrechen ist.
Spätestens hier fällt auch die Ernährung ins Gewicht. Abwechslungsreich mit viel Gemüse, Obst und wenig Zucker sollte sie sein. Eltern wissen das – und doch scheitern viele am Alltag: an ihrem Zeitkontingent, gesund zu kochen, oft auch an den teureren Preisen für Gemüse und Bioware.
Naami: Wir haben schon den Eindruck – und es ist auch nachgewiesen –, dass Kinder zu früh in Kontakt mit Zucker und Salz kommen. Der Geschmackssinn wird dadurch in eine Richtung prägt, sodass sie sich genau diese Sachen vermehrt wünschen und die gesunden Speisen meiden. Der Berufsverband der Kinder und Jugendärzte rät, Kindern nicht mehr als 25 Gramm Zucker am Tag zu geben. Ein Trinkpäckchen enthält bereits den doppelten Tagessatz. Und damit ist ja dann häufig auch noch nicht die Tagesaufnahme beendet. Gleiches gilt auch für Salz. Ein bis fünf Jahre alte Kinder sollten nicht mehr als zwei Gramm Salz am Tag zu sich nehmen. Natürlich sind wir auch gegen ein Verbot von Snacks oder Süßigkeiten! Genuss gehört zum Leben dazu und auch Kinder dürfen in den Geschmack kommen. Das geht aber auch, wenn man die empfohlenen Maße einhält.
Stichwort Zucker: Mit Süßigkeiten belohnen, strafen oder erpressen Eltern oft ihren Nachwuchs. Damit sollten sie unbedingt aufhören, weil ...
Naami: … es sehr kurzfristig gedacht ist. Es entsteht ein falsches Verhältnis zur Ernährung und zu Lebensmitteln. Süßes wird zum Tröster oder Belohner. Emotionen sollten nicht mit Essen verknüpft werden, das führt im Endeffekt oft zu einem ungesunden Essverhalten. Wieder ein Teufelskreis, den man gar nicht erst beginnen sollte.
Babor: Es ist ganz problematisch und wir sehen es sehr häufig. Man braucht nur in die Kliniken zu gehen. Oft stehen kurz nach dem Haupteingang Süßigkeitenautomaten.
Die Resilienz der Kinder wird auf diese Weise auch nicht gefördert.
Babor: Absolut.
Naami: Eltern können auch anders belohnen. Wie wäre es mit einem Ausflug zum Spielplatz, und sie verbinden gemeinsame Zeit mit Bewegung?!