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Facharzt zu Impfstoff­neben­wirkungen: „99 Prozent der Allergiker können sich impfen lassen“

Das Impfzentrum in Frankfurt/Oder.

Das Impfzentrum in Frankfurt/Oder.

Ein Vorfall im US-Bundesstaat Kalifornien sorgte diese Woche international für Schlagzeilen. Epidemiologen rieten dort dazu, eine Impfstoffcharge mit mehr als 330.000 Dosen des Herstellers Moderna vorerst nicht zu verimpfen. Denn in einem Impfzentrum kam es an einem Tag mehrmals zu schweren allergischen Reaktionen bei Geimpften. Die genauen Umstände untersuchen jetzt die Gesundheitsbehörden.

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Auch in Großbritannien und Deutschland gab es bereits mehrere Vorfälle, bei denen Geimpfte kurz nach der Gabe des Biontech-Mittels einen anaphylaktischen Schock erlitten. Ist Sorge berechtigt, insbesondere als Allergiker?

Ludger Klimek ist Experte für durch Impfungen hervorgerufene allergische Reaktionen, berät Corona-Impfzentren und tauscht sich auch international zu Vorfällen bei den Impfstoffen von Biontech und Moderna aus. Die Ängste vieler Allergiker durch solche Nachrichten würden von der Politik derzeit absolut unterschätzt, fürchtet der Vorsitzende des Äzteverbandes Deutscher Allergologen.

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Herr Klimek, überraschen Sie die Meldungen zu allergischen Reaktionen nach den ersten Impfungen gegen Covid-19?

Damit war zu rechnen. Es gibt bislang keine Impfung, die nicht auch allergische Reaktionen auslöst. Auch in den mRNA-Impfstoffen von Biontech und Moderna sind einige allergieauslösende Hilfsstoffe enthalten. Erfreulich ist sogar, dass sie insgesamt weniger davon enthalten, als wir das bisher von anderen Impfstoffen kennen. Biontech verzichtet beispielsweise ganz auf Konservierungsstoffe. Das ist eigentlich eine sehr günstige Voraussetzung.

Trotzdem kommt es seit Beginn der Massenimpfungen zu einigen Zwischenfällen – beobachtet etwa in Deutschland, den USA und Großbritannien.

Die offiziellen Statistiken aus den USA und Deutschland zeigen bislang, dass auf 100.000 Geimpfte mit dem Biontech-Impfstoff eine schwere allergische Reaktion kommt. Um das einmal ins Verhältnis zu setzen: Das ist zehnmal häufiger als bei Impfungen gegen Grippe und Hepatitis, wo bei einer Million Impfungen mit einer schweren allergischen Reaktion zu rechnen ist.

Es ist wichtig, die Risiken klar zu kommunizieren und das Auftreten allergischer Reaktionen nicht zu verharmlosen – auch wenn es sich um seltene Ereignisse handelt.

Viele Menschen fragen sich, ob die Impfung wirklich sicher ist.

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Wir bemerken auch hier im Allergiezentrum in Wiesbaden die extreme Unsicherheit und die Angst vieler Patienten. Seitdem es vermehrt zu allergischen Reaktionen gekommen ist, stehen unsere Telefone quasi nicht mehr still. Ich glaube, das wird von der Politik derzeit absolut unterschätzt. Es ist wichtig, die Risiken klar zu kommunizieren und das Auftreten allergischer Reaktionen nicht zu verharmlosen – auch wenn es sich um seltene Ereignisse handelt. Es ist wichtig, möglicherweise gefährdete Patienten vor der Impfung ausfindig zu machen.

Inhaltsstoffe der mRNA-Impfstoffe können allergische Reaktionen auslösen

Wir vermuten, dass vor allem der stabilisierende Inhaltsstoff Polyethylenglycol dafür verantwortlich ist.

Ist schon klar, was genau der Auslöser für die allergischen Reaktionen ist?

Es gibt mehrere Inhaltsstoffe und Kreuzallergien, die infrage kommen könnten. Das muss noch genauer untersucht werden. Wir vermuten, dass vor allem der stabilisierende Inhaltsstoff Polyethylenglycol dafür verantwortlich ist. Er ist bekannt dafür, auch in anderen Medikamenten und Kosmetika allergische Reaktionen hervorzurufen. Bei den Impfstoffen gegen Covid-19 ist der Stoff in sogenannten Nanopartikeln enthalten, welche die mRNA stabilisieren und schützen, damit diese in die Zellen aufgenommen werden kann.

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Prof. Ludger Klimek behandelt Patienten am Allergiezentrum Wiesbaden und ist Präsident des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen.

Prof. Ludger Klimek behandelt Patienten am Allergiezentrum Wiesbaden und ist Präsident des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen.

Mit welchen allergischen Reaktionen ist nach der Impfung zu rechnen?

Erste Studienergebnisse zeigen, dass leichte Reaktionen wie Hautausschlag und Juckreiz häufiger vorkommen als schwere allergische Reaktionen. Das ist dann für ein paar Tage unangenehm, aber nicht schwerwiegend und vergeht nach ein paar Tagen wieder. Lebensbedrohlich wird es erst, wenn es zu einem anaphylaktischen Schock kommt. Das passiert bislang selten. Die Symptome sind dann beispielsweise Atemnot und ein Kreislaufzusammenbruch. Das passiert in den allermeisten Fällen innerhalb von 30 Minuten nach der Injektion. Deswegen sollten Patienten mit einer bekannten Allergie auch für diesen Zeitraum zur Beobachtung im Impfzentrum bleiben. Es gibt selbst nach so einer Reaktion aber glücklicherweise keine langfristigen Spätfolgen oder Organschäden.

Wie lässt sich ein anaphylaktischer Schock behandeln?

Sofort nach Auftreten der Symptome ist eine Behandlung in der Regel gut möglich. Dann kann dem Patienten schnell geholfen werden, etwa mit Adrenalinspritzen, kreislaufstabilisierenden Medikamenten, einer Infusion und Mitteln, die die Atemwege freihalten. Die Impfzentren sind da gut ausgestattet. Und wir sind gerade dabei, auch die mobilen Impfteams bestmöglich darüber aufzuklären, welche Ausstattung es braucht.

Impfung gegen Covid-19: Entwarnung für Heuschnupfenpatienten

In Deutschland haben rund 30 Millionen Menschen eine Allergie. Wie sollten sie also vorgehen, wenn die Impfung gegen Covid-19 ansteht?

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99 Prozent der Allergiker in Deutschland können sich mit den mRNA-Impfstoffen von Biontech und Moderna impfen lassen. Entwarnung gibt es beispielsweise für Heuschnupfenpatienten, die ansonsten keine Allergien haben. Die sind nicht gefährdet. Wer aber weiß, dass er gegen Polyethylenglycol oder andere Inhaltsstoffe allergisch ist, sollte diese Impfstoffe vorerst nicht bekommen und auf die Zulassung anderer Mittel warten. Der Astra-Zeneca-Impfstoff, der wahrscheinlich Ende Januar in der EU zugelassen wird, hat beispielsweise ganz andere Inhaltsstoffe als die mRNA-Vakzine.

Was sollten Menschen tun, die ihren Allergieverdacht nicht geklärt haben oder mehrere Allergien gleichzeitig haben?

Natürlich gibt es in Deutschland viele Menschen, die das nicht ärztlich abgeklärt haben. Bei unklarem Verdacht und sehr vielen möglichen Allergien sowie bei Allergien gegen Medikamente und Kosmetika sollte deshalb vor der anstehenden Impfung der Facharzt aufgesucht werden. Und natürlich sollte dem Arzt im Impfzentrum mitgeteilt werden, wenn es bekannte Allergien gibt oder einen begründeten Verdacht.

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