Graue Zellen wieder in die Balance bringen

Transkranielle Magnetstimulation: Wie das neue Verfahren bei einer Depression helfen soll

Schlagen Medikamente und Psychotherapie nicht an, soll ein neues magnetisches Verfahren an Depressionen Erkrankten helfen.

Schlagen Medikamente und Psychotherapie nicht an, soll ein neues magnetisches Verfahren an Depressionen Erkrankten helfen.

Schon vor einigen Jahren hatte Margot Thon ein Burn-out. Da deutete sich ihre Depression möglicherweise schon an. „Richtig aus der Bahn geworfen hat mich die Depression dann letztes Jahr“, sagt die 51-Jährige aus dem Großraum Tübingen, die ihren richtigen Namen nicht in einem Bericht lesen möchte. „Danach ging leider gar nichts mehr.“ Sie fühlte sich antriebslos, konnte sich kaum konzentrieren, hatte praktisch keine Energie mehr. „Ich war ständig unruhig, hatte Panikattacken, grübelte permanent und machte mir dauernd Sorgen.“

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Antidepressiva schlugen bei ihr nicht ausreichend an, oder sie hatte mit starken Nebenwirkungen wie Herzrasen und starken Kopfschmerzen zu kämpfen. Im Rahmen eines Aufenthalts in einer Tagesklinik und einer Reha hatte Thon Gesprächs- und Bewegungstherapie, später auch eine Verhaltenstherapie. Aber auch das half ihr nur bedingt aus dem schwarzen Loch der Depression.

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Transkranielle Magnetstimulation soll graue Zellen wieder in die Balance bringen

Der Umschwung kam erst, als Margot Thon an einer Studie am Universitätsklinikum Tübingen teilnahm. Dort behandelte man ihre Depression mit transkranieller Magnetstimulation. Das Verfahren wird mittlerweile in Deutschland von einigen Kliniken angeboten und kommt vor allem bei therapieresistenter Depression zum Einsatz, also wenn weder Antidepressiva noch eine Psychotherapie ausreichend anschlagen. Bei der Magnetstimulation werden die Nervenzellen des Gehirns durch Magnetimpulse stimuliert, und zwar „transkraniell“ – „durch den Schädel“. Die verwendeten Magnetimpulse werden elektrisch erzeugt, indem Strom durch eine Magnetspule läuft, die wie eine Acht aussieht. Der Magnetimpuls aktiviert dabei die unter der Spule liegenden Nervenzellen.

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Das Ziel der Stimulation besteht darin, die grauen Zellen wieder in die Balance zu bringen. „Bei Depressionen kommt es zu einem Ungleichgewicht in der Aktivität in verschiedenen Hirnbereichen“, sagt der Psychiater Christian Plewnia, Oberarzt und Leiter des Zentrums für Hirnstimulation der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen. „Eine Hirnregion – der dorsolaterale präfrontale Cortex hinter der Stirn – ist vermindert aktiv. Das führt dazu, dass diese Hirnregion andere Regionen, die für Angst und Sorge zuständig sind, nicht gut unter Kontrolle halten kann“, so Plewnia. „Depressive Menschen werden dadurch unkon­trolliert von negativen Gefühlen und Gedanken überschwemmt.“ Da Nervenzellen elektrisch arbeiten und miteinander kommunizieren, kann man die Hirnaktivität durch die Magnetstimulation wieder ins Gleichgewicht bringen, indem man das betreffende Gebiet hinter der Stirn mit Magnetimpulsen anvisiert.

Im Rahmen der Behandlung legten Plewnia und seine Kollegen Margot Thon die Magnetspule an den Kopf und schalteten das Gerät ein. „Die Magnetstimulation fühlt sich am Anfang etwas unangenehm an“, sagt die 51-Jährige. „Man spürt ein Zucken, oben an der Stirn.“ Das ist auch kein Wunder: Um die Nervenzellen in der Hirnrinde zu erreichen, müssen die Muskeln und Nerven auf der Kopfoberfläche durchquert werden, und das sorgt für das unangenehme Gefühl. Aber daran gewöhne man sich und man könne es gut aushalten, so Thon. Manche Patientinnen und Patienten berichten zudem von Kopfschmerzen. Aber insgesamt ist das Verfahren gut verträglich.

Trotzdem war Thon am Anfang etwas ängstlich. „Ich habe mich gefragt, was die Stimulation mit mir macht. Aber das Team in Tübingen hat mir die Angst genommen.“

Pro Sitzung werden beide Hirnhälften stimuliert

Insgesamt wurden die grauen Zellen von Margot Thon über einen Zeitraum von sechs Wochen stimuliert, fünfmal in der Woche. „Das herkömmliche Verfahren dauert pro Sitzung eine halbe Stunde“, sagt Psychiater Plewnia „Wir in Tübingen hingegen nutzen eine besonders schnelle Form, die insgesamt weniger als fünf Minuten dauert. Dadurch, dass die Behandlung schneller ist, können wir sogar beide Hirnhälften in einer Sitzung behandeln.“

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Nach ungefähr der Hälfte der Behandlung merkte Thon: „Wow, da tut sich was. Ich war fröhlicher, hatte wieder Antrieb. Ich bin um einiges ruhiger geworden, konnte mich immer besser entspannen und habe meinen Körper wieder gespürt.“ Auch der Schwindel, der die 51-Jährige im Zuge der Depression geplagt hatte, war nach den sechs Wochen weg. „Die bisherigen Studien zeigen eine Wirksamkeit bei der Behandlung therapieresistenter Depressionen“, sagt Oberarzt Plewnia. „Das heißt nicht, dass sie bei weniger hartnäckigen Depressionen nicht wirksam ist. Aber da gibt es einfach weniger Studien zu.“

Hilft auch Johanniskraut?

Wie gut wirken Antidepressiva, also Medikamente, gegen eine Depression? Das hängt sehr von der Schwere der Erkrankung ab, schreibt die Stiftung Warentest („Test“-Ausgabe 1/23). Helfen diese Mittel erwiesenermaßen bei einer schweren Depression, bringen sie bei einer leichten Depression nur wenig. Wichtig ist daher eine genaue Diagnose. Bei leichten bis mittelschweren Depressionen können auch bestimmte Johanniskrautpräparate helfen. Niedrig dosiert etwa in Tees nütze das Kraut aber wenig, so die Tester. In der Apotheke erhältliche Tabletten in unterschiedlichen Dosierungen eigneten sich zur kurzzeitigen Behandlung einer mittelschweren depressiven Phase. Anders ist es, wenn eine Depression längerfristig behandelt werden muss: Der Nutzen einer Langzeittherapie lässt sich noch nicht beurteilen. Insgesamt ist das Mittel gut verträglich, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sind aber möglich. Auch dazu sollte ein Arzt – genauso wie zu Dosis und Dauer – beraten.

Die Studie in Tübingen, an der noch weitere klinische Zentren in Deutschland beteiligt sind, soll zweierlei leisten. Zum einen untersuchen, ob das schnellere Stimulationsverfahren effektiver ist als das herkömmliche Verfahren. Zum anderen soll die Studie noch einmal an einer großen Patientengruppe zeigen, dass die Magnetstimulation ganz allgemein bei Depressionen wirksam ist. „Denn es gibt zwar wie gesagt bereits viele positive Studienergebnisse, aber das hat die Krankenkassen bislang nicht dazu gebracht, die Kosten zu übernehmen“, so Plewnia. Zumindest die Kosten für ambulante Behandlungen werden im Regelfall bisher nicht erstattet. Sofern Kliniken die Behandlung im Rahmen der stationären Depressionsbehandlung anbieten, ist sie aber auch für gesetzlich Versicherte kostenfrei.

Die Depression soll nicht technisch bewältigt werden

Klar ist schon jetzt, dass die Methode ihre Grenzen hat. „Es geht bei der Magnetstimulation nicht darum, die Depression rein technisch zu bewältigen“, betont Plewnia. Sie sei eine wichtige Erweiterung der therapeutischen Möglichkeiten in der Depressionsbehandlung. „Aber sie sollte nicht isoliert angewendet werden, sondern im Rahmen eines individuellen Behandlungskonzepts, das vor allem Psychotherapie, aber auch Medikamente und weitere Therapiemöglichkeiten der Depression berücksichtigt.“ Zudem hilft das Verfahren längst nicht jedem Patienten. Und unklar ist, wie nachhaltig die Wirkung ist.

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Vermutlich braucht die Therapie wohl eine gewisse Regelmäßigkeit, wie das Beispiel von Margot Thon zeigt. Sie hatte einige Zeit nach der Behandlung einen leichten Rückfall, allerdings nicht so schlimm wie vor der Behandlung. „Ich bin nach einiger Zeit nach dem Ende der Stimulationstherapie zum Teil wieder in alte Verhaltensmuster zurückgefallen“, sagt sie. „Ich habe mir wieder zu viel zugemutet, was die Depression wieder begünstigt hat.“ Nun befindet sie sich in der Tagesklinik des Universitätsklinikums und bekommt jenseits der Studie wieder Magnetstimulation. „Nach der ersten Woche Stimulation fühle ich mich wieder besser und hoffe, dass ich bei einer regelmäßigen Anwendung den Kampf gegen die Depression gewinne.“

Das Universitätsklinikum Tübingen sucht Teilnehmer und Teilnehmerinnen für ihre Studie: Kontaktaufnahme: zfh@med.uni-tuebingen.de

Hilfe für Betroffene

Sie leiden an Depressionen oder krankhafter Niedergeschlagenheit oder haben düstere Gedanken? Bitte holen Sie sich Hilfe. Bei Notfällen können Sie unter 112 den Notarzt rufen.

Das Infotelefon Depression hat die Telefonnummer (0800) 33 445 33. Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr erreichbar unter den Telefonnummern (0800) 11 10 111 oder (0800) 11 10 222 oder 116 123.

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Betroffene können ihre Erfahrungen im moderierten Onlineforum www.diskussionsforum-depression.de austauschen. Weitere Informationen für Betroffene und Angehörige gibt es etwa bei der Stiftung Deutsche Depressions­hilfe im Internet: www.deutsche-depressionshilfe.de.

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