Wieder Einschränkungen

Shanghai und Peking: Nach dem Lockdown ist vor dem Lockdown

Menschen fahren Anfang Juni in Shanghai (China) mit dem Bus und tragen Schutzmasken. Nach ersten Lockerungen müssen nun Millionen Menschen in der Metropole erneut in einen Lockdown.

Menschen fahren Anfang Juni in Shanghai (China) mit dem Bus und tragen Schutzmasken. Nach ersten Lockerungen müssen nun Millionen Menschen in der Metropole erneut in einen Lockdown.

Shanghai/Peking. Die neue Normalität war in Shanghai nur eine fragile Illusion: Seit Ende der Woche berichten unzählige Einwohnerinnen und Einwohner davon, dass sie mitten in der Nacht von Mitarbeitenden in Seuchen­schutz­anzügen aus ihren Betten gescheucht wurden, um sich für spontan einberufene Massentests anzustellen. „Die Freiheit war nur kurz“, sagt ein US‑Amerikaner in Shanghai, der nach dem nächtlichen Überfall der Gesundheits­behörden die Hiobs­botschaft erhielt: Nach über zwei Monaten Lockdown wird er nun wieder für mindestens vier Tage in seine Wohnung gesperrt.

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Die erneuten Einschränkungen schmerzen umso mehr, weil die Hoffnung auf einen normalen Alltag erst vor Kurzem genährt wurde: Der Feierabend­verkehr füllte sich wieder, die Läden öffneten ihre Pforten. Es schien, als ob Shanghai nach einem zweimonatigen Lockdown allmählich wieder zur Normalität findet.

Corona in Shanghai: Millionen Menschen wegen elf Infektionen in Quarantäne

Doch nur eine Woche nach der vermeintlichen Öffnung hat die chinesische Metropole nun wiederholt flächendeckende Ausgangs­sperren angekündigt: Übers Wochenende sollen acht Bezirke durchgetestet werden und deren 15 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner nicht mehr vor die Haustür treten. Ausgelöst wurde die Entscheidung laut offiziellen Zahlen lediglich durch elf Infektionen am Donnerstag.

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In der bevölkerungsreichsten Stadt des Landes lösten die Maßnahmen der Autoritäten flächen­deckende Panikkäufe aus. In mehreren Stadtteilen wurden die Gemüseregale vollständig leergekauft. Es ist, als befinde sich Shanghai wieder am selben Punkt wie Ende März: in vollständiger Ungewissheit, ob man morgen bereits eingesperrt ist oder nicht.

Corona in Peking: Bars schließen nach drei Tagen wieder

Und auch in Peking haben die Behörden die Einschränkungen wieder ausgeweitet: In Chaoyang, immerhin der bevölkerungs­reichste Bezirk der Hauptstadt, müssen sämtliche Bars und KTV-Salons nur drei Tage nach ihrer Öffnung wieder schließen. Dort hat eine Person nach einem Barbesuch laut Angaben der Behörden insgesamt 29 Menschen infiziert, die insgesamt in zwölf verschiedenen Bezirken leben. Seither wurden mutmaßlich Hunderttausende Bewohnerinnen und Bewohner in ihre Wohn­anlagen gesperrt, da sie als „enge Kontaktpersonen“ gelten. „Es wird daran erinnert, dass es immer noch versteckte Infektionsquellen in der Gesellschaft gibt, die nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollten“, heißt es in einer nüchternen Meldung der Staatsmedien.

Dass Null Covid keine nachhaltige Perspektive bereithält, scheint immer offensichtlicher. In Dandong, der nord­ost­chinesischen Grenzstadt, haben die Behörden nun gewarnt, dass angeblich mit dem Wind aus Nordkorea Erreger des Virus nach China kommen könnten.

Chinas alleiniger „Krieg gegen das Virus“?

Dennoch deutet alles darauf hin, dass Pekings Parteiführung an seiner Null­toleranz­strategie festhalten wird – und zwar weit über 2023 hinaus: In jeder größeren Stadt gehören PCR-Massentests derzeit zum Alltag, allein in Shanghai wurden mehr als 15.000 Teststationen installiert. Die japanische Investmentbank Nomura hat ausgerechnet, dass die Infrastruktur zum Testen landesweit bis zu 1,7 Prozent des gesamten Brutto­inlands­produkts ausmachen könnte.

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Chinas führende Virologinnen und Virologen erklären sich seit Längerem bereits nicht mehr gegenüber ausländischen Journalistinnen und Journalisten – zumindest, wenn das Aufnahmegerät läuft. Doch selbst in Hinter­grund­gesprächen in Peking wird mit einem geradezu überheblichen Selbst­bewusstsein die eigene Null-Covid-Strategie vertreten, als würde es sich dabei um den einzig korrekten Weg handeln. Oft schwingt bei den Aussagen chinesischer Expertinnen und Experten auch der Vorwurf mit, dass die restliche Welt viel zu wenig tue, um Covid einzudämmen – während die Volksrepublik China als einziger Staat den „Krieg gegen das Virus“ weiter aufnehme.

Corona in China: noch immer viele nicht geimpft

Doch die offensichtlichen Schwächen der chinesischen Strategie liegen auf der Hand. Noch immer sind rund 100 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner im Land gar nicht oder unzureichend geimpft, das absolute Gros davon sind Seniorinnen und Senioren über 70 Jahre.

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Paradoxerweise hat ausgerechnet die strikte staatliche Zensur, die keinerlei Debatten über Gesundheits­risiken zulässt, ein Informations-Vakuum kreiert, das allerlei Platz für wissenschaftlich unbegründete Theorien zuließ. In den sozialen Medien in China kursieren unzählige Gerüchte, dass die heimischen Vakzine Diabetes oder Leukämie auslösen könnten. Insbesondere die Alten, die sich nicht über ihren Arbeitgeber oder Partei­organisationen zum Impfen überreden lassen können, hegen die größte Skepsis.

Nun haben Dutzende chinesische Städte reagiert und versuchen die Menschen mit freien Versicherungen zu ködern. Diese zahlen den Betroffenen umgerechnet bis zu 70.000 Euro aus, sollten sie aufgrund einer Impfdosis gesundheitliche Probleme bekommen.

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Hongkong kehrt Null Covid den Rücken zu

Doch an eine baldige Öffnung glaubt derzeit niemand mehr in China. Selbst die scheidende Verwaltungschefin Hongkongs hat erstmals zugegeben, dass es wohl keine zeitnahe Grenzöffnung zum chinesischen Festland geben wird. Dies sei „nicht möglich“, sagte Carrie Lam bei ihrer letzten Presse­konferenz. Denn im Gegensatz zu Shanghai hat Hongkong vor einem radikalen Lockdown zurück­geschreckt – und sich unlängst von der Null-Covid-Doktrin verabschiedet.

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