Geldanlagetipps aus dem Internet: Warum „Finanzpornografie“ riskant für die Rendite ist
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Der Verlauf des Dax wird kurz nach Handelsstart auf der Anzeigetafel in der Frankfurter Börse angezeigt.
© Quelle: Sebastian Gollnow/dpa
München/Stuttgart. Im Internet kursieren spannende Schlagzeilen – manche klingen bedrohlich: „Achtung, Insider verkaufen ihre Aktien“, „Hier drohen Verluste“, „Droht ein Bankencrash?“. Andere locken mit dem schnellen Geld: „Toprendite“, „Bis zu 150 Prozent Gewinnpotenzial“, „Der vergessene Megamarkt“.
Der Börsenboom während Corona hat Finanzmedien, Bloggern, Youtubern und anderen selbst ernannten Anlageexperten enormen Auftrieb beschert. Die Titel der Beiträge und Videos klingen reißerisch. Oft erzeugen sie Handlungsdruck. Lockt bei Lithium wirklich die große Chance? Sollte ich bei Wasserstoff einsteigen?
Clickbaiting soll Aufmerksamkeit steigern
„Solche Überschriften sind eine Form von Clickbaiting“, sagt Vermögensverwalter Gerd Kommer. Dabei geht es darum, Leser und Zuschauer mit schockartigen, verzerrten, übertriebenen Schlagzeilen anzulocken – und Panik zu verbreiten.
Gerd Kommer nennt das Phänomen „Investmentpornografie“, ein alter Begriff aus der US-amerikanischen Finanzwelt. Dabei sei es nicht das Ziel, seriöse Fakten zu verbreiten, sondern Auflage und Klickraten zu steigern. Und: „schrottige Finanzprodukte und Anlagestrategien zu verkaufen“, sagt Kommer, Autor des Buches „Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs“. Es geht also ums Geld.
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© Quelle: dpa
Mit solchen Überschriften wird an einige der schlechtesten Emotionen und Eigenschaften appelliert: Gier, Neid, Ungeduld, Naivität, Selbstüberschätzung, Unwissenheit über Kapitalmärkte.
Man könnte sagen: Das Buhlen um die knappe Ressource Aufmerksamkeit im Internet hat längst das Thema Geldanlage erreicht. „Social Media gehört zu den schlimmsten Verbreitern von Finanzpornografie.“ Dadurch hat sich das Problem noch einmal verstärkt, sagt Kommer.
Vermögen langfristig aufbauen
Für den langfristigen Vermögensaufbau sind all die heißen Ratschläge und Geheimtipps nicht hilfreich – im Gegenteil. Sie schmälern am Ende höchstwahrscheinlich die Rendite.
Vermögensbildung habe nichts mit „schnell handeln“ zu tun. Kommer, der seit mehr als 30 Jahren den Kapitalmarkt kennt, setzt auf ETF – also börsengehandelten Indexfonds. Sie bilden passiv einen Index nach, werden also nicht aktiv von Fondsmanagern zusammengestellt. Eine Strategie, die auch Verbraucherschützer empfehlen.
„Eine solide Geldanlagestrategie zum Vermögensaufbau oder für die Altersvorsorge macht es nicht erforderlich, sich ständig mit der Börse zu beschäftigen“, sagt Niels Nauhauser. Er ist Experte für Geldanlage bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.
Hin und her macht Taschen leer
Nauhauser empfiehlt altbekannte Regeln: Kaufen und liegen lassen. Denn in der Regel kostet der Handel mit Wertpapieren Gebühren. Besser langfristig investieren und nicht ständig umschichten – also genau das Gegenteil dessen, was die „Finanzpornografie“ nahelegt.
Außerdem wichtig: Breit gestreut zu geringen Kosten investieren. Das klappt am besten mit einem ETF auf den MSCI World. Er enthält rund 1600 Unternehmen – und bildet so einen Großteil des Aktienmarkts ab. Die Schwellenländer sind hier jedoch nicht dabei.
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© Quelle: Reuters
Wer etwas tiefer einsteigen und das Risiko breiter streuen möchte, kann mehrere ETF auswählen und verschiedene Regionen beimischen. „Innerhalb einer Region kann man noch Blue Chips und Small Caps kombinieren“, sagt der Experte – also umsatzstarke Aktien großer Unternehmen und Unternehmen mit einer geringen Marktkapitalisierung.
„Wir haben heute deutlich mehr Verbraucher mit Portfolios, in denen schon ETF drin sind“, berichtet Nauhauser. „Früher war das etwas für exotische Selbstentscheider. Heute ist das gang und gäbe.“ Und in der Regel sei ein solches Investment eine gute Entscheidung gewesen.
Einzelaktien machen Spaß – aber bringen selten Erfolg
Fondsmanager versuchen, mit einer cleveren Auswahl einzelner Aktien oder Segmente eine höhere Marktrendite zu erlangen. Doch in der Regel scheitern sie damit, zeigen Statistiken. Das gibt ETF-Anlegern Recht.
„Die Chancen stehen unter dem Strich denkbar schlecht, mit einer Auswahl an Einzeltiteln den Markt zu schlagen“, sagt Nauhauser. Deshalb rät er generell von Einzelaktien ab. Dadurch sinkt auch das Risiko, dass Anleger sich von reißerischen Überschriften zu unüberlegten und emotionalen Entscheidungen verleiten lassen.
„Die Versuchung ist groß, trotzdem jeden Tag ins Depot zu schauen“, sagt Nauhauser. Das hat schließlich auch etwas Spielerisches. Wer dazu neigt, kann etwa 80 Prozent seines Vermögens in ETF stecken, und mit 10 bis 20 Prozent aktiv in den Markt gehen.
„So kann man sein Hobby ausleben und sich mit dem Markt messen, wenn man mag und daran Freude hat“, sagt Nauhauser. Denn ein bisschen Aufregung und Nervenkitzel gehören für manche an der Börse dazu.
RND/dpa