Echte Frauenpower: der Kinofilm „The Woman King“
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Viola Davis in einer Szene des Films „The Woman King“.
© Quelle: Ilze Kitshoff
Langsam tauchen ihre Köpfe aus dem Steppengras auf. Ein kurzer kehliger Schrei der Anführerin durchschneidet die nächtliche Stille. Die Kriegerinnen stürmen hervor und überfallen mit ihren gezogenen Macheten das Zeltlager der Feinde.
Mit diesem brillant choreografierten Gemetzel wird zu Beginn von „The Woman King“ die geballte schwarze Frauenpower vorgeführt. Die furiose Kampfszene ist zugleich ein Statement. Die Kriegerinnen erobern in diesem Moment nicht nur die feindliche Stellung, sondern auf höchstem inszenatorischem Niveau auch die männliche Domäne des monumentalen Actionfilms.
Regisseurin Gina Prince-Blythewood erzählt von den Kämpferinnen der Agojie – eine rein weibliche Armee, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts im westafrikanischen Königreich Dahomey – dem heutigen Benin – existierte und bis zu 6000 Frauen zählte. Die Kriegerinnen, die in der kolonialen Geschichtsschreibung als „Amazonen“ bezeichnet wurden, waren aufgrund ihrer Kampffertigkeit gefürchtet. Im Marvel-Film „Black Panther“ (2018) dienten die Agojie als Vorbild für das Frauenregiment Dora Milaje, das in der erfolgreichen Comicverfilmung für das Fantasiekönigreich Wakanda ins Feld zog.
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Nun spielt Viola Davis die (fiktive) Anführerin Nanisca, die 1823 mit ihren Kämpferinnen dem jungen König Ghezo (John Boyega) dient. Das Land hat es durch die Teilnahme am transatlantischen Sklavenhandel zu Wohlstand gebracht. Die Bewohner des Königreiches sind geschützt, aber die Kriegsgefangenen anderer Stämme werden an die portugiesischen Händler verkauft.
Als angesehene Generalin hat Nanisca enormen Einfluss auf den König und tritt dafür ein, dass ihr Land aus dem Teufelskreis des Sklavenhandels aussteigt. Aber das mächtige und gut bewaffnete Nachbarvolk der Oyo droht mit der Eroberung Dahomeys und ist weniger zimperlich bei der Versklavung seiner Feinde.
In einem zweiten Erzählstrang taucht der Film mit der jungen Rekrutin Nawi (Thuso Mbedu) ein in die innere Struktur der Frauenarmee. Als Nawi sich der Zwangsverheiratung mit einem reichen, alten Mann verweigert, liefert der Vater sie an den Palasttoren ab.
Abgeschottet vom Rest der Welt
Die Agojie leben dort abgeschottet vom Rest der Welt hinter einer Palisadenwand in einer Mischung aus Nonnenkloster und militärischem Ausbildungslager. Auf Männer und Kinder müssen die Kriegerinnen verzichten, genießen aber dafür Ansehen und Privilegien, wie sie keine andere Frau in einem afrikanischen Land hat.
Nawi kommt unter die Fittiche der Ausbilderin Izogie (Lashana Lynch), gerät allerdings aufgrund ihres aufmüpfigen Verhaltens immer wieder mit Nanisca aneinander. „Sie behaupten, die Soldatinnen seien magisch. Aber du siehst für mich wie eine alte Frau aus“, sagt sie zu Nanisca im Bad. Das Mädchen hat Biss, erweist sich als zähe Kämpferin und wird zum Protegé der Generalin.
Regisseurin Gina Prince-Blythewood, die zuletzt mit der Netflix-Serie „The Old Guard“ (2020) ihr Gespür für gehaltvolle Actionfilme unter Beweis stellte, legt „The Woman King“ als großformatiges Kinoepos an, das sich mit Werken wie „Gladiator“ (2000) messen kann. Mit aufwendiger Ausstattung und üppigem Personal wird die Welt der Frauenarmee im westafrikanischen Königreich rekonstruiert.
In den atemberaubenden, rasant geschnittenen, auch brutalen Schlachtsequenzen scheint die Kamera mit Nahaufnahmen mitten im grandios choreografierten Kampfgeschehen zu stehen. Daneben entfaltet sich eine Mutter-Tochter-Geschichte mit Shakespeare‘scher Wucht. Auch an Pathos wird nicht gespart.
Bei aller monumentalen Opulenz bestimmt das herausragende Ensemble den pochenden Herzschlag des Films. Wer Viola Davis als Bandenchefin in dem Frauengangsterfilm „Widows“ gesehen hat, weiß bereits, dass diese Frau für Führungspositionen geschaffen ist. Davis verleiht der Figur der Generalin, die mit eigenen traumatischen Erlebnissen ringt, sowohl physische Präsenz als auch seelische Tiefe. Mit „The Woman King“ hat Davis sich ihren Platz im Olymp weiblicher Action-Ikonen – und möglicherweise auch einen zweiten Oscar – verdient.
Auf Augenhöhe zur Veteranin bewegen sich die junge Thuso Mbedu, die schon in der Sklavenserie „Underground Railroad“ beeindruckte, und die strahlende Lashana Lynch, die im Bond-Abenteuer „Keine Zeit zu sterben“ lästige Bond-Girl-Klischees abstreifte. Dank der versammelten Frauenpower vor und hinter der Kamera und des relevanten historischen Kontextes wird das Actiongemälde „The Woman King“ zu einem rundum gelungenen Kinoepos. Das Drama hat durchaus Chancen, als „Braveheart“ für die Black-Lives-Matter- und Me-Too-Ära gleichermaßen in die Filmgeschichte einzugehen.
„The Woman King“, Regie: Gina Prince-Blythewood, mit Viola Davis, Thuso Mbedu, Lashana Lynch, 135 Minuten, FSK 12