Experte im Interview

„Eine groß angelegte Impfkampagne wäre unverhältnismäßig“

Affenpocken zeigen sich durch Ausschlag auf der Haut.

Affenpocken zeigen sich durch Ausschlag auf der Haut.

Das Affenpockenvirus tritt in vielen Ländern neu auf, in denen es bisher nicht vorkam. Mehrere Ansteckungen gehen dabei auf sexuelle Kontakte zwischen Männern zurück. Norbert Brockmeyer ist Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft zur Förderung der sexuellen Gesundheit (DSTIG). Er sieht derzeit keine besondere Gefahr durch das Virus, auch eine Impfung der breiten Bevölkerung sei nicht nötig.

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Herr Brockmeyer, da viele der nun aufgetretenen Affenpocken­infektionen durch sexuelle Kontakte übertragen wurden, hat die DSTIG eine Stellungnahme veröffentlicht. Diese liest sich sehr unaufgeregt. Wie beurteilen Sie die Gefährdungslage?

Ich sehe tatsächlich keine große Gefahr für Deutschland, Europa oder die Welt. Das, was über Infektionswege und Ansteckungsgefahr bekannt ist, ist nicht mit dem zu vergleichen, was wir zuletzt bei einem Erreger wie Sars-CoV-2 gesehen haben.

Das Affenpocken­virus gibt es schon lange. Aber es tritt momentan häufiger als zuvor außerhalb Afrikas auf. Woran könnte das liegen?

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Ja, anders als noch vor 15 bis 20 Jahren sind die Infizierten nicht mehr hauptsächlich Reiserückkehrer aus Afrika, sondern es gibt auch in Europa und den USA Übertragungen von Mensch zu Mensch. Das kann verschiedene Gründe haben. Zum einen wurde in den 70er-Jahren die Pockenimpfung eingestellt. Diese war auch zu 85 bis 90 Prozent gegen das Affenpocken­virus wirksam. Es ist möglich, dass sich nun mehr Menschen und zwar vor allem jüngere Menschen anstecken, weil sie nicht mehr geimpft und somit nicht mehr immun sind. Eine andere Möglichkeit ist, dass es eine gewisse Veränderung des Virus gegeben hat, die die Übertragung von Mensch zu Mensch erleichtert.

Prof. Norbert Brockmeyer ist Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft zur Förderung der sexuellen Gesundheit (DSTIG).

Prof. Norbert Brockmeyer ist Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft zur Förderung der sexuellen Gesundheit (DSTIG).

Wäre das nicht bedenklich?

Im gewissen Sinne ja, jedoch auch wenn es eine gewisse Anpassung des Virus gegeben hat, ist das, was wir an Krankheits­geschehen und Ausbreitung sehen, immer noch nicht dramatisch. Die Übertragungs­ketten sind bisher nicht besorgniserregend.

Es gibt schon erste Forderungen nach einer Pockenimpfung, die ja eigentlich für die humanen Pockenviren gedacht ist, aber auch vor Affenpocken schützen soll. Wäre es sinnvoll, diese jetzt wieder einzusetzen?

Nein, damit würde man über das Ziel hinausschießen. Bei so etwas gilt es Nutzen, Kosten und Risiken gegeneinander abzuwägen. Wenn man sich die jetzt aufgetretenen Fälle von Affenpocken anschaut, handelt es sich ja um milde Verläufe, um Infektionen, die von selbst wieder ausheilen. Zum Glück haben wir die Impfung: Gegebenenfalls können Risikogruppen geimpft werden, wie Menschen aus dem Medizinbereich mit Kontakten zu Infizierten, Menschen mit einer Immunschwäche zum Beispiel nach Organ­transplantation oder HIV-Infizierte mit engem Kontakt zu Personen, die infiziert sind. Aber für eine groß angelegte Impfkampagne gibt es momentan keinen Anlass. Das wäre unverhältnismäßig. Eine Impfung der Bevölkerung stünde in keiner Relation zur geringen Gefahr durch die Affenpocken.

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Bei dem früheren Lebendimpfstoff gegen Pocken drohten in bis zu einem von tausend Fällen schwere Nebenwirkungen und bis zu einem Todesfall auf 500.000 bis zu einer Million Impfungen. Es gibt nun ein neueres Vakzin, bei dem es sich ebenfalls um eine Lebendimpfung handelt. Ist diese besser verträglich?

Der neue Impfstoff hat weniger Nebenwirkungen, wurde aber auch noch nicht sehr breit angewendet. In jedem Fall gilt es auch hierbei, den Einsatz gut abzuwägen. Es gibt ja auch Medikamente, Virostatika, die zur Behandlung von Erkrankten eingesetzt werden können.

Das antivirale Mittel Tecovirimat ist in der Europäischen Union zur Behandlung der Affenpocken zugelassen. Sollte man es denn allen Personen verabreichen, die sich infizieren?

Nein, auf keinen Fall. Eine solche antivirale Behandlung ist nur bei schweren Verläufen angezeigt. Wir müssen ganz einfach sachgerecht und dem Krankheitsbild entsprechend behandeln – und nicht nur, weil jetzt eine neue Erkrankung auftritt, alle Menschen mit milden Infektionen unnötig behandeln.

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Viele, wenn auch nicht alle der nun aufgetretenen Infektionen traten bei Männern, die Sex mit Männern hatten, auf. Handelt es sich bei den Affenpocken um eine Geschlechts­krankheit, die vor allem bei sexuellen Kontakten übertragen wird?

Das Affenpockenvirus wir durch enge Kontakte im Haushalt und gerade bei sexuellen Kontakten übertragen. Es sind sicherlich alle Menschen gefährdet, die mit vielen unterschiedlichen Partnern oder Partnerinnen Kontakte haben, diese sollten sich auch alle bei ersten unspezifischen Symptomen untersuchen lassen. Meistens werden es wahrscheinlich eher sexuell übertragbare Krankheiten wie Syphilis, Chlamydien et cetera sein, die diagnostiziert werden.

Welches Vorgehen empfehlen Sie beim Umgang mit den Affenpocken?

Es ist vor allem wichtig, dass die Bevölkerung aufgeklärt wird. Bei Gliederschmerzen, leichtem Fieber und ersten Hautveränderungen, die womöglich nach sexuellen Kontakten auftreten, sollte jeder zum Arzt gehen. Dabei ist wichtig zu wissen, dass es sich natürlich auch um andere sexuell übertragbare Krankheiten handeln kann. Die Hautveränderungen sind anfangs nicht eindeutig, sie ähneln denen bei Syphilis, Gürtelrose und vielen anderen Virusinfektionen. Wichtig ist auch, die Ärzte über die Möglichkeit von Affenpocken­infektionen aufzuklären. Zudem muss die Community aufgeklärt werden, erste gute Informationen auch für Männer, die Sex mit Männern haben, gibt es im Internet. Entscheidend ist, die Infizierten früh zu diagnostizieren und Daten ans RKI zu senden, um wie bei Corona Fälle nachverfolgen zu können. Bei Krankheits­symptomen oder bei engen Kontakten zu Erkrankten sollten diese für bis zu 21 Tage isoliert werden beziehungsweise in eine Quarantäne gehen, entweder zu Hause oder im Krankenhaus.

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