Besser pflegen bei Demenz: Heime gehen neue Wege
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Heime beschreiten mit innovativen Wohn- und Betreuungskonzepten neue Wege in der Pflege von Alzheimer- und Demenzpatienten.
© Quelle: imago/photothek
Weil ihr nicht gefiel, wie ihr Vater in einem gewöhnlichen Heim gepflegt wurde, hat die dänische Krankenschwester May Bjerre Eiby vor sechs Jahren eine eigene Pflegeeinrichtung für Demenzkranke gegründet. Dort setzt sie auf ein modernes, menschlicheres Konzept der Betreuung. Über das Projekt wurde ein Dokumentarfilm gedreht, der unter dem Titel „Mitgefühl – Pflege neu denken“ diese Woche in den deutschen Kinos startet. Aber wie sieht es mit neuen Ansätzen bei der Pflege von Demenzkranken in Deutschland aus?
Das von Eiby gegründete Pflegeheim „Dagmarsminde“, das ist im Dokumentarfilm zu sehen, ist gemütlich und wohnlich eingerichtet, mit ganz gewöhnlichen Möbeln. Es soll nicht an ein Krankenhaus erinnern, stattdessen herrscht eine familiäre Atmosphäre. Das meiste wird gemeinsam in der Gruppe unternommen, die zwölf Bewohner und Bewohnerinnen machen zusammen Gymnastik und gehen viel an die frische Luft. Kaninchen und Hunde werden als Haustiere gehalten, es gibt Hühner und Ziegen, die Anlage liegt im Grünen.
Im Heim Dagmarsminde wird außerdem versucht, auf den Einsatz von Medikamenten zur Ruhigstellung der Bewohner und Bewohnerinnen zu verzichten. Ängstliche oder aggressive Stimmungen, die bei Demenz häufiger auftreten, sollen stattdessen aufgefangen werden: durch Einfühlsamkeit und Beschäftigung. In vielen anderen Pflegeheimen ist es hingegen üblich, Menschen mit Demenz Präparate zu verabreichen, die zur Gruppe der Psychopharmaka gehören, das gilt auch für Deutschland.
Nicht teurer als andere Heime
Im Pflege-Report 2017 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) wurde der Einsatz solcher Medikamente in Pflegeheimen dokumentiert. Etwa 42 Prozent der gesetzlich versicherten Heimbewohner und Heimbewohnerinnen mit Demenz werden dem Report zufolge Psychopharmarka verabreicht. In dem Bericht wird auch auf die möglichen negativen Folgen hingewiesen: So können die Medikamente nicht nur der Gesundheit schaden, sondern auch das Risiko für Stürze erhöhen. Außerdem sind Betroffene unter dem Einfluss von Medikamenten weniger ansprechbar, das Mitteilen ihrer Bedürfnisse wird erschwert. Ärzte stünden in der Pflicht, solche Medikamente „nur dann einzusetzen, wenn es nicht anders geht“ hatte der Vorsitzende des AOK-Bundesverbands bei der Vorstellung des Berichts kritisiert: Pflegeheimbetreibende müssten „ergänzend den Einsatz nicht-medikamentöser Versorgungsansätze fördern.“
In einer Befragung, deren Ergebnisse ebenfalls in dem Report veröffentlicht wurden, berichteten Pflegekräfte, dass zwar auch andere Ansätze wie Beschäftigung und Bewegungsförderung bei der Betreuung der Heimbewohner halfen. Mehr als die Hälfte der Pflegenden gab aber an, aufgrund von Zeitmangel häufig auf solche Angebote zu verzichten.
Dabei könnten nicht-medikamentöse Ansätze sogar wirksamer als Psychopharmaka sein, wenn es darum geht, aggressives Verhalten bei dementiell Erkrankten zu verhindern. Das hat eine Metaanalyse von 163 Studien ergeben, die 2019 im Fachmagazin „Annals of Internal Medicine“ veröffentlicht wurde. Demnach ließen sich körperliche Aggressionen bei dementiell Erkrankten besser durch Aktivitäten im Freien verhindern, als durch die die Gabe von Antipsychotika. Dagmarsminde, das einen solchen Ansatz verfolgt, ist nicht teurer als andere dänische Pflegeheime. „Wir sind kein Heim für Reiche“ betont May Bjerre Eiby in der Doku. Der Betreuerschlüssel in Dagmarsminde sehe etwa eine Pflegekraft pro fünf Bewohner vor. Ginge es also auch anders?
Dagmarsminde ist Leuchtturmprojekt
„Die Einrichtung in Dänemark ist ein Leuchtturmprojekt“, sagt Susanna Saxl-Reisen, Sprecherin der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Pflegeheime die versuchen, neue Wege zu gehen, gebe es aber auch in Deutschland. Ein Beispiel seien Einrichtungen, die sich dem „Werdenfelser Weg“ verpflichtet haben. Einer Initiative, die sich dafür einsetzt, Zwangsfixierung und Freiheitsentzug von kranken und alten Menschen wo immer möglich zu vermeiden. „Als Eingriff in das Freiheitsrecht kann man dabei auch das Ruhigstellen mit Medikamenten verstehen“, sagt Saxl-Reisen. Es gebe zudem die Tendenz, in der Pflege mehr auf Wohngruppenkonzepte zu setzen, bei denen das Zusammenleben gefördert werden soll.
Der Alltag in den meisten Einrichtungen sehe aber noch immer anders aus: Es gibt zu wenig Personal oder dieses ist nicht richtig für die Betreuung dementiell erkrankter Menschen ausgebildet. Noch dazu gibt es eine hohe Fluktuation und es werden Zeitarbeitskräfte eingesetzt. Das mindert natürlich die Qualität in der Versorgung.“
Es gebe eigentlich verpflichtende Standards dazu, wie die Pflege dementiell erkrankter Menschen gestaltet werden soll. Wichtigstes Ziel dabei sei es, dass die Heimbewohner und Bewohnerinnen das Gefühl bekommen, als Person gehört, verstanden und angenommen zu werden. Dazu müssen die Pflegekräfte Wissen über die Biografie der Heimbewohner haben, um individuell auf sie eingehen zu können und außerdem speziell für die Betreuung dementiell Erkrankter ausgebildet sein. Das könne unter Zeitmangel und durch Hilfskräfte meist nicht geleistet werden.
Selbstbestimmung sollte im Vordergrund stehen
Auch Saxl-Reisen glaubt nicht, dass eine persönlichere Form der Pflege besonders teuer sein muss. Ein Problem sei aber, dass viele Heime in Deutschland nicht nur versuchen wirtschaftlich, sondern gewinnorientiert zu arbeiten. Das gelinge mit einem „Ruhigstellen“ der Patienten vermutlich einfacher.
Was Saxl-Reisen am dänischen Ansatz so besonders findet, ist, dass dabei die Selbstbestimmung der Menschen im Vordergrund steht. Etwas, was sie sich bei modernen Konzepten der Pflege wünschen würde: „Es müsste endlich mehr Pflegeheime geben, bei denen die Angehörigen sich nicht mehr schlecht fühlen müssen, wenn sie einen dementiell erkrankten Menschen dort unterbringen. Es gibt schließlich genug Wissen um diesen Menschen in der Pflege ein gutes Leben zu ermöglichen. Das müsste nur endlich auch so umgesetzt werden.“