„Als wollten sie Zahnpasta verkaufen“: Experte erklärt, woran die Impfkampagne gescheitert ist
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) präsentiert ein Plakat für eine neue Impfkampagne während einer Pressekonferenz nach einem Treffen im Kanzleramt.
© Quelle: Hannibal Hanschke/POOL AP/dpa
In Katastrophenfilmen endet eine Pandemie in der Regel, sobald es einen Impfstoff gibt. In der Corona-Krise ist genau das jedoch nicht passiert. In vielen Ländern der Welt gibt es bei zahlreichen Menschen große Widerstände und Ängste bezüglich einer Impfung. Woran liegt das – und hätte man das vorher wissen können?
Auf jeden Fall, sagt Saad B. Omer. Er ist unter anderem Direktor des Yale Institute for Global Health. Omer forscht nicht nur als Epidemiologe an Atemwegsviren wie Sars-CoV-2, sondern untersucht auch, mit welchen Maßnahmen sich beispielsweise die Akzeptanz von Impfungen erhöhen lässt.
Herr Omer, Sie haben 2020, noch bevor es die ersten Impfstoffe gab, einen Artikel in der „Washington Post“ veröffentlicht: „Die schnelle Entwicklung eines Impfstoffs wird nicht viel helfen, wenn die Menschen sich weigern, ihn zu nehmen“ lautete die Überschrift. Wie groß ist Ihr Drang heute zu sagen: Ich habe es euch doch gesagt!
Nun, ich war nicht der Einzige, der das gesagt hatte. Ich habe seit geraumer Zeit auf die Lücke in unserer Vorbereitung hingewiesen. Doch leider bestanden die wissenschaftlichen Beratungsgremien in vielen Ländern zwar aus Menschen, die es gut meinten, aber wenig Erfahrung im öffentlichen Gesundheitswesen hatten. Jetzt schauen sie zurück und sagen: „Ups, da haben wir wohl etwas übersehen!“ Das wäre nicht passiert, wenn man auf die Menschen mit echter Erfahrung in diesem Bereich gehört hätte.
Sie haben in zahlreichen Ländern zum Thema Impfskepsis geforscht. Welches sind die wichtigsten Faktoren, die dafür sorgen, dass Menschen Impfungen ängstlich oder ablehnend gegenüberstehen?
Allgemein gesprochen, gibt es verschiedene Faktoren: die Wahrnehmung der Sicherheit, Wirksamkeit und der Schwere der Krankheit beispielsweise. In dieser Pandemie gab es zum Beispiel viele Sorgen, weil die Impfungen neu waren oder weil Berichte in den Medien spezifische Sorgen ausgelöst haben. Gefährlich wird das, wenn die ablehnende Haltung gegenüber den Impfungen Teil der Identität der Menschen wird. Das haben wir in mehreren Ländern in dieser Pandemie gesehen. Das ist auch schon früher passiert, aber nicht in dem Maße.
Wenn man das jedoch im Vorfeld und schnell thematisiert, dann kann man das kontrollieren. Aber stattdessen haben viele Länder auf halbgare Maßnahmen gesetzt. Sie haben sich für ihre Aufklärungskampagnen an Werbeagenturen gewandt – als wollten sie Zahnpasta verkaufen. Als hätte es all diese Studien und Erkenntnisse zur öffentlichen Gesundheitskommunikation nie gegeben.
Worin liegt denn – einfach gesagt – der Unterschied, wenn man Zahnpasta verkaufen will oder Menschen davon überzeugen möchte, sich gegen ein Virus impfen zu lassen?
Eine Kaufentscheidung ist – wenn es nicht gerade um ein Haus oder ein Auto geht – für die meisten Menschen eine Entscheidung mit geringem Risiko. Sie gehen nicht davon aus, dass sie sie bereuen könnten – im Gegensatz zu einer Entscheidung, die ihre Gesundheit betrifft. Es geht dabei nicht darum, ob sie die Entscheidung am Schluss tatsächlich bereuen, sondern sie antizipieren ihr Bedauern vorweg: „Was ist, wenn ich mich impfen lasse, und dann geht etwas schief?“ Das ist ein fundamentaler Unterschied. Eine glitzernde, auffällige Message reicht da nicht, um Menschen zu überzeugen.
Ist das ein Grund, warum Impfskepsis in vielen Ländern bei manchen Menschen zum Teil ihrer Identität geworden ist?
Dafür gibt es verschiedene Gründe, und jedes Land hat natürlich seine eigenen Bedingungen. Zum einen hat man unterschätzt, dass dies eine bisher beispiellose Impfkampagne in der Allgemeinbevölkerung sein wird. Wir impfen sonst bestimmte Kohorten, etwa Kinder – nicht die gesamte Bevölkerung. Aber wir haben uns damit nicht beschäftigt. Der gesamte Fokus lag auf der Impfstoffproduktion. Als würden sich die Menschen vor den Fabriktoren aufstellen, sobald der Impfstoff da wäre. Das war so naiv.
Warum eigentlich? Die Pandemie führte zu massiven Einschränkungen, das Virus ist eine Gefahr für die Gesundheit. War es da nicht logisch zu glauben, dass die allermeisten Menschen sich bereitwillig impfen lassen würden?
Erst mal gab es dazu keine Forschung. In den USA haben wir eine erste nationale Umfrage dazu im Mai 2020 gemacht. Wir konnten zeigen, dass es damals in den USA erhebliche Lücken bei der Akzeptanz von Impfstoffen gab. Stattdessen wurde gesagt: Nein, nein, wenn sich die ersten Menschen aus dem Gesundheitswesen impfen lassen und die Menschen sehen, dass das sicher ist, werden sie sagen: „Oh, die Menschen, denen ich am meisten vertraue, lassen sich impfen. Dann tue ich das jetzt auch.“ Das war unglaublich naiv.
Welche Gründe gibt es noch dafür, dass sich die Ablehnung der Impfungen bei manchen Menschen so verhärten konnte?
Die Impfkommunikation ist zum Großteil die Stunde der Amateure. Die Menschen, die das schließlich thematisierten, waren nicht professionell dafür ausgebildet. Jeder, der denkt, er könne mit einem Patienten sprechen, der denkt, er sei doch ein Biologe und könne gut Vorträge halten und sei deswegen ein geeigneter Impfkommunikator, liegt in den meisten Fällen falsch.
Und schließlich wurde das Thema offensichtlich von bestimmten politischen Gruppen genutzt. Manche mögen ernsthaft an bestimmte Ideologien glauben, aber es gab auch eine Menge Schwindler, die dies zu ihrem Vorteil nutzen konnten und zur Polarisierung beigetragen haben.
Ist eine allgemeine Impfpflicht, wie sie derzeit etwa in Deutschland diskutiert wird, in dieser Situation hilfreich – oder ganz und gar nicht?
Sie kann hilfreich sein. Ich und meine Kollegen und Kolleginnen haben dazu 2020 bestimmte Kriterien festgelegt. Dazu gehört, dass die Impfstoffverfügbarkeit gewährleistet sein muss. Ich denke, viele einkommensstarke Länder haben dieses Problem für die Gesamtbevölkerung noch nicht gelöst. Eine Impfpflicht muss zudem sehr sorgfältig ausgearbeitet sein und dem Prinzip folgen, dass es einfacher ist, sich impfen zu lassen, als ungeimpft zu bleiben. Eine Impfpflicht sollte niemals ein Ventil für den Frust der geimpften Mehrheit sein. Sie darf nicht rachsüchtig sein.
Ich gehöre aber auch – obwohl ich mich für Vorsicht einsetze – nicht zu der Gruppe, die sagt, dass eine Impfpflicht das letzte Mittel sein muss. Wenn sie zu spät kommt, dann verliert sie an Effektivität. Sie sollte nicht das erste Mittel sein, aber in bestimmten Situationen kann sie als legitimes politisches Instrument eingesetzt werden.