Journalistin Barbara Vorsamer über Depressionen: „Abends erzählte ich mir, dass ich gar nichts habe“
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Wer unter Depressionen leidet, kommt oftmals morgens gar nicht erst aus dem Bett – selbst sich umzudrehen fällt schwer, sagt Autorin Barbara Vorsamer, die selbst unter Depressionen leidet.
© Quelle: Fabian Sommer/dpa
Jede vierte Frau und jeder achte Mann erkrankt im Laufe des Lebens an einer Depression. Die meisten von ihnen werden das Gefühl kennen, das Barbara Vorsamer in ihrem Buch „Mein schmerzhaft schönes Trotzdem“ beschreibt: Wenn morgens ein Elefant auf ihrer Brust sitzt, der sie daran hindert aufzustehen, weil alles schwierig und sinnlos erscheint.
Die Redakteurin der „Süddeutschen Zeitung“ und zweifache Mutter weiß mittlerweile, wie man trotzdem weiterlebt. Im Interview erklärt sie, warum einfache Erklärungen nicht weiterhelfen und wie man den Unterschied zwischen Depressionen und negativen Gefühlen erkennt.
Frau Vorsamer, eine Depression ist für viele Menschen immer noch schwer zu greifen, oft auch für Betroffene. Wie ist es Ihnen gelungen, die Krankheit fassbar zu machen?
Ich beschreibe das häufig als Elefant, der mir auf der Brust liegt. Mir geht es in meinen schlimmsten depressiven Phasen so, dass ich sehr früh morgens aufwache und mich ganz schlecht fühle. Ich spüre dann einen großen Druck auf der Brust und kann nicht aufstehen. Mir fehlt sogar die Kraft, mich auf die andere Seite zu drehen. Dann liege ich da zwei, drei Stunden, bis der Wecker klingelt und ich eigentlich aufstehen müsste.
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Barbara Vorsamer ist Mutter von zwei Kindern und arbeitet als Redakteurin bei der „Süddeutschen Zeitung“ im Ressort Gesellschaft. Ihre Themenschwerpunkte sind Familie, Feminismus, soziale Gerechtigkeit, psychische Gesundheit und Nachhaltigkeit.
© Quelle: Astrid Eckert
Und dann?
Ich ringe dann mit mir, ob ich Bock habe oder es mir so schlecht geht, dass ich mich krankmelde. Dann mache ich das noch zwei Stunden. Irgendwann ist dann der Moment gekommen, wo ich entweder aufspringen und zur Arbeit gehen muss. Oder ich melde mich krank und bleibe noch ein paar Stunden liegen. So lief es zumindest, bevor ich Kinder hatte.
In Ihrem Buch „Mein schmerzhaft schönes Trotzdem“ schreiben Sie, dass Sie in solchen Momenten oft an Ihrer Krankheit gezweifelt und sich gesagt haben: Ich bin ja gar nicht krank. Wie kommt das?
Bei mir ist es oft so, dass mein Zustand im Laufe des Tages besser wird. Gegen Abend habe ich dann das Gefühl, dass es gar nicht mehr so schlimm ist. Und das kann dann dazu führen, dass ich mir abends erzähle, dass ich nichts habe und auch nichts brauche an professioneller Hilfe, sondern dass es einfach ein schlechter Tag war. Am nächsten Morgen geht es dann wieder von vorn los.
Warum fällt es depressiven Menschen oft so schwer, die eigenen Gedanken und Gefühle einzuordnen?
Eine Depression ist schwer von nicht pathologischen emotionalen Zuständen zu unterscheiden. Wenn man eine Depression beschreibt, wie man sich da fühlt und was man da denkt, dann antworten nach meiner Erfahrung alle Leute, dass sie das auch kennen. Alle kennen das, dass sie morgens aufwachen und keinen Bock haben. Jeder schläft mal schlecht. Jeder hat mal schlechte Laune. Jeder fühlt sich manchmal wertlos. Diese Zustände sind bis zu einem gewissen Grad menschlich.
Geduld ist extrem wichtig. Schnell geht da gar nichts. Die meisten Betroffenen, die ich kenne, müssen mindestens in Monaten rechnen, wenn nicht in Jahren.
Worin besteht dann der Unterschied zwischen Gefühl und Krankheit?
Wenn man gesund ist und keine Depression hat, dann gehen die negativen Gefühle wieder weg. Dann geht es nach ein paar Tagen wieder besser oder es hat einen klaren Auslöser. Die Diagnose ist aber nicht so trennscharf, wie wir es uns wünschen würden. Maßgeblich ist der Leidensdruck. Also, wie schlecht geht es dem oder der Betroffenen? Wie stark ist der Alltag beeinträchtigt? Und dann ist es manchmal auch eine Ausschlussdiagnose: Wenn es nichts anderes ist, dann ist es vielleicht eine Depression.
Kommt es immer darauf an, eine klare Begründung für eine Depression zu finden?
Nein. Es kann sein, dass die Depression eine klare Ursache hat und mit der Beseitigung dieser Ursache dann auch die Depression weg ist. Dann kann die Begründung sehr entlastend sein. Häufiger sind aber die Fälle, wo das alles nicht so klar ist und es ein Puzzle aus Gründen gibt: ein bisschen Genetik, ein bisschen Beziehungen, ein bisschen eigene Glaubenssätze aus der Erziehung. Das bringt einen nicht so richtig weiter.
Selbst, wenn ich zum Beispiel weiß: Diesen Glaubenssatz habe ich von meiner Mutter, außerdem habe ich vielleicht von meinem Vater genetisch was mitbekommen und drittens bin ich vielleicht sehr ehrgeizig, was mir manchmal auf die Füße fällt. Was mache ich dann mit dieser Erkenntnis? Sie macht die Depression nicht weg. Es ist eine falsche Vorstellung, dass eine Depression ein Rätsel ist, das man lösen kann. Und dass sie weg ist, wenn man es dann gelöst hat.
Menschen, die einen spiegeln und sagen, dass man ihnen wichtig ist. Die einen so mögen, wie man ist. Das ist die allerbeste Depressionsprophylaxe.
Barbara Vorsamer
Wie wichtig ist Geduld?
Extrem wichtig. Schnell geht da gar nichts. Die meisten Betroffenen, die ich kenne, müssen mindestens in Monaten rechnen, wenn nicht in Jahren. Ich bin inzwischen bei Jahrzehnten angelangt. Es gibt Depressionen, die dauern ein paar Monate, dann hat man es nie wieder. Das gibt es auch, dann hat man echt Glück gehabt. Aber die meisten Menschen beschäftigen sich da deutlich länger mit. Was allein schon daran liegt, dass auch die meisten Antidepressiva ein, zwei Monate brauchen, bis sie wirken, und dann, bis man richtig eingestellt ist. Da ist schnell ein halbes oder ein Dreivierteljahr vorbei. Die Idee, man hat das innerhalb weniger Monate gelöst, ist unwahrscheinlich.
Auch wenn es selten den einen klar erkennbaren Grund gibt, schreiben Sie, dass die Wurzel einer Depression häufig mangelndes Selbstwertgefühl sei. In Depressionselbsttests wird häufig gefragt, ob man zum Beispiel glaubt, seine Familie enttäuscht zu haben, oder das Gefühl hat, nichts wert zu sein. Was hilft Ihrer Erfahrung nach dabei, den Selbstwert zu stabilisieren?
Gute Beziehungen. Damit meine ich nicht unbedingt eine Partnerschaft, wobei das natürlich auch schön ist. Aber es können auch Freundschaften sein. Es kann Familie sein, Kinder, Eltern, was auch immer. Aber ein stabiles soziales Netzwerk. Menschen, die einen spiegeln und sagen, dass man ihnen wichtig ist. Die einen so mögen, wie man ist. Das ist die allerbeste Depressionsprophylaxe.
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Buchdaten: Barbara Vorsamer: „Mein schmerzhaft schönes Trotzdem“. DTV Verlagsgesellschaft. 224 Seiten, 18 Euro.