Schwangerschaftsabbruch

Paragraf 219a: „Ein Schaden, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann“

Seit Jahren kämpft die Ärztin Kristina Hänel für die Abschaffung des Paragrafen 219a, der „Werbung“ für Abtreibungen unter Strafe stellt. Nun will die Ampelkoalition den umstrittenen Paragrafen streichen.

Seit Jahren kämpft die Ärztin Kristina Hänel für die Abschaffung des Paragrafen 219a, der „Werbung“ für Abtreibungen unter Strafe stellt. Nun will die Ampelkoalition den umstrittenen Paragrafen streichen.

Frau Hänel, Sie kämpfen seit Jahren gegen den Paragrafen 219a, der es Medizinern und Medizinerinnen verbietet, öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. Nun will die Ampelkoalition den umstrittenen Artikel streichen. Wie geht es Ihnen damit?

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Es ist eine Bestätigung dessen, wofür ich mich eingesetzt habe und viel wichtiger: Es wird die Situation in Deutschland verbessern. Es ging ja niemals um mich, sondern um die Situation der betroffenen Frauen und ihrer Angehörigen.

Haben Sie damit gerechnet?

Einerseits ja, weil ich die Haltung der drei Parteien kannte. Andererseits stand der Paragraf 219a vor vier Jahren schon mal kurz vor der Abschaffung. Da wurde es nicht gemacht. Jetzt wollte ich mir keine falsche Hoffnung machen, deswegen war ich doch überrascht, als ich es erfuhr. Ich war auch sehr erleichtert, weil es ja auch viel täglichen Stress aus meinem Leben nimmt.

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Welche Rolle spielten konservative Parteien und Interessengruppen dabei, dass der Paragraf nicht früher abgeschafft wurde?

Es gab vor einigen Jahren eine Überarbeitung von 219a, die im Grunde nur eine Zementierung des bestehenden Zustandes war. Am Anfang war da vielleicht noch eine Offenheit, aber dann hat sich die CDU dagegen entschieden, sich zu öffnen. Das war noch die Zeit, in der man gedacht hat, man könnte den Rechtsruck in der Gesellschaft auffangen, indem man rechte Themen besetzt. Die katholische Kirche und evangelikale Gruppierungen haben zusätzlich Druck gemacht. So sehr, dass eine Veränderung, die eigentlich die Mehrheit der Bevölkerung wollte, nicht kam. Deswegen gibt es in Polen auch so extrem restriktive Regelungen und die Abtreibungen in Amerika werden wohl stark eingeschränkt werden. Das liegt daran, dass diese Gruppierungen dort so massiv agieren.

Was war am Paragrafen 219a aus Ihrer Sicht problematisch?

Dass die ärztliche Information über einen Schwangerschaftsabbruch verboten wird. Dafür haben wir uns jetzt die ganzen Jahre eingesetzt: Die Möglichkeit der sachlichen Information für betroffene Frauen. Dass sie sich über den Eingriff, die Risiken, die Komplikationen und die Ärztinnen und Ärzte informieren können. Das war alles verboten. Frauen mussten sich auf Informationen aus zweiter Hand verlassen. Für sie wurde das Grundgesetz quasi ausgehebelt, weil das Leben des Embryos als höherwertig betrachtet wird. Ihre Grundrechte auf Würde, körperliche Unversehrtheit und Informationsfreiheit galten im Falle ungewollter Schwangerschaft nicht mehr.

Beeinflussen diese Informationen nicht die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch?

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Diese Entscheidung hat mit der Aufklärung nicht viel zu tun. Das wissen wir aus Ländern, in denen Betroffenen die Todesstrafe droht oder die Abbrüche unter medizinisch unkorrekten Bedingungen durchgeführt werden. Die Entscheidung wird trotzdem getroffen. Aber wenn die Entscheidung gefällt ist, dann sollten Betroffene wissen, wo sie gut versorgt werden.

Der Paragraph 219a gilt bereits seit fast 90 Jahren. Welche Folgen hatte das?

Es hat unzählige Verfahren gegen Ärztinnen und Ärzte gegeben. Die meisten wurden eingestellt, deswegen tauchen sie in den Statistiken nicht auf. Ich hatte Kontakt zu 150 Ärztinnen, Ärzten und Krankenhäusern, die alle betroffen waren. Alle haben die Informationen aus dem Netz genommen. Diese Tabula rasa ist ein Schaden, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Ärztinnen und Ärzte wurden angezeigt und verurteilt, wie ich. Einige davon sind jetzt vorbestraft. Das hat natürlich eine abschreckende Wirkung gehabt.

Einige Ärztinnen und Ärzte, die Abtreibungen durchführen, finden zum Beispiel keine Nachfolgerinnen und Nachfolger.

Ich kann da aus meiner Praxis nur Positives berichten, aber das ist schon so. Ich hoffe, dass sich das Klima in absehbarer Zeit auch generell ändert.

Vor welchen Herausforderungen steht eine Frau derzeit, wenn Sie in Deutschland abtreiben will?

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Wenn sie die Entscheidung getroffen hat, sucht sie nach einem Termin für die Schwangerschaftsfeststellung. Einige scheitern bereits hier und bekommen Termine in drei Monaten angeboten. Bei der Pflichtberatung verwechseln einige Pro Femina und Pro Familia und merken erst nach zehn Tagen, dass sie bei Pro Femina nie einen Beratungsschein ausgestellt bekommen. Dann benötigen sie die Kostenübernahme, die von der Kasse ausgestellt wird. Auch hier kann es diverse Hürden geben, unter anderem durch die derzeitige Pandemie und die erschwerten Bedingungen. Dann braucht sie eine Adresse, wo der Abbruch durchgeführt wird, wenn möglich mit der Methode ihrer Wahl. Das kann mancherorts schwierig bis unmöglich sein.

Ist der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen Frauen vorbehalten, die die notwendigen Ressourcen haben?

Nein, wir haben ja die Bedürftigenregelung mit den Kostenübernahmen. Aber das System ist teils kompliziert, manchmal wissen die Kassen selbst nicht richtig Bescheid und erschweren den Betroffenen unnötig die Aushändigung der benötigten Unterlagen.

Hat sich die Situation für Frauen, die abtreiben wollen, in Deutschland in den vergangenen Jahren verschlechtert?

Das kann ich so pauschal nicht sagen. Es gibt Verbesserungen, zum Beispiel ein breiteres Angebot an medikamentösen Abbrüchen als früher, aber auch teils schwierigere Zugänge, weil immer weniger Kliniken Abbrüche durchführen und viele Ärztinnen und Ärzte ins Rentenalter kommen.

Gegen die Verletzung und die Angst, die das auslöst, kann man sich nicht schützen. Das ist einfach so.

Kristina Hänel

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Ihre Verurteilung 2017 hat eine bundesweite Debatte ausgelöst. Was hat sich seitdem für Sie verändert?

Mein Leben hat sich völlig auf den Kopf gestellt. Die kostbare Zeit für Familie, Sport und Musik ist rar geworden. Aber die Erfahrungen, die ich machen konnte in dieser Zeit, waren auch gut. Die ganze Unterstützung und dass ich das Gefühl hatte, ich bin jetzt das Sandkörnchen, das zu einem guten Ende führt. Deswegen würde ich unterm Strich alles positiv sehen – trotz des ganzen Stress und diesem schrecklichen Gefühl des Verurteilt-Seins.

Wie haben Sie sich gegen die Anfeindungen geschützt?

Gegen die Verletzung und die Angst, die das auslöst, kann man sich nicht schützen. Das ist einfach so. Und ansonsten ist die Öffentlichkeit ein gewisser Schutz. Das klingt absurd, denn die Angriffe werden dadurch auch mehr. Aber wenn mich jemand angreift und es kriegt keiner mit, dann bin ich ja viel schutzloser.

Wie hat sich die öffentliche Diskussion über Abtreibungen in Deutschland seit Ihrem Prozess geändert?

Als ich mich entschieden habe, in die Öffentlichkeit zu gehen, hat sich die Situation gedreht. Dass ständig Ärztinnen und Ärzte denunziert wurden, ging besonders gut im Verborgenen. In dem Moment, in dem öffentlich über 219a diskutiert wurde, funktionierte das nicht mehr. Und das ist in Deutschland passiert. Die Presse hat das Thema aufgegriffen, die Bevölkerung hat angefangen, selbst Informationen ins Netz zu stellen. Viele Politikerinnen und Politiker und Verbände haben sich für die Abschaffung des 219a eingesetzt, auch kirchliche. Es gab zahlreiche Menschen, die sich viel Mühe gegeben haben, den Mangel an Information auszugleichen.

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Hätte Deutschland mit Abschaffung von 219a im internationalen Vergleich ein eher liberales Verhältnis zu Schwangerschaftsabbrüchen?

In Amerika oder Polen gibt es einen Backlash, aber weltweit haben wir einen Trend zur Liberalisierung. Argentinien, Südamerika und Afrika – da kommt ein Land nach dem anderen, die ihre strengen kolonialistischen Gesetze liberalisieren. Und nachdem jetzt auch Irland liberalisiert hat, war Deutschland im europäischen Vergleich ganz weit hinten. Da hatten nur noch Polen und Malta restriktivere Gesetze. Die wissenschaftliche Evidenz zeigt, dass restriktive Regelungen keine Schwangerschaftsabbrüche verhindern. Es geht also nur darum, den Zugang für die betroffenen Frauen zu erschweren. Und das bedeutet immer eine starke gesundheitliche Einschränkung bis dahin, dass die Frauen dabei sterben.

Nachdem jetzt auch Irland liberalisiert hat, war Deutschland im europäischen Vergleich ganz weit hinten. Da hatten nur noch Polen und Malta restriktivere Gesetze.

Kristina Hänel

Paragraf 218, der Abtreibung unter Strafe stellt, bleibt. Ist das konsequent genug?

Die WHO fordert Deutschland schon lange auf, die Pflichtberatung und die Bedenkzeit abzuschaffen, weil sie negative, medizinische Konsequenzen für die Betroffenen haben. Das sehe ich auch so. Eine freiwillige Beratung muss sein und der Schwangerschaftsabbruch sollte eine Krankenkassenleistung sein. Frauen müssen einen guten Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen haben weltweit. Dafür setze ich mich ein.

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Wie geht es jetzt für Sie weiter?

Mein nächstes Ziel wäre die Europameisterschaft Triathlon 2022 in München. Also ich bleibe natürlich noch weiter in allem, was ich Gutes tun kann. Sowohl in meiner Arbeit für die Kinder mit der Reittherapie als auch in meiner praktischen Arbeit als Ärztin. Ich denke noch nicht ans Aufhören.

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