Dritter Oscar in Sicht?

Auf der Berlinale – Cate Blanchett als Dirigentin im Drama „Tár“

Heute auf der Berlinale: Cate Blanchett als Dirigentin in dem Film „Tár“, der großenteils in Brandenburg gedreht wurde.

Heute auf der Berlinale: Cate Blanchett als Dirigentin in dem Film „Tár“, der großenteils in Brandenburg gedreht wurde.

Der Maestro hat alles im Griff, sogar dann, wenn er die kleine Tochter Petra zur Schule bringt – ausnahmsweise, denn meistens reist er um die Welt, steht auf Podien in berühmten Konzerthallen oder hält Vorträge übers Dirigieren. Doch dieses Mal beugt er sich wie nebenbei hinunter zu der Mitschülerin, die Petra gehänselt haben soll. In freundlichem Tonfall sagt der Maestro zu dem Mädchen: „Wenn du das noch mal tust, kriege ich dich. Und wenn du es jemandem erzählst, wird dir keiner glauben. Denn ich bin erwachsen.“

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Schon im nächsten Moment grüßt Lydia Tár (Cate Blanchett) beinahe ausgelassen zu einer Mutter ein paar Meter weiter hinüber, als hätte sie hier eben nicht ein Kind in Angst und Panik versetzt. Das Manipulieren von Menschen jedweden Alters ist ihr offenbar ins Blut übergegangen. Das hier war eine ihrer leichtesten Übungen.

Lydia Tár will ein „Maestro“ sein – keine „Maestra“

Moment! Maestro? Lydia? Genau, Lydia ist die Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker, aber „Maestra“ will sie partout nicht genannt werden. Das hat sie selbst in einem eloquenten Bühnengespräch mit dem Magazin „The New Yorker“ zu Beginn des mit zweieinhalb Stunden keinesfalls zu langen Films gesagt. Ihr geht es darum, zur übermächtigen männlichen Konkurrenz aufzuschließen – oder diese zu überflügeln.

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Eine kompromisslose Strenge geht von Lydia in ihrem maßgeschneiderten Frack aus – so wie man sie von einem Mann in ihrer Position erwartet hätte. Tatsächlich wird bis heute kaum ein führendes Orchester von einer Frau dirigiert. Simone Young als langjährige Generalmusikdirektorin der Staatsoper Hamburg galt schon als Ausnahme.

Regisseur Todd Field präsentiert mit seinem Kinodrama „Tár“, das am Donnerstag bei der Berlinale in der Programmreihe „Special“ zu sehen ist und am 2. März in den deutschen Kinos startet, eine brillante Studie über Macht und was sie mit einem macht – egal, ob mit Mann oder Frau. „Nicht alle können dirigieren. Das ist keine Demokratie“, sagt Lydia.

In letzter Konsequenz hat Todd ein #MeToo-Drama mit einer weiblichen Hauptfigur inszeniert. Doch werden nur die Folgen der sexuellen Ausbeutung gestreift. Sie führen in diesem Film allerdings in eine Katastrophe.

Blanchett: Erst Bafta, dann Berlinale-Gala und am Ende ... der Oscar?

Todd hätte diesen Film nicht ohne Cate Blanchett in Angriff genommen, hat der US-Filmemacher gesagt. Wer sonst hätte auch diese eiserne Disziplin, durchbrochen von winzigen Momenten des Mitgefühls, so überzeugend spielen können wie die australisch-amerikanische Schauspielerin, die für die Rolle erst vor ein paar Tagen mit dem Bafta (British Academy Film Award) als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde. „Tár“ ist Todds erst dritter Film – nach seinem Langfilmdebüt „In The Bedroom“ (2001) und „Little Children“ (2006).

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Blanchett ist die perfekte Besetzung und gilt auch als Oscarfavoritin (es wäre ihr dritter nach „Aviator“ und „Blue Jasmine“). Insgesamt sechs Nominierungen hat „Tár“ erhalten, darunter jene für den besten Film und für die beste Regie. Es handelt sich wohl um den Beitrag mit den geschliffensten Dialogen im Oscarrennen.

Lydias Beruf ist ihr Leben. Alles andere kommt danach, auch die Familie mit Tochter Petra und Ehefrau Sharon (Nina Hoss). Unermüdlich arbeitet Lydia an ihrer Perfektion. Fast alles hat sie schon gewonnen, Emmy, Grammy, Oscar und Tony (kurz: EGOT). Was ihr jetzt zum Karriereglück noch fehlt, ist die Aufnahme von Gustav Mahlers 5. Sinfonie.

Lydia: „Für einen Roboter gibt es keinen Ruhm“

Auf diesen Höhepunkt steuert der Film zu, während Lydia viele Fäden in der Hand hält und diese gegenüber Kollegen, Sponsoren und Aufsichtsgremien unauffällig zu ziehen weiß. Sie festigt ihre Macht, tauscht mal eben den langjährigen Kapellmeister mit einem geschickten Schachzug aus, verschafft einer jungen, attraktiven Cellistin aus Russland (die britisch-deutsche Cellospielerin Sophie Kauer in ihrem Schauspieldebüt) einen Soloauftritt und weiß auch Sharon zu Hause zu besänftigen, wenn die Dirigentin von unterwegs wieder mal nicht auf Sharons Telefonanrufe reagiert hat. Nur beim Dirigieren lässt sie ihren Gefühlen freien Lauf, denn: „Für einen Roboter gibt es keinen Ruhm.“

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Von Anfang an lässt der Regisseur irritierende Geräusche in Lydias durchkalkulierte Welt einfließen. Irgendetwas tickt oder surrt immer in der gruftartigen Altbauwohnung. Beim Joggen durch Berlin vermeint sie Hilfeschreie zu vernehmen. Was davon ist wahr, und was bildet sich Lydia nur ein?

Über Lydias Kopf braut sich Unheil zusammen

Vielleicht sind das alles auch Zeichen ihrer unterschwelligen Gereiztheit und permanenten Überanstrengung. Denn über Lydias Kopf braut sich Unheil zusammen. Es gab da eine von ihr geförderte Stipendiatin – und bei der Förderung allein ist es nicht geblieben, so wie die Chefdirigentin ohnehin im Verdacht steht, Karrieren gegen sexuelle Gefälligkeiten zu befördern.

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Machtmissbrauch in der Kulturwelt, Geschlechterdiskussionen, Cancel Culture, die Beziehung zwischen Werk und Autor: Viele brisante Themen verhandelt Todd zu einem beinahe atemlosen Drama.

Man muss auch nichts von Musik verstehen, um diesen kühlen Film zu genießen. Und das Erstaunliche ist: Lydia ist einem keinesfalls nur unsympathisch, wenn ihr Leben langsam aus dem Takt gerät.

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„Tár“, Regie: Todd Field, mit Cate Blanchett, Nina Hoss, 158 Minuten, FSK ohne Angabe (am 23. Februar im Programm der Reihe „Berlinale Special“ bei den 73. Filmfestspielen in Berlin; Kinostart am 2. März)

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