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Studie: Die Persönlichkeit kann zum Teil per App verändert werden

Mit einer App sollten die Freiwilligen drei Monate lang gezielt an einer von ihnen selbst gewählten Facette ihrer Persönlichkeit arbeiten.

Mit einer App sollten die Freiwilligen drei Monate lang gezielt an einer von ihnen selbst gewählten Facette ihrer Persönlichkeit arbeiten.

Berlin. Sie verlieren bei dem geringsten Druck die Beherrschung. Oder Sie kommen ständig zu spät zu einer Verabredung. „Ich kann nun mal nicht raus aus meiner Haut, ich war als Kind schon so“, werden Sie dann vielleicht sagen. So reden Menschen gerne, wenn sie ihren Charakter auf frühe Erfahrungen zurückführen wollen und dabei glauben, sie könnten sich nicht mehr verändern. Doch möglicherweise gilt diese Ausrede nicht mehr, zumindest verliert sie an Überzeugungskraft. Denn die eigene Persönlichkeit ändern – das geht durchaus, wie die Forschung der letzten Jahre deutlich macht.

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„Gut belegt ist mittlerweile, dass die Persönlichkeit nichts Fixes ist“, sagt die Psychologin Jenny Wagner von der Uni Hamburg. „Menschen sind nicht einfach nur permanent faul oder redselig.“ Vielmehr verändern sich unsere Persönlichkeitsmerkmale im Laufe des Lebens. „Im Schnitt werden Menschen gewissenhafter, verträglicher und weniger neurotisch, wir nennen das Persönlichkeitsreifung.“

Zwischen 20 und 30 kommt es zu den meisten Veränderungen

Vor allem zwischen 20 und 30 gibt es tiefgreifende Veränderungen in der Persönlichkeit. „Die erste Partnerschaft etwa sorgt dafür, dass wir schneller reifen“, so Jenny Wagner. „Und der erste Job führt im Schnitt dazu, das wir gewissenhafter werden.“ Schließlich wird von uns erwartet, pünktlich zu kommen. Und um den Job zu behalten, müssen wir unsere Arbeit ordentlich machen. Aber im Grunde macht unsere Persönlichkeit nicht nur in jungen Jahren einen Wandel durch, sondern bis ins Alter.

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Wie unsere Persönlichkeit gestrickt ist, ist nicht nur subjektiv von Bedeutung. Etwa hinsichtlich der Frage, ob wir selbst mit uns zufrieden sind oder nicht. Die Persönlichkeit hat ganz handfeste Folgen. Sie wirkt sich darauf aus, wie gut wir uns im Beruf und Privatleben schlagen. So hat es Vorteile, gewissenhafter zu sein. Gewissenhafte Menschen sind im Schnitt beruflich erfolgreicher und neigen auch mehr zu einem gesünderen Lebensstil. Und weniger neurotisch, also letztlich emotional stabiler zu sein, wirkt sich positiv auf unsere Beziehungen zu anderen Menschen aus.

Es gibt also durchaus gute Gründe, sich bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zu wünschen. Doch der Wandel, den unsere Persönlichkeit im Laufe des Lebens durchlebt, geschieht automatisch. Ohne dass man gezielt an sich arbeitet. Außerdem laufen die Veränderungen im Schneckentempo ab. Das wirft die Frage auf: Kann man sich auch gezielt und ziemlich kurzfristig in eine gewünschte Richtung entwickeln?

Eine App soll es richten – so funktioniert sie

Das hat kürzlich ein Team um die Psychologin Mirjam Stieger von der Brandeis University auf die Probe gestellt. Für die Studie wurden mehr als 1500 Erwachsenen Zugang zu einer Smartphone-App gewährt. Mit der App sollten die Freiwilligen drei Monate lang gezielt an einer von ihnen selbst gewählten Facette ihrer Persönlichkeit arbeiten. Im Allgemeinen waren die Teilnehmer entweder daran interessiert, weniger neurotisch, gewissenhafter oder extravertierter zu werden.

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Über Videos vermittelte die App psychologisches Know-how. Ein Chatbot fungierte dabei als digitaler Coach. Die Freiwilligen sollten etwa individuelle Wenn-dann-Pläne schmieden, etwa in der Art: „Wenn ich einkaufen gehe, dann versuche ich Gespräche mit fremden Personen zu führen.“ Per App bekamen sie eine Erinnerung an ihre individuellen Ziele und Rückmeldung zu ihrem Fortschritt.

Probanden wurden gewissenhafter, aber nicht emotional stabiler

Das digitale Training zahlte sich aus. Die Probanden berichteten je nach selbst gewähltem Ziel davon, extravertierter zu sein, emotional stabiler, gewissenhafter oder verträglicher. Die Zuwächse waren von mittlerer Stärke. Allerdings waren die Freiwilligen nach dem Coaching nicht offener für neue Erfahrungen. Freunde und Familie bestätigten die größere Gewissenhaftigkeit und Extraversion, wenn auch im schwächerem Maß als die Probanden selbst.

Einen Zuwachs an emotionaler Stabilität konnten Freunde und Familie allerdings nicht ausmachen. Sowohl den Probanden als auch ihren Freunden zufolge hielten die Persönlichkeitsänderungen auch noch drei Monate nach Ende des digitalen Trainings an.

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Veränderungen nur teilweise möglich

Auch andere Studien legen nahe, dass man seine Persönlichkeit verändern kann. Doch bei aller Euphorie ob der neuen Erkenntnisse drückt Jenny Wagner ein wenig auf die Bremse. Die Psychologin ist zwar überzeugt, dass man sich zumindest bis zu einem gewissen Grad verändern könne. „Das legen die Studien tatsächlich nahe“, sagt sie. Aber die Veränderung werde Grenzen haben. „Meines Erachtens ist es nicht möglich, aus einer ‚schüchternen Maus‘ eine ‚Partygängerin‘ zu machen.“

Persönlichkeit durch alltägliches Verhalten ändern

Unklar ist bislang, auf welchem Weg Persönlichkeitstraining überhaupt funktioniert. Bisher gibt es hier tatsächlich nur Vermutungen und Theorien. „Eine Idee ist: Längerfristige Veränderungen der Persönlichkeit beruhen auf kleinteiligen, alltäglichen Verhaltensänderungen“, sagt Jenny Wagner. Bekomme man etwa das Feedback: „Du kommst ja schon wieder zu spät“, dann fühle man sich vielleicht zunächst schlecht oder schuldig.

Dieser Zustand kann dann zu einer Verhaltensveränderung führen, man stellt sich vielleicht den Wecker früher. „Und wenn man das neue Verhalten immer wieder zeigt, sodass es ganz natürlich im eigenen Denken und Fühlen ankommt, dann kann sich langsam eine Veränderung der Persönlichkeit herausbilden.“

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Forscher haben also noch einiges herauszufinden beim Thema Persönlichkeitsveränderung. Doch schon jetzt scheint klar: Die Ausrede „Ich bin halt so“ zählt nicht mehr.

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