Vierte Welle, Maske, Herdenimmunität? Mit welcher Corona-Lage ab Herbst zu rechnen ist

Eine getragene Schutzmaske liegt auf dem Boden zwischen Herbstlaub.

Eine getragene Schutzmaske liegt auf dem Boden zwischen Herbstlaub.

Urlaub, Außengastronomie, unbeschwertere Treffen mit Freunden und Familie: Überall in Deutschland sind die Corona-Maßnahmen inzwischen gelockert worden. Wegen niedriger Inzidenz, Tempo beim Impfen und dem saisonalen Effekt stehen die Vorzeichen gut, dass Deutschland einen Sommer mit hoffentlich weniger Virussorgen als die vergangenen Monate erleben wird. Was aber ab Herbst kommt, hängt von anderen Faktoren ab als noch vor einem Jahr.

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Vierte Welle? Impffortschritt und Alltagsverhalten sind entscheidend

Zum einen haben bis Ende September – läuft alles nach Plan von Bund und Ländern – alle, die wollen, einen Impftermin wahrnehmen können. Schon Anfang Juni sind rund die Hälfte der Bevölkerung hierzulande einmal geimpft, mehr als 20 Prozent zweimal, und die Priorisierung ist vielerorts aufgehoben. „Die Impfrate ist inzwischen beeindruckend“, sagt Prof. Gernot Marx, Vorsitzender der Interdisziplinären Vereinigung der Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Es sei für die weitere Entwicklung der Pandemie entscheidend, dass dieses Tempo beibehalten wird. Zudem müssten möglichst viele Menschen bereit sein, sich impfen zu lassen.

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Auch das persönliche Verhalten bleibt aus Sicht des Intensivmediziners trotz Impffortschritts weiterhin entscheidend. Sprich: regelmäßig testen lassen, Abstand halten, lüften in Innenräumen. „Wenn viele Menschen unvorsichtig werden, könnten sich im Herbst wieder mehr Infektionen ereignen, eine vierte Welle ist möglich“, fürchtet Marx. „Das Risiko dafür, dass es erneut viele Schwerkranke und Todesfälle geben könnte, besteht weiterhin.“

Wir können aber davon ausgehen, dass durch die Impfung der vulnerablen Gruppen die Sterblichkeit dann deutlich geringer sein wird, als sie es im letzten Herbst war.

Anita Schöbel,

Modelliererin

Auch Prof. Anita Schöbel, Leiterin am Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik der Fraunhofer-Gesellschaft, wäre „nicht überrascht“, wenn die Infektionszahlen im Herbst wieder ansteigen und noch eine vierte Welle entstünde. „Wir können aber davon ausgehen, dass durch die Impfung der vulnerablen Gruppen die Sterblichkeit dann deutlich geringer sein wird, als sie es im letzten Herbst war“, erklärt die Modelliererin.

Maske tragen – auch bei vielen Geimpften sinnvoll

Ein härterer Lockdown wie im vergangenen Winter wird also wahrscheinlich nicht mehr nötig sein, verändertes Verhalten aber schon. Aber: „Es würde mich nicht wundern, wenn es die Masken im Herbst und Winter noch braucht“, sagt Gernot Marx. „Wir sind sicherlich gut beraten, erst einmal vorsichtig zu bleiben.“ Nach Auffassung des Intensivmediziners sei es geboten, lieber etwas länger Maske zu tragen, um schneller aus der Pandemie herauszukommen.

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Auch für Geimpfte bleibt Masketragen aus epidemiologischer Sicht vorerst sinnvoll – zumindest überall da, wo Nicht-Geimpfte unterwegs sein könnten und viele Menschen aufeinandertreffen. „Wir haben seit einiger Zeit nun zwar eine sehr gute Impfung, aber wir müssen einsehen, dass der Schutz nicht so absolut ist wie beispielsweise bei den Masern“, sagt der Virologe Marco Binder vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

„Entsprechend können sich auch Geimpfte noch mit dem Virus anstecken; sie werden zwar in der Regel nicht mehr nennenswert krank, können dem Virus aber dennoch als Wirt dienen und es im ungünstigsten Falle auch weitergeben.“ Dasselbe gelte für jene, die bereits einmal mit dem Virus infiziert waren.

Herdenimmunität? Schwieriger als gedacht und vielleicht unmöglich

Angesichts zunehmender Mobilität und Reisetätigkeiten sind neue Virusvarianten der größte Unsicherheitsfaktor für die Entwicklung im Herbst und Winter. Deren Verbreitung hat Auswirkungen auf die sogenannte Herdenimmunität – also den Moment, in dem das Virus sich nicht mehr exponentiell in der nicht immunen Bevölkerung verbreitet. Das hat zwei Gründe:

  • Die nun vorherrschenden Varianten Alpha und Delta beeinflussen den Impfschutz. Je nach Vakzin und Virusvariante beträgt dieser dann nur noch zwischen 60 und 90 Prozent, erklärt Modelliererin Schöbel. Das Virus kann also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch von Geimpften weitergegeben werden. „Dadurch wird es nochmals schwieriger, eventuell sogar unmöglich, den R-Wert durch Impfen unter eins zu senken“, sagt die Mathematikerin.
  • Alpha und Delta sind ansteckender als die Ursprungsvariante von Sars-CoV-2. Umso höher muss deshalb der Anteil der immunisierten Bevölkerung sein. „Wir sind vor einem Jahr noch davon ausgegangen, dass der R-Wert unter eins fällt, wenn 70 Prozent der Bevölkerung geimpft oder genesen sind“, sagt Schöbel. „Leider gilt das so nicht mehr – auch Malta hat trotz hoher Impfquote keine Herdenimmunität erreicht.“ Schätzungen gingen davon aus, dass bei der Alpha-Variante knapp 80 Prozent der Bevölkerung immun sein müssen, bei der Delta-Variante liegt der Anteil vermutlich noch höher.

Im Herbst könnte der R-Wert also über der kritischen Marke von eins liegen, wenn diese Quoten nicht erreicht werden. „Das bedeutet aber, dass sich das Virus bei allen Ungeimpften, die die Krankheit noch nicht selbst durchlaufen haben, ausbreiten wird, sobald wir die Corona-Maßnahmen ganz fallen lassen und sich wieder viele Menschen ohne Masken in geschlossenen Räumen oder auf großen Veranstaltungen treffen“, erklärt Wissenschaftlerin Schöbel.

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Ende der Pandemie – und dann?

Die Abwehrkräfte der Anfälligeren unter uns wird man gegebenenfalls mit regelmäßigen Auffrischungsimpfungen stärken, um sie vor einem Restrisiko zu schützen.

Marco Binder,

Virologe

Wenn irgendwann fast alle Menschen geimpft sind oder eine Infektion durchlaufen haben, bleibt Corona wohl trotzdem in der Welt. Weil selbst Geimpfte und Genesene das Virus noch weitergeben können, sei es „mehr als wahrscheinlich, dass das Virus auch in Zukunft weiter zirkulieren wird, vermutlich als saisonale Erkältung oder grippaler Infekt, der nur sehr selten zu Komplikationen führt“, sagt Virologe Binder. „Diesen Zustand können wir dann endemisch nennen.“ Anders als in der pandemischen Phase treffe das Virus dann nicht mehr auf eine immunologisch völlig naive Bevölkerung, die dem Erreger kaum etwas entgegenzusetzen hat. Wann genau diese Phase eintritt, ist Schöbel zufolge nur sehr schwer vorherzusagen.

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Klar ist aber: Ein erneuter Gang zum Impfen ist wahrscheinlich. „Die Abwehrkräfte der Anfälligeren unter uns wird man gegebenenfalls mit regelmäßigen Auffrischungsimpfungen stärken, um sie vor einem Restrisiko zu schützen“, sagt Virologe Binder. Solche Auffrischungsimpfungen könnten dann auch gut an eventuell neu auftretende Varianten angepasst werden. „Wir werden mit dem Virus leben müssen und auf neue Mutationen durch die Weiterentwicklung der Impfstoffe reagieren“, ist auch Mathematikerin Schöbel überzeugt. „Schlussendlich kann es sich einspielen, wie es beim Grippevirus der Fall ist, mit jährlich angebotenen Schutzimpfungen und kleinen Wellen unter den Ungeschützten im Winter.“

RND

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